Nur selten werden soziologische Begriffe zu Schlagworten in öffentlichen Debatten. Andreas Reckwitz’ Formel von einer „Gesellschaft der Singularitäten“ gelang das. Mit Das Ende der Illusionen. (Suhrkamp 2019) knüpft der Soziologe an seine Arbeit zum Strukturwandel der Moderne an.
der Freitag: Herr Reckwitz, kürzlich ging eine Meldung durch die Presse, nach der Audi 9.500 Stellen streichen will, während etwa in der E-Mobilität 2.000 Stellen geschaffen werden sollen. Lässt sich aus dieser Nachricht nicht eine ganze Sozialanalyse des Postindustrialismus ableiten?
Andreas Reckwitz: Bei dieser Nachricht handelt es sich nur um einen Mosaikstein eines bereits seit Jahrzehnten andauernden Umstrukturierungsprozesses der westlichen Ökonomie. Wir erleben den Wandel von einer klassischen Industrieökonomie hin zu einem kognitiven und kulturellen Kapitalismus, ein Prozess, der bereits in den 1970er Jahren begonnen hat. Zwar ist die hiesige Automobilindustrie im Vergleich zu anderen westlichen Ländern noch recht stark. Der Anteil der Industriearbeit unter allen Erwerbstätigen ist aber auch in Deutschland von 50 auf 24 Prozent gesunken. Konzerne wie Audi holen nun nur nach, was anderswo im Westen schon vollzogen ist: Klassische Routinetätigkeiten in der Fertigung fallen weg, der Facharbeiter verschwindet immer mehr. Auf der anderen Seite entstehen neue hoch qualifizierte Tätigkeiten etwa in der Forschung und Entwicklung oder im Marketing. Auch in einem materiellen Gut wie etwa einem Auto steckt immer mehr Wissensarbeit als körperliche Arbeit. Das ist typisch für den kognitiv-kulturellen Kapitalismus und wirkt sich auf die Sozialstruktur aus.
Inwiefern?
Die Postindustrialisierung der Ökonomie hat widersprüchliche Effekte: Wir haben es heute auf der einen Seite mit einer expandierenden hoch qualifizierten neuen Mittelklasse zu tun, Wissensarbeitern im weitesten Sinne, häufig Akademiker, von der Bildung und Forschung über Recht und Medizin bis zur Digital- oder Kreativökonomie. Auf der anderen Seite ist jedoch auch der Bereich der sogenannten Dienstleistungen expandiert, häufig im Niedriglohnsektor von Dienstleistenden, es ist also eine neue prekäre Klasse entstanden. Das Segment der klassischen Routinetätigkeiten in der Industrie und Verwaltung, der Ort der traditionellen Mittelklasse, schrumpft dagegen. Die neue, gut ausgebildete Mittelklasse weiß sich einig mit dem Modernisierungsprozess, während die prekäre Unterklasse auf der Verliererseite steht und die traditionelle Mittelklasse an gesellschaftlichem Einfluss verloren hat.
Alle, sogar die AfD, wollen in die Mitte und in der Mitte andocken. Aber gibt es diese Mitte, so wie wir sie kennen, überhaupt noch?
Die Mitte ist eine sehr suggestive Metapher, die das soziale und kulturelle Zentrum der Gesellschaft im Unterschied zu ihren Rändern markieren soll. Aber Sie haben recht, der Mythos der Mittelklasse ist überraschend ungebrochen, alle bekennen sich zur Mitte, gleichzeitig handelt es sich aber um eine kognitive Dissonanz. Das Selbstbild hängt immer noch an den alten Vorstellungen von Mitte, aber diese Mitte gibt es gar nicht mehr, sie ist auch sozialstrukturell gespalten: in die neue und die alte Mittelklasse. Im Zentrum der Gesellschaft findet sich nicht mehr die imaginäre Mitte, sondern der Konflikt zwischen diesen beiden Gruppen.
Sie sprechen von Klasse – aber nicht unbedingt in marxistischem Sinn?
Ich rede tatsächlich nicht von Schicht oder Milieu, weil diese Begriffe zu schwach sind. Der Begriff Schicht blendet aus, dass sich die sozialen Gruppen kulturell deutlich voneinander unterscheiden. Von der Milieuforschung kann man zwar viel lernen, sie vernachlässigt aber die ungleichen Ressourcenverteilungen und die Machtdifferenzen. Klasse beinhaltet nun eine bestimmte kulturelle Lebensform, eine bestimmte Situierung im Arbeitsprozess und in Bezug auf die Ressourcenverteilung - wobei die Ressource Bildung immer wichtiger wird - und schließlich einen bestimmten Ort in einem gesellschaftlichen System von Status, Macht und Einfluss.
