Brüssel brütet

#MeToo Was tun gegen Sexismus im EU-Parlament?
Ausgabe 44/2018
Sie auch: Während einer Debatte zur sexuellen Belästigung zeigt die Schwedische EU-Abgeordnete Linnéa Engström Flagge
Sie auch: Während einer Debatte zur sexuellen Belästigung zeigt die Schwedische EU-Abgeordnete Linnéa Engström Flagge

Foto: Patrick Hertzog/AFP/Getty Images

Auf metooep.com finden sich seit einigen Tagen Geschichten, wie sie vielen Frauen überall auf der Welt den Alltag vergällen. Sie handeln von anzüglichen Komplimenten über das Aussehen, von Nötigungen zur Rückenmassage für den Chef oder davon, dass die Bürotüre vor ihm versperrt werden muss. Brisant ist der Ort: das Europäische Parlament, Hort des Fortschritts, der Freiheit und Sicherheit. Doch der ist mit der #MeToo-Kampagne vergangenes Jahr ins Visier geraten, als bekannt wurde, dass Mitarbeiterinnen auch dort Anmache, Grapschereien und sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind. Man gab sich entsetzt. Und pflichtschuldigst rangen sich die EP-Abgeordneten eine ambitionierte und weitreichende Resolution gegen sexuelle Belästigung und Missbrauch ab, die auch Straßburg und Brüssel einbezog. Unter anderem sollte ein Gremium, das sich mit internen Missbrauchsfällen befasst, umgebaut werden – damit keine Querverbindungen zu verdächtigten Abgeordneten oder Mitarbeitern mehr bestehen. Eine externe Untersuchung wurde eingeleitet und Führungskräfte sollten in speziellen Trainings für das Thema sensibilisiert werden.

Während auf dem neuen Blog fast täglich neue Beiträge veröffentlicