Bei den Katholiken führte einst der Weg ins Himmelreich über den Ablass. Im Lutherjahr demonstrieren Christen beider Konfessionen die moderne Variante: Für sechs Milliarden Euro an Erdoğan oder 1,2 Milliarden Euro an den afghanischen Finanzminister Hakimi kauft man sich von den lästigen Seelen los, die es trotz aller Hindernisse und Grenzzäune in die Bundesrepublik geschafft haben. Sie werden auf „sicheren Inseln“ ausgesetzt, bei deren Verortung selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizière ins Straucheln gerät. Aber wie schon beim Glauben hilft auch hier das Mantra.
Abgerissen die Thesen der Humanität an den Pforten nicht nur der Christdemokraten. Weggespült die Vorstellung, dass wie bei Platon das europäische Gastmahl den Fremden willkommen heißen könnte. Spätestens seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ist aus dem hilfsbedürftigen Fremden die Figur des aggressiven „Gefährders“ geworden. Es ist ein Begriff, den der Duden erst noch aufnehmen muss. Die „Gefährder“ werden erfasst, indem man ihre Handys durchforstet nach ihrer vermuteten Identität und ihrem Gefährdungspotenzial. Das Bundesamt für Migration soll künftig die Mobiltelefone von Flüchtlingen auslesen dürfen nach Daten ihrer Herkunft und ihrer Pläne. Und wer in die Kategorie des „Gefährders“ fällt, muss damit rechnen, mit elektronischen Fußfesseln durchs Land zu laufen. Das Rechtsstaatsprinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ soll für diese Personen nicht gelten.
Die unzweifelhaft vorhandenen „Gefährder“ liefern aber auch den Vorwand, friedfertige Geflüchtete, die lediglich das Pech hatten, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde, unter Beobachtung zu stellen. Selbst wenn sie schon lange hier leben, geraten sie nun in den Bannkreis der Abschiebeverdächtigen, ihr Bewegungsradius wird extrem eingeschränkt, um sie baldmöglichst „gesammelt“ in ihre Heimat zurückzuführen.
Über der überparteilich wirkenden AfD-Hysterie ist alle Rechtsmetrik auf der Strecke geblieben, und auch die föderale Grundlage, auf der diese Republik beruht, gerät ins Wanken. Ganz offen spricht de Maizière aus, worum es ihm geht: den Ländern die vollziehende Gewalt bei der inneren Sicherheit so weit wie möglich zu entreißen. Bayern reagiert in vorauseilendem Gehorsam mit besonders scharfem Vorgehen, andere Länder wie Schleswig-Holstein zeigen noch ein Fünkchen Zivilcourage gegenüber diesen Zumutungen. Vom Trauerspiel Baden-Württemberg, wo sich die Chefin der Grünen Thekla Walker zur Erfüllungsgehilfin des „Flüchtlingspakts“ macht, will man gar nicht reden. Sie schwadroniert von „Pflicht“, der der zivile Ungehorsam unterzuordnen ist.
Dass sogenannte „Gefährdergesetze“ wie die in Bayern geplante Regelung „zur effektiveren Überwachung von gefährlichen Personen“ auch normale Menschen treffen können, hat der Landesbeauftragte für Datenschutz, Thomas Petri, kürzlich bemängelt. Das blindwütige Agieren erinnert an die über Nacht durchgepeitschten Terroristengesetze der 1970er Jahre, deren Reichweite ebenfalls über den anvisierten Personenkreis weit hinausging.
Drei Sammelabschiebungen mit insgesamt knapp 100 Asylbewerbern wurden in den vergangenen zwei Monaten bislang vollzogen, eine weitere soll diese Woche folgen. Denn Afghanistan, lautet das Mantra, sei sicher. Die Beweislast für das Gegenteil liegt bei den Geflüchteten. Aber dort sollte sie auf keinen Fall liegen.
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