Der Bildungsvorsprung verschafft der neuen Mittelklasse also eine bessere Ausgangsposition im Wettbewerb. Aber wie drückt sich diese Konkurrenz ansonsten aus, wo liegen die Unterschiede? Ich kann nicht erkennen, dass die alte Mittelklasse insgesamt abstiegsgefährdet wäre, wenn wir etwa an Handwerker denken.
Das Interessante ist, dass sich der materielle Lebensstandard und das kulturelle Lebensgefühl teilweise voneinander entkoppelt haben. Zwischen der neuen und der alten Mittelklasse unterscheiden sich die kulturellen Werte deutlich: Die alte Mittelklasse kultiviert Werte wie Selbstdisziplin und Pflichtbewusstsein, sie lebt überdurchschnittlich in kleinstädtischen Regionen. Die neue Mittelklasse ist dagegen kosmopolitisch geprägt. Ihr geht es um mehr als nur materiellen Erfolg, sie will sich auch entfalten im Beruf, im familiären Bereich, in der Freizeit. Sie lebt vorrangig in den Metropolen und gibt den Ton an in Bezug auf die gesellschaftlichen Leitwerte wie Flexibilität, Mobilität oder lebenslanges Lernen, aber auch Alltagswerte wie hohes Gesundheitsbewusstsein oder kulturelle Diversität. Allgemein gesprochen könnte man sagen, die neue Mittelklasse vertritt Werte der Entgrenzung, die alte Werte der Verwurzelung. Die traditionelle Mittelklasse verliert damit kulturell an Einfluss, Prestige und Zufriedenheit: Die kleinstädtischen Regionen sind vom Braindrain bedroht, mittlere Bildungs- und Berufsabschlüsse verlieren angesichts der Akademisierung an Nimbus, und die gesellschaftlichen Leitwerte haben sich insgesamt verschoben.
Das heißt, die alte Mittelklasse hat ihre Deutungshoheit verloren?
So könnte man es sagen. Seit den 1990er Jahren geriet sie auch öffentlich immer mehr in den Windschatten der Aufmerksamkeit, sie ist symbolisch in die Defensive geraten ist, das zeigt sich auch an ihrem schwindenden Einfluss in den Parteien.
Lebensform und Lebensstil der neuen Mittelklasse sind stark mit einem Konzept der Selbstverwirklichung verbunden. Ich dachte immer, das sei ein Projekt unserer Subkultur der 70er und 80er gewesen.
Hier hat sich eine bemerkenswerte Umkehrung vollzogen: Ein ehemaliges subkulturelles Muster ist Mainstream geworden. Was subkulturell eine Chance war, die man sich erkämpft hat, hat sich nun in eine soziale Norm, ja eine Art Zwang zur Selbstentfaltung gewandelt. Das ursprünglich romantische, gegenkulturelle Konzept wird verbunden mit dem traditionellen, bürgerlichen Muster sozialen Reüssierens, was ja eigentlich paradox ist: also Romantik und Bürgerlichkeit zugleich. Zudem lebt Selbstverwirklichung heutzutage auch sehr stark von der Perfomativität, ich verwirkliche mich nicht nur um meiner selbst willen, sondern es wird nach außen dargestellt, wird zum Qualitätsbeweis des Subjekts.
Zur Person
Andreas Reckwitz, 49, lehrt Vergleichende Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. 2017 erschien Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, 2019 Das Ende der Illusionen: Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne (beide Suhrkamp) Seit diesem Jahr ist Reckwitz Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preisträger
Zum Beispiel?
Gut festmachen lässt sich das am Reisen: Der Selbstentfaltungswunsch zu reisen, bedeutet zunächst einmal, Neues erfahren zu wollen. Aber nun unternimmt man die Reise auch, um das interessante Leben gegenüber anderen zu präsentieren. Die sozialen Medien sind dafür die prädestinierte Plattform. Man wird dann vorgeblich einer besonderen Person mit authentischen, singulären Erlebnissen.
Das kritische Element, das dem Selbstverwirklichungskonzept einmal eingeschrieben war, ist nun also Teil des individuellen und kapitalistischen Neomanagements geworden?
