Beschaffungskriminalität

Stammzellenforschung Der Skandal um den südkoreanischen Klonforscher Hwang und der Wettlauf der deutschen Wissenschaft

Ob das Timing günstig war, sei einmal dahingestellt. Doch nachdem es - zumindest in Deutschland - nach Jahren aufgeregter Debatte um die Stammzellforschung etwas ruhiger geworden ist und es schien, als ob sich die deutschen Forscher mit dem Stammzellimportgesetz abgefunden hätten, forderten führende deutsche Wissenschaftler auf dem diesjährigen Forum der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin in Berlin wieder einmal "Frischzellen". Das ihnen nach den Stichtagsregelung zur Verfügung stehende Material - also embryonale Stammzellen, die vor dem 1.1.2002 gewonnen wurden - sei hoffnungslos alt, genetisch verunreinigt und auf keinen Fall geeignet, therapeutisch eingesetzt zu werden. Deutschland, so die bekannte Klage, gerate aufs wissenschaftliche Abstellgleis und ausgewiesene Spezialisten wichen aufs liberalere Ausland aus.

Pikant ist der Zeitpunkt deshalb, weil einer der international bekanntesten Stammzellforscher - der Südkoreaner Hwang Woo-Suk - die gesamte Zunft kürzlich in schwere See gebracht hat. Hwang, der zusammen mit seinem Kollegen Shin Yong Moon im Februar 2004 weltweit erstmals geklonte embryonale Stammzellen gewonnen hatte und in seinem Land als Nationalheld gilt, räumte ein, bei der Durchführung seiner Klonexperimente sowohl gegen internationale Abkommen als auch gegen Richtlinien in seinem eigenen Land verstoßen zu haben. Das sogenannte therapeutische Klonen ist weltweit umstritten, weil dabei Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken erzeugt und vernichtet werden.

Schon kurz nachdem die Nachricht von den sensationellen Erfolgen Hwangs um die Welt ging, wurde darüber spekuliert, wie das Team an die 16 Frauen, die die notwendigen 256 Eizellen gespendet hatten, gekommen sein mag. Immerhin müssen sich die Betroffenen einer langwierigen Hormontherapie unterziehen, und die Entnahme der Eizellen ist schmerzhaft und nicht ohne Risiko. Wer also sollte sich einer solchen Prozedur unterziehen, ohne dazu genötigt zu werden oder daraus Vorteile zu ziehen? Das Wissenschaftsmagazin Nature berichtete schon im Mai 2004, unter den Spenderinnen hätte sich auch Instituts-Mitarbeiterinnen befunden. Hwang hatte dies - mit Rücksicht auf deren Privatsphäre, wie er sich heute verteidigt - immer bestritten und versichert, die Spenden seien freiwillig und unentgeltlich erfolgt. Mittlerweile bestätigte aber nicht nur der Verdacht gegen Hwang, es stellte sich auch heraus, dass den übrigen Spenderinnen für ihre Dienste ein Honorar von rund 1.200 Euro bezahlt worden war - von Roh Sung-il, dem Leiter des Krankenhauses in Seoul, der die Eizellen entnommen hatte und als Mitautor der Studie am wissenschaftlichen Ruhm partizipierte.

Nun vergießen Roh Sung-il und Hwang Woo-Suk Krokodilstränen. Ohne finanziellen Anreiz, so Roh, sei es auch in Korea schwierig, Frauen zu finden, die ihre Eier spenden, selbst wenn sie vom Nutzen der Forschung überzeugt werden könnten. Hwang ist mittlerweile von seinen öffentlichen Ämtern zurückgetreten, und es spricht für die koreanische Aufsicht, dass die Angelegenheit nicht vertuscht wurde.

Doch über die koreanischen Turbulenzen hinaus hat die Gischt auch die internationale Forschungsgemeinschaft erfasst. Gerhard Schatten von der Universität Pittsburg, einer der wichtigsten Kooperationspartner Hwangs, sah sich veranlasst, die Zusammenarbeit aufzukündigen. Er habe seinem koreanischen Kollegen geglaubt und sei nun enttäuscht, gab er zu Protokoll. Eigenartig nur, dass noch im Oktober Wissenschaftler aus den USA, Großbritannien und Südkorea die an der Universität von Seoul angesiedelte Stiftung World Cell Stem Foundation gründeten, mit dem Ziel, das therapeutische Klonen voranzutreiben und die Kollegen mit geklonten Stammzellen zu versorgen. Hwang wollte die Zellen sogar patentfrei abgeben. Wenig Gedanken haben sich die Initiatoren offenbar darüber gemacht, woher die Eizellen kommen sollen, die für die Herstellung benötigt würden. Ob auch sie auf den Altruismus der koreanischen Frauen vertraut haben?

Der Skandal um Hwang und seine Kollegen lehrt, dass auch und gerade in der Wissenschaft die Misstrauenslatte gar nicht zu hoch angelegt werden und jeder Verdacht von der Wirklichkeit nicht noch überholt werden könnte. Man sollte meinen, der Fall Hwang hätte die deutschen Stammzellforscher nachdenklicher gestimmt. Das Gegenteil scheint der Fall. Als ob der Rückschlag des Konkurrenten ihnen nun zum Vorteil gereiche.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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