Die sogenannte Fortbildungsveranstaltung auf der griechischen Insel ist das berühmteste Beispiel. Es kann aber auch die „Aufwandsentschädigung“ für eine sogenannte Beobachtungsstudie sein. Oder eine „Kooperationsvereinbarung“ mit einem Labor. Beliebt sind auch diskrete „Überweisungsprämien“, mit denen sich Krankenhäuser für die gezielte Zuführung von Patienten bedanken. Oder ein Pharmaunternehmen „unterstützt“ eine Selbsthilfegruppe, die dann ein bestimmtes Medikament bewirbt: Die kriminelle Energie ist fantasievoll, wenn es darum geht, Geld aus der Kasse der Solidargemeinschaft in die Taschen von Ärzten oder anderen auf dem Gesundheitsmarkt tätigen Heilern umzuleiten. Aus der sprudelnden Quelle der 300 Milliarden Euro, die alljährlich im System umgeschlagen werden, lässt sich schöpfen. Wie viel in dunklen Kanälen verschwindet, weiß niemand genau zu sagen, Experten schätzen zwischen zehn und zwölf Milliarden Euro.
Schamlose Bereicherung
Gemessen an diesen Größenordnungen ist es an sich schon ein Skandal, wie lange die Politik benötigt hat, dieser schamlosen Bereicherung etwas entgegenzusetzen. Zwar hatte die SPD noch in Zeiten der Großen Koalition einen Vorstoß unternommen, war mit ihrem Vorschlag für ein Antikorruptionsgesetz aber an der Union gescheitert. Ein neuerlicher Versuch der Sozialdemokraten, Abrechnungsbetrug oder Vorteilsnahmen als unlauteren Wettbewerb zu verfolgen, verlor sich in der schwarz-gelben Regierungsära im parlamentarischen Sand. Das war 2013, kurz nachdem der Große Senat des Bundesgerichtshofs entschieden hatte, dass Ärzte nicht als Amtsträger anzusehen und deshalb strafrechtlich nicht belangbar seien. Die von der FDP gestellten Gesundheitsminister wollten Korruption ohnehin nur über das Sozialgesetzbuch geregelt sehen und damit den gesamten Bereich der Privatversicherung verschonen.
Im Sommer hat das von der SPD geleitete Justizministerium nun endlich den lange erwarteten Gesetzesentwurf für ein Antikorruptionsgesetz, an dem auch einige Bundesländer mitgearbeitet haben, auf den Weg gebracht. Der Betrug auf Rezept und die Verschwendung von Milliarden müssten endlich ein Ende haben, so Justizminister Heiko Maas. Bestechlichkeit nicht nur von Ärzten, sondern auch Angehörigen anderer medizinischer Heilberufe soll künftig mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden. Das gälte also auch für Heimleiter, die sich für die Bestellung bestimmter Rollatoren schmieren lassen oder die umgekehrt Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes für höhere Pflegestufen oder die bessere Bewertung ihrer Einrichtung honorieren. Wie hoch der Schaden durch Korruption in diesem Bereich ist, ist allerdings gar nicht festzustellen, weil bislang kein bundesweites Register existiert, in dem solche Verstöße zusammengefasst werden, wie die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland beklagt.
Für Transparancy geht der Gesetzesentwurf zwar in die richtige Richtung, doch die NGO bemängelt, dass die Strafverfolgung von einem Strafantrag abhängt und Korruptionsverdacht nicht automatisch von der Staatsanwaltschaft verfolgt wird, wie es auch Bayern gewünscht hätte. Außerdem ist der Kreis, der einen Strafantrag stellen kann, beschränkt auf Berufsverbände, Kammern, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen.
Der Bundesrat, der zwar nicht zustimmungspflichtig ist, den Entwurf jedoch beraten hat, will daran grundsätzlich nichts ändern, sondern nur den Kreis der Antragsberechtigten auf die gesetzliche Unfall- und Rentenversicherung ausgeweitet sehen.
In einem anderen Punkt jedoch hat der Bundesrat die Kritik aus der Zivilgesellschaft aufgenommen. Es sei in der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, dass zwar materielle Schäden durch Korruption bestraft würden, nicht aber die gesundheitlichen Auswirkungen für Patienten. Denn die Abgabe etwa eines Medikaments, die sich am Gewinn des Arztes und nicht am Wohl des Patienten orientiert, kann ebenfalls gravierende Folgen nach sich ziehen.
Aber auch im Fall des im Juni bekannt gewordenen Abrechnungsskandals, in den zwei Arztpraxen und ein Teil des Klinikums Vivantes in Berlin-Spandau verwickelt waren, könnte nicht nur von Betrug, sondern auch von Körperverletzung gesprochen werden. Die Ärzte hatten Patienten mit Gewichtsproblemen einer 8.000 Euro teuren Operation unterzogen, ohne zuvor schonendere Möglichkeiten der Gewichtsreduktion zu prüfen und in Betracht zu ziehen. Es entstand ein Schaden in Millionenhöhe. Derartig gravierende Fälle von Bestechung und Bestechlichkeit sollen nach Willen des Bundesrats mit fünf Jahren Haft geahndet werden.
Einige Schlupflöcher bleiben
Zu erwarten war, dass die auf dem Gesundheitsmarkt tätige Industrie aufschreit und Arbeitsplätze in großer Gefahr sieht. Die Mediziner-Lobby wiederum sieht sich schon wieder unter Generalverdacht gestellt und die Jagd auf Ärzte und Apotheker eröffnet. Der Bundesverband der niedergelassenen Kardiologen beispielsweise glaubt seinen Berufsstand gegenüber Architekten oder Steuerberatern diskriminiert, die in derselben Situation auch weiterhin straffrei bleiben. Allerdings gehen die auch nicht ständig mit dem besonderen Vertrauensverhältnis zu ihren Auftraggebern hausieren. Eben diesen durch Korruption begangenen Vertrauensbruch zu bestrafen, hatte Jörg Engelhard vom Berliner Landeskriminalamt schon vor einigen Jahren angemahnt.
Ob das Gesetz Wirkung zeigt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es fällt den Strafverfolgern schwer, sich im Abrechnungsdschungel der Gesetzlichen Krankenversicherung durchzukämpfen und Korruption überhaupt nachzuweisen. Die Krankenkassen, die dies leisten könnten, sind wiederum bestrebt, ihre Personalkosten niedrig zu halten.
Auch das geplante Gesetz lässt Schlupflöcher, etwa in Form erlaubter Kooperationsverträge im Rahmen von Forschungsvorhaben. Gar nicht zu sprechen von den individuellen Gesundheitsleistungen, die in den deutschen Arztpraxen ganz legal an die Frau und den Mann gebracht werden. Sie sind oftmals nachweislich überflüssig und haben keinen medizinischen Nutzen. Der Kuchen ist immer noch so groß, dass er auch die weißen Schäfchen ernährt.
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