Es ist zu einer gesellschaftlichen Norm geworden, die institutionell auch entsprechend forciert wird: Von einem Konsumentenkapitalismus, der ja ein genuss- und erlebnishungriges Individuum voraussetzt, auch von psychologischen und pädagogischen Ratgebern - und auch die digitalen Medien mit ihrer Aufmerksamkeitsökonomie verstärken diesen Prozess.
Das geht bis in den existentiellen Bereich. Mir fällt das immer auf, wenn vom Kinderwunsch die Rede ist, der um jeden reproduktionstechnologischen Preis realisiert werden muss, weil sonst das umfassend gedachte Lebenskonzept zu scheitern droht.
Da hat sich in den letzten 15 Jahren tatsächlich etwas verändert. Bis in die 90er war das für heterosexuelle Paare durchaus eine offene Frage. Mittlerweile scheint es eher so, als ob Kinder ein Must-have sind. Ich vermute, dass dies stark mit dem Ideal von der größtmöglichen Fülle des Lebens zusammenhängt, die auch ausgeschöpft werden muss. Es soll auf nichts verzichtet werden, man hat ein Recht darauf.
Ist das nicht auch ziemlich anstrengend?
Zweifellos. Ich würde auch die stärkere Verbreitung von psychischen Symptomen der Überforderung mit diesen neuen Leistungszwängen der „größtmöglichen Fülle“ in Zusammenhang bringen.
Wie erleben die Vertreter der anderen Seite der neuen Klassenhierarchie, die der niederqualifizierten „service class“, den gesellschaftlichen Strukturwandel?
Die körperliche Arbeit hat im Vergleich zur Wissensarbeit in der postindustriellen Gesellschaft sehr stark an Prestige verloren. Der Deal der alten Industriegesellschaft, schwere körperliche Arbeit materiell zu entschädigen und damit anzuerkennen ...
... die sogenannte Dreckzulage ...
... wurde aufgekündigt. Statusinvestition, die ja auch eine gewisse Planbarkeit voraussetzt, ist daher hier nicht mehr realistisch. Aufstiegshoffnungen wie in der einstigen Arbeiterklasse sind obsolet. Das Gesellschaftsbild ist daher häufig eher defätistisch.
Es gibt in diesem Bereich aber auch Tätigkeiten, die unverzichtbar und nicht rationalisierbar sind wie Pflege- und Betreuungsdienstleistungen, aber einen starken affektiven Kern haben. Doch auch deren Prestige ist gering. Wäre da ein Widerstandsansatz für die prekäre Klasse?
Man kann sich in der Tat fragen, wie es weitergeht mit dieser Dreiklassengesellschaft. Es gibt ja durchaus Tendenzen, dass die bisher eher entwertete Arbeit wieder aufgewertet wird, vor allem, weil Arbeitskräfte knapp sind. Die Pflegeoffensive ist dafür ein gutes Beispiel. Aber der affektive Kern, von dem Sie sprechen, kann auch hinderlich sein, weil das berufliche Selbstverständnis gerade im pflegerischen Bereich ein anderes ist als etwa auf dem Bau. Neben anderem führt es dazu, dass die Interessensvertretungen in diesem Bereich sehr schwach sind. Es ist aber durchaus denkbar, dass sich die gesellschaftlichen Bewertungssysteme ändern, dass künftig nicht mehr nur die singuläre, nicht austauschbare Wissensarbeit hohes Ansehen genießt. Das Anerkennungssystem müsste sich dafür vom Besonderen zum Allgemeinen verschieben.
Sie beschreiben in Ihrem Buch ein Phasenmodell des Liberalismus, das zwischen Regulierung, wie wir sie in der Nachkriegszeit erlebt haben, und Dynamisierung und Öffnung im Neoliberalismus pendelt. Die Phase des Neoliberalismus sehen Sie am Ende. Wie geht es weiter?
Der Dynamisierungsliberalismus ist in den vergangenen Jahren in eine grundsätzliche Krise geraten. Jetzt stehen wieder Regulierungsprozesse an im Hinblick auf soziale Ungleichheit und Infrastruktur, aber auch kulturell in Fragen des Gemeinwohls. Der Populismus bedient diese Regulierungsbedürfnisse in mancher Hinsicht sehr geschickt, aber eben in Form der antiliberalen Schließung, mit einer protektionistischen Wirtschaft à la Trump und einer homogenen Nationalkultur. Wenn der Liberalismus sich dagegen behaupten will, muss er selbst regulativer werden, eine Art einbettender Liberalismus, der die Dynamisierungsgewinne der Globalisierung und der kulturellen Heterogenität bewahrt, aber neu reguliert.
