Aufgemischt

Stammzellforschung Die Beruhigungsfront wird von einer erneuten Klondebatte erschüttert

Mittlerweile haben wir uns gewöhnt an die allwöchentlichen "Durchbrüche" in der Stammzellforschung, die unsere Zeitungslektüre begleiten: In den vergangenen Wochen kam die ultimative Verjüngung" und "Heilung" mal aus reprogrammierten Hautzellen, mal aus embryonalen Stammzellen, die einem Embryo "absolut schonend" und ohne ihn zu zerstören entnommen worden seien. Dass kein Mensch mehr, wenn er in der Materie nicht sehr bewandert ist, bei den konkurrierenden Verfahren durchblickt und den Grad ethischer oder medizinischer Risiken beurteilen kann, ist ein Effekt dieses Dauerbeschusses. Gleichzeitig haben die Versprechen wenig an der Einstellung der Bevölkerung zur verbrauchenden Embryonenforschung geändert: Noch immer sind rund zwei Drittel der Bevölkerung der Meinung, dass sich deutsche Wissenschaftler nicht an der verbrauchenden Embryonenforschung beteiligen sollten.

Dass an dieser "konservativen" Haltung nicht einfach vorbeizugehen ist und die Leute die schlechten Mittel nicht abzusegnen bereit sind zugunsten eines längst nicht absehbaren guten Zwecks, scheint nun selbst in den Laboren angekommen zu sein. Wo noch unmittelbar embryonales Material in die Petrischalen gelangt - wie im Fall des Forscherteams um Robert Lanza, der für das US-Unternehmen Advanced Cell Stem arbeitet -, beeilen sich die Beteiligten zu versichern, dass dabei kein Embryo zu Schaden gekommen sei und nur verhältnismäßig wenige menschliche Eizellen verbraucht wurden. So die neuralgischen Punkte umschiffend, scheint es niemand mehr zu interessieren, dass das Experiment nur geglückt war, weil es sich bei den Eizellspenderinnen um "sehr junge Frauen" handelte und die zum Einsatz gekommene Zellbiopsie - vergleichbar mit der Präimplantationsdiagnostik - ein hierzulande verbotenes Verfahren ist.

Aber auch die reprogrammierten Stammzellen aus Hautgewebe (induzierte pluripontente Stammzellen, iPS), an denen auch deutsche Wissenschaftler intensiv arbeiten, sind medizinisch nicht unbedenklich. Vorausgesetzt, sie finden im therapeutischen Alltag überhaupt Anwendung, können die mittels Retroviren in den Körper eingeschleusten Zellen (Gentransfer) auch auf unerwünschte Weise aktiv werden und etwa das Wachstum von Krebszellen anregen.

Die wissenschaftliche Beruhigungsfront wird nun allerdings wieder aufgemischt durch eine neue Meldung aus Kalifornien: Dort behauptet eine Forschergruppe, aus Fibroblasten der Haut einen menschlichen Embryo geklont zu haben. Dabei wird in eine entkernte Eizelle - die Spenderinnen sind auch in diesem Fall "junge gesunde Frauen" - ein Chromosom eingepflanzt und die Eizelle zur Teilung gebracht. Diesen so genannten Zell-Nukleus-Transfer hatte schon der koreanische Forscher Hwang angeblich erfolgreich angewandt, war dann allerdings der Fälschung überführt worden.

Warum aber ethisch bedenkliche Verfahren, wenn es auch einfacher und risikoloser geht? Und warum will der Bundestag am Stammzellgesetz drehen und den Stichtag für embryonale Forschungsstammzellen vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007 verlegen, wenn ES-Zellen doch angeblich überflüssig sind? Einen Hinweis geben die mit der Materie vertrauten Forscher selbst: Die Forschung an ES-Zellen sei auch weiterhin notwendig, "zu Vergleichszwecken". Es gibt, lässt sich daraus folgern, offenbar überhaupt keine Stammzellforschung, ohne sich die Hände an Embryonen schmutzig zu machen.

Drei konkurrierende fraktionsübergreifende Anträge werden die Abgeordneten demnächst beschäftigen: Die von Forschungsministerin Schavan unterstützte Initiative, den Stichtag zu verschieben, der FDP-Vorstoß, den Stichtag völlig zu streichen und eine kürzlich überraschend ins Leben gerufene Allianz, die eine Lockerung des Stammzellgesetzes verhindern will und bereits von 115 Abgeordneten unterstützt wird. Es könnte noch einmal spannend werden in der bioethischen Debatte - trotz aller "Durchbrüche".

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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