Bitte nicht weiblich!

Kommentar Gekürt: Angela Merkel als erste deutsche Kanzlerkandidatin

In der Berufsforschung gibt es ein Theorem, das besagt, dass ein Beruf um so mehr an Reputation verliert (und auf der Einkommensskala sinkt), je mehr Frauen darin beschäftigt sind. An den einst angesehenen Beruf des Sekretärs beispielsweise, der vom Heer der Tippmamsells ersetzt wurde, erinnert heute höchstens noch der UN-Generalsekretär. Nimmt man diesen Gedanken für einen kurzen Augenblick ernst, dann müssten wir uns um das Ansehen des Kanzleramtes Sorgen machen: Denn die Nominierung von Angela Merkel als Kanzlerkandidatin könnte ein Indiz dafür sein, dass das politische Personal an der Spitze gleichgültig zu werden beginnt.

Aber noch etwas geben die Berufsforscherinnen der Kanzlerkandidatin mit auf den Weg: Sie sagen, dass eine Frau in einem Männerberuf tagtäglich bemüht sein muss, die Differenz durch Überanpassung zu negieren. Deshalb reagieren Managerinnen und andere Funktionsträgerinnen oft auch gereizt, wenn man sie auf ihr besonderes "weibliches" Berufsvermögen anspricht: Differenz kann für Frauen absolut gefährlich werden. So gesehen hat Angela Merkel ein kaum lösbares Problem: Sie muss, zumal als Frau aus dem Osten, verwischen, dass sie "anders" ist und gleichzeitig den nachteiligen Eindruck zerstreuen, dass die CDU derzeit mit jeder Pappnase an der Spitze die Wahl gewinnen würde.

Also müsste man ihr raten, Differenz deutlich zu machen, ohne "weiblich" zu wirken. Verständnis für die Nöte der von ihr beschworenen "Menschen"? Lieber nicht. Empathie für sozial Benachteiligte? Weibliche Schwäche. Ökologisches Gewissen, Pazifismus? Gefühlsduselei!

Haben wir´s also geschafft! Endlich eine Frau im Großlabor der Macht, umstellt von den gescheiterten Pappnasen, die ihr schon jetzt mit "Ratschlägen" drohen. Will sie nicht riskieren, dass das Stolperwort "Kanzlerin" zu ihrem Stolperstein wird, muss sie die Jungs um jeden Preis überbieten in Sachen sozialer Kälte, kriegerischer Härte, politischer Rücksichtslosigkeit.

Wenn sie scheitert, werden schon immer alle gewusst haben, dass das nicht gut gehen konnte mit einer Frau an der Spitze, noch dazu einer aus dem Osten, die nun das Amt beschädigt hat. Zieht sie das Ding durch, werden wir uns voraussichtlich lange Zeit keine Kanzlerin mehr wünschen. Das wird, wie einst in Großbritannien, die Prime Time soft gewandeter Sozialdemokraten.

"Haben wir dafür gekämpft?!", schrieb dieser Tage eine alte frauenbewegte Freundin. Seitdem Angela Merkel wieder lächelt, ist sie mir nicht sympathischer geworden. Ich finde, wir hätten Besseres verdient, auch wenn man das Personal nicht übertrieben ernst nimmt.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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