Sie schreiben, der Populismus sei eher Symptom als Lösung. Unterschätzten Sie ihn da nicht? Die Krise des Liberalismus hat in der Vergangenheit ja auch zu autoritären Lösungen geführt.
Der Populismus ist definitiv nicht zu unterschätzen. Aber ich denke und hoffe, dass mittelfristig ein erneuerter, progressiver Liberalismus die Oberhand gewinnen wird. Politische Paradigmen in der Vergangenheit waren erfolgreich, wenn sie integrativ gewirkt haben und in ihrem Problembewusstsein auf der Höhe der Zeit. Der Populismus lebt aber von Freund-Feind-Konstellationen und schließt quasi die Hälfte der Gesellschaft aus. Und er pflegt eine reaktionäre Nostalgie, die mit den Fakten der Globalisierung, der Postindustrialisierung und der kulturellen Diversität auf Kriegsfuß steht. Ein erneuerter Liberalismus geht gerade von diesen Strukturmerkmalen aus, aber müsste sie stärker gestalten, als einfach geschehen zu lassen: Das betrifft eine stärkere ökonomische Regulierung – von der Infrastruktur bis zur Entprekarisierung –, aber auch eine kulturelle Ordnungsbildung.
Sie nennen das eine Gesellschaft der Reziprozität?
Eine Kultur der Reziprozität, des Gebens und Nehmens, des Zusammenlebens mit kollektiv geteilten Grundwerten – trotz aller kultureller Differenzen –, müsste in jedem Fall ein Bestandteil einer solchen Politik sein. Es müsste darum gehen, dass Individuen mehr als nur egoistische Marktteilnehmer und mehr als nur Vertreter ihrer subjektiven Rechte sind, wie es der Dynamisierungsliberalismus vertreten hat. Sie müssen sich vielmehr als Akteure eines politischen Gemeinwesens begreifen, in dem es um eine gemeinsame Sache geht. Das lässt sich natürlich nicht einfach staatlich planen, aber ich denke, dass etwa die Fridays-for-Future-Demonstrationen ein Zeichen dafür sind, dass in der jüngeren Generation ein solcher Bewusstseinswandel im Gange ist.
Kommentare 13
Schönes Interview.
Ich finde Reckwitz klug und inspirierend, hier führt er besser als in „Die Gesellschaft der Singularitäten“ aus, woher der Wandel, den er in den 1970/80ern ansetzt zustande kommt, allerdings konnte die aufstrebende Mittelschicht auch noch in den 80ern gut im klassisch mittleren Segment leben und gutes Geld verdienen, diese Segmentierung, die er richtig sieht, kommt erst später, der Bruch begann aber eher. Warum eigentlich?
Neben den ökonomischen Gründen ist es ein schleichendes Brüchigwerden den Glaubens an der Fortschritt (ganz lapidar, dass die nächste Generation es in jeder Hinsicht besser haben wird) die uns kollektiv von den 50ern an getragen hat. Ersten Haarrissen, die bereits Anfang bis Mitte der 1970er zu spüren waren, folgten dann grobe Brüche, insbesondere die Verknüpfung von Fortschritt und Technik ging in die Binsen (Space Shuttle und Tschernobyl Explosion in einem Jahr), weitere Enttäuschungen folgten, gleichzeitig wurden mit Beginn der 1980er diverse Erzählungen stark (klassisch hier vielleicht Alice Millers: „Das Drama des begabten Kindes“; Kernideen und Kritik hier), in denen es zentral darum ging, dass man sich nicht mehr über seine Fähigkeiten definierte, sondern über seine Defizite und Beschränkungen, was der Auftakt zu einem seltsamen und bis heute ungebrochenen Wettlauf darum geht, wen es denn nun am schlimmsten getroffen hat.
Das sind in meinen Augen wesentliche und bedeutsame Ergänzungen, zu Reckwitz bemerkenswerten Analysen.
- die verlinkte kritik geht insofern an miller vorbei,
als sie die ver-ewigung schein-bar gut-bürgerlicher erziehung deckt.
die beruht auf: "du sollst nicht merken!"
