Bitten? Nein danke

Spagat Andreas Westerfellhaus ist der neue Pflegebeauftragte – und kontert Jens Spahn
Ausgabe 17/2018
Mit „ganzer Kraft“ will sich der 61-Jährige für die Pflegebedürftigen und die Belange der Pflegekräfte einsetzen
Mit „ganzer Kraft“ will sich der 61-Jährige für die Pflegebedürftigen und die Belange der Pflegekräfte einsetzen

Foto: Imago

Er tritt selbstbewusst auf. Will ein Zeichen setzen in seiner neuen Rolle als „Bevollmächtigter der Bundesregierung für Pflege“, etwas populärer: als Pflegebeauftragter. Er empfinde sein Amt tatsächlich als Auftrag, sagt Staatssekretär Andreas Westerfellhaus auf der Pressekonferenz zu seiner Einführung und macht deutlich: „Ich bin kein Feigenblatt.“ Mit „ganzer Kraft“ will sich der 61-Jährige einerseits für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen und andererseits für die Belange der Pflegekräfte einsetzen. Er wolle zeigen, sagt Westerfellhaus, „dass Pflege nicht nur ein Abschnitt am Lebensende ist, sondern jeden in jedem Lebensalter treffen kann“.

Ein Spagat, der nicht einfacher wird angesichts der vielen sonstigen Akteure, die in der Pflege mitmischen: Krankenkassen, Pflegeheime, ambulante Dienste und andere. Und die Politik sowieso. Mit dem bisher in einem Ausbildungsinstitut für Berufe im Gesundheitswesen in Gütersloh tätigen Westerfellhaus hat der aus Ahaus stammende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun eine echte „Westfalen-Connection“ geschmiedet.

Acht Jahre lang war der gelernte Krankenpfleger Westerfellhaus, der später studierte und sich der Pflegeausbildung zuwandte, als Nachfolger von Marie-Luise Müller Präsident des Deutschen Pflegerats. Das war zu einer Zeit, als man es sich als Gesundheitsminister auf einschlägigen Großkongressen noch leisten konnte, nur über Mediziner zu sprechen und nicht über die Pflege. Diese Zeiten sind längst vorbei. Das Sozialwesen insgesamt ist ein boomender Wirtschaftssektor, zwischen 1990 und 2015 ist er um 140 Prozent gewachsen und die Zahl der Beschäftigten hat sich in dieser Zeit verdoppelt, nicht zuletzt durch Pflegekräfte, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kürzlich mitteilte.

Dagegen erreichen die Löhne in diesem Bereich nur 60 Prozent des Durchschnittslohnes, und ganz abgeschlagen sind die Einkommen in der Pflege. „Es wird viel von der Wertschätzung der Pflege geredet, aber man muss auch davon leben können“, steckt Westerfellhaus die Kampfarena ab und kritisiert, dass neuerdings in Universitätskrankenhäusern die Pflegeleitung abgeschafft und die Pflege der ärztlichen Leitung unterstellt würde. „Pflegekräfte sind aber nicht nur die Handlanger anderer Professionen.“

Höhere und verbindliche Tariflöhne, bessere Arbeitsbedingungen, dafür will er einstehen. Denn international sei Deutschland ein Schlusslicht und für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland sei es gar nicht so attraktiv, hierzulande zu arbeiten, kontert er die angekündigte Anwerbe-Initiative Spahns. Deutschland habe in den letzten Jahrzehnten 10.000 Pflegekräfte ganz oder in die Teilzeit verloren, die gelte es zurückzugewinnen.

Westerfellhaus macht deutlich, dass sich die Strukturen an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen auszurichten haben. Steigende Tarifeinkommen sollen also nicht zulasten der Betroffenen gehen, dafür müssen die Solidargemeinschaft oder die Steuerzahler einstehen. Wichtig ist ihm, dass Entlastungen für beide Seiten möglichst bald spürbar werden. Weder Pflegebedürftige noch Pflegekräfte seien Bittsteller.

Das gilt auch für das Gutachterwesen. Er könne sich schon vorstellen, sagt er auf Nachfrage, den Medizinischen Dienst nach dem Vorbild der Verbraucherzentralen zu organisieren. Der Clinch mit den Krankenkassen, in deren Auftrag der MDK heute arbeitet, wäre damit vorprogrammiert.

Doch Westerfellhaus ist eben nur ein Beauftragter, kein Politiker. Vielleicht kann er mit ein paar PS voranpreschen, etwa wenn es um die Etablierung einer einflussreicheren Selbstvertretung, einer Bundespflegekammer nach dem Vorbild der Bundesärztekammer, geht. Oder um die Organisation der Pflegeausbildung. Die Gesetze machen andere. Am wichtigsten ist vielleicht, dass er, wie er sagt, alte Besitzstände in Frage stellt. Und zeigt, dass es nicht nur Skandale gibt in der Pflege, sondern auch viel Good Practice.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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