- das erkennen von ein-schränkungen und defiziten
verhindert nicht per se den aufbau von kompetenzen.
- der kampf um die höchste stufe auf dem verlierer-treppchen
ist ärgerlich, aber ein phänomen, das leicht zu durchschauen/
zu kontern ist.
„Du sollst nicht merken“ (eines ihrer Nachfolger Bücher) finde ich sehr schwach, was wir aber vielleicht woanders und später vertiefen können.
„- der kampf um die höchste stufe auf dem verlierer-treppchen
ist ärgerlich, aber ein phänomen, das leicht zu durchschauen/
zu kontern ist.“
Warum tut es dann keiner, möchte man fragen. Inzwischen gibt es einige destruktive Ansätze à la „Du Opfer“, die sich da quer stellen, aber siehst Du breite konstruktive Ansätze, die evtl. auch noch zu Kulturtechniken geronnen sind? Ich sehe noch immer eine Inflation der Opfererzählungen., manchmal, aber eben längst nicht immer, mit einer neuen Prekarisierung verbunden.
So oder so, auch Dir nen guten Rutsch, ich muss gleich noch mal an die Front.
- das öffentliche aus-erzählen/bezeugen der opfer-erfahrung
ist oft die grundlage
fürs übernehmen von verantwortbarer verantwortung.
im personalen und nationalen bereich.
was zu-gerechnet/zu-gemutet wird, muß auf ein maß des erträglichen
heruntergearbeitet, besprochen werden,
damit verschüttete/fixierte energien frei-werden können.
vorwürfe gegen die welt
kommen meist aus grandiosen nebulös-dominierenden fantasien,
die un-bearbeitet/un-ausgewogen sind.
ich wünsche Dir erträgliche fron(t)-arbeit.....
„- das öffentliche aus-erzählen/bezeugen der opfer-erfahrung
ist oft die grundlage
fürs übernehmen von verantwortbarer verantwortung.“
Sehe ich auch so.
„im personalen und nationalen bereich.“
Oder in einem Zusammenfließen, so dass man sich als Teil einer marginalisierten Gruppe, Nation, Gemeinschaft versteht.
„was zu-gerechnet/zu-gemutet wird, muß auf ein maß des erträglichen
heruntergearbeitet, besprochen werden,
damit verschüttete/fixierte energien frei-werden können.“
Das Problem ist nur, dass manchmal schon die Einladung zum mitmachen oder die bloße Erwähnung, dass man etwas aus eigener Kraft schaffen könnte schon – ich überspitze etwas – in den Rang eines Verbrechens gehoben wird.
„vorwürfe gegen die welt
kommen meist aus grandiosen nebulös-dominierenden fantasien,
die un-bearbeitet/un-ausgewogen sind.“
… und es gibt nicht wenige, die schlicht leugnen, dass das ein irgendwie relevantes Problem ist.
„ich wünsche Dir erträgliche fron(t)-arbeit.....“
Heute wird es eher nicht so witzig, aber das weiß man immer erst nachher, insofern, danke.
Der Begriff „postindustriell“ ist so treffend wie unpassend. Reckwitz beschreibt die Veränderung des Spätkapitalismus als Transformation der Arbeits- in die Dienstleistungsgesellschaft, in der der Anteil der Industriearbeiterschaft dramatisch rückläufig ist. Und er sieht den Prozeß der Stratifikation in Singularitäten münden. Also einmal das Ausdünnen der Belegschaft und die Substitution von einfacher Arbeit durch hochqualifizierte. Zum anderen die Radikalisierung des Marktindividualismus zum Singularismus. Da kann man naheliegenderweise vom kognitiven und kulturellen Kapitalismus sprechen. Zu bedenken ist aber, daß das nur die schon immer vorhandene Tendenz des Kapitalismus ist, seit der relativen Mehrwertproduktion und der Selbstimmunisierung durch einen smarten Kapitalismus. Und auf der Konsumentenseite bleibt der Kapitalismus Industrialismus, industrielle Massenproduktion, zB die Massenproduktion von Information (und Desinformation). Gerade der Informations- oder Überwachungskapitalismus ist hochindustriell, wenn auch auf neue Weise zentral-dezentral.
Es ist sehr vernünftig, sich nicht blenden zu lassen und in der Stratifikation (bis zur Singularisierung) nicht die Aufhebung der Klassengesellschaft, sondern ihre raffiniert ideologische Verschleierung zu sehen. So bleibt im Blick, daß die Mittelklasse nicht verschwindet, sondern sich transformiert. Allerdings fehlt mir ein noch wichtigerer Effekt, nämlich die veränderte Gewichtung. Schon im klassischen Kapitalismus ist die Selbstwahrnehmung der Gesellschaft als einer bürgerlichen mit einem Zentrum der Mitte und (gewissermaßen naturbedingten) schwachen unteren und oberen Rändern mehr Ideologie als Wahrheit, der Illusionismus gipfelte in der „integrierten Mittelstandsgesellschaft“, aber er war nachvollziehbar in der Phase der Konkurrenz mit dem Ostblock, in der der Sozialstaat die schärfste Waffe des Westens war.
Der Kapitalismus hat sich von dieser disziplinierenden Geisel befreit, mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus entfaltet sich der Kapitalismus seiner eigenen Logik gemäß, und das heißt, das Unten wird immer größer, das Oben immer dünner, die Mitte rutscht mehrheitlich nach unten, minderheitlich nach oben. Insgesamt ist die Stratifikation so fein, daß man von einer kontinuierlichen Wohlstandsverteilung in Tropfenform reden kann, vereinfacht von einem Armutsbauch. Das wäre mE den Piketty-Statistiken und den Studien von Reckwitz zu entnehmen.
Schon im klassischen Kapitalismus ist der Konsum Statussymbol, Distinktionsmerkmal. Das hat allerdings immer so funktioniert, daß die Gesellschaft nicht in Autobesitzer und -nichtbesitzer differenziert war, sondern in die Mercedesklasse und die Käfer-(heute: Golf-)klasse mit immer mehr Zwischenstufen, vielleicht führt die Anpassung an die neue Armut, leider nicht an die Vernunft, ja dazu, daß der Elektroroller, so wie das Fahrrad in den armen Ländern, zu dem neuen Massenverkehrsmittel wird, die Begeisterung fürs Auto hat merklich abgenommen.
Die Rolle der Bildung in der neuen Ressourcenverteilung wird richtig von Reckwitz angesprochen. Die höher gebildeten Aufsteiger aus der Mittelschicht entsolidarisieren sich noch mehr von der Gesamtgesellschaft als es die bürgerliche Mitte war, sie sehen sich nicht ganz zu unrecht als die Leistungsträger (und Elite) der Gesellschaft, die sozialen menschlichen Leistungen, die die tatsächlichen Grundlagen des Lebens bilden, sind zur Privatsache entwertet worden. Das fällt jedoch nicht auf in einer Gesellschaft, in der der individuelle Konsum, dieser Singularismus, zum Leitwert geworden ist.
Was Reckwitz dann beschreibt, ist logische Folge dieser Entwicklung. Die Illusion, daß die Mitte für die ganze Gesellschaft sprechen könnte, ist endgültig verloren, selbst die Menschenrechte werden arbiträr. Die neuen besseren Kreise entwerfen gemäß ihrer Möglichkeiten ihre eigenen Lebensentwürfe. An dieser Stelle nun, wo Reckwitz den Umschlag der 68-er Norm der Linken in die Leitkultur der sich immer noch irgendwie links fühlenden neuen bürgerlichen Referenzklasse beschreibt, wird er schwammig, vielleicht fehlt ihm das dialektische Verständnis des Zusammenhangs von Gesellschaftlichkeit und Individuation. Denn die 68-er haben gewußt, daß die reiche Gesellschaft die Grundlage der Individuation ist, daß Singularitäten politisch, nicht die Befreiung von Politik sind.
Um diesen Kommentar nicht zu lang werden zu lassen, belasse ich es bei dem bisher gesagten. Nur anzumerken wäre der Hinweis auf die Veränderungen in der kapitalisierbaren Produktion und die Zukunft des Liberalismus, hier zeigt sich die Schwäche von Reckwitz am deutlichsten, nicht die Notwendigkeit zu Paradigmenwechsel und Revolution erkennen zu können.
"Auf nichts verzichten"
Wo war das noch gleich? Was soll uns das? Überhaupt: Die Mitte im Widerstreit - das ist doch 70er-Jahre! Wo leben Sie, Herr Reckwitz?
Klassen hie, Klassen dort, Klassen in jeder Hosentasche... Meine Güte, was für ein Nonsens! Kein Wunder, dass die resultierende Perspektive nur romantisches Gelaber ist: Man müsste, man sollte, bla bla
Das soll eine Analyse sein? Öffnen und Schließen des Mundes triffts m.E. besser. Und das ist noch geschmeichelt.
"Es lähmt sie der, auch hier im Forum anklingende Rumpelstielchentanz (...)"
Trotz größtmöglicher Nebulösität Ihres Beitrags fragt sich, wie die paar Splittergrüppchen das denn bewerkstelligen sollten ... Ist natürlich Schwachsinn. Groteske Überzeichnung gehört aber zum Antikommunismus wie Ihre übrigen Diffamierungen. Archetypischer gehts kaum. Rote Grüße!
Ja, da setzen Sie glatt noch eins drauf! Den Kommunismus der SPD kritisieren Sie ... Das ist zwar nicht wirklich interessant, aber allemal drollig. Jubeln Sie ruhig.
Und Sie setzen noch eins drauf. "Sozialistische Phantasien" kritisieren Sie. Kommunismus wäre dann was? Teufelswerk wie für Ebert?
Wenn Sie die vergangenen 20 Jahre sozialdemokratischer Politik revue passieren lassen, sollte Ihnen aufgefallen sein, dass genau der klägliche Versuch einer "vernünftigen" sprich kapitalfreundlichen Politik alle solchen Parteien an den Rand des Untergangs und darüber hinaus gefüht hat. Das war wohl eher der Schlüssel zum Sargdeckel. Nochmal rumgedreht und der tote Patient riecht die Radieschen von unten.
Wahlprogramme sind Dienstleistungsangebote. Durch Wahlen entsteht Dienstleistungsvertrag. Demokratie könne beginnen, wenn Politiker juristisch verantwortlich handeln - müssen, wie andere Dienstleister auch !?
Ja. Zu lang. Aber gut! Hab' ich leider überlesen.
Ich gestehe, dass ich Rechwitz' Bücher nicht kenne. Die Veröffentlichungen, die ich von ihm kenne, zeigen aber durchweg ein erschreckend beliebiges Klassenverständnis. Der Begriff ist nicht in Stein gemeißelt aber wenn dann die Klasse im Individuum verschwindet, bleibt unerklärlich, woher das Ausbeutungsverhältnis rührt oder zumindest, wie es denn den Prozess der Stratifikation in Singularitäten (der bereits geraume Zeit vor sich geht) so offenbar schadlos übersteht.
Ich beharre daher im Widerspruch zu Reckwitz darauf, dass die Klassen eben doch aus dem Verhältnis zu den Produktionsmitteln erwachsen und das Bourdieu'sche Bildungskapital nicht in Form von Bildung sondern von Bildungschancen existiert. Solange aber dem Proletariat seine Klassenform verborgen bleibt, regnen diese einfach herab und sind tendenziell Vehikel der bürgerlichen Propaganda.
Das Proletariat kann im Kapitalismus nicht untergehen, es verändert sich nur dauernd.
Wir leben in einer erstaunlichen Zeit, in der es für alle kinderlosen Paare möglich wurde, Eltern ihres Kindes zu werden. Vielleicht gibt es in Europa Probleme mit dem gesetzlichen Rahmen, gerade weil es in diesem schwierigen Bereich einen Mangel an professionellen Ärzten gibt. Genetik und Fortpflanzung sind keine Witze. Ich hatte das Glück, eine Klinik in der Ukraine zu finden, wo ich die Dienste der Leihmutterschaft in Anspruch nehmen konnte. Es handelt sich um die Klinik von Professor Feskov in Charkiv, sie wird auch Feskov Human Reproduction Group genannt. Dank professioneller Ärzte wurde ich die Mutter eines wunderschönen Jungen. Es gab keine Probleme, die Ukraine und die Dokumente zu verlassen. So kann ich allen Zweiflern sagen: Haben Sie keine Angst, Sie können bis ans Ende der Welt gehen, um Ihr Kind zu holen, und die Ukraine ist nicht das Ende der Welt.
Vor kurzem habe ich ein ukrainisches Gesetz über Leihmutterschaft gefunden, das ins Deutsche übersetzt wurde. Sehr nützliche Informationen, ich rate allen, die an diesem Thema interessiert sind, sie zu lesen. https://leihmutterschaft-zentrum.de/pdf/leihmuttershaft_law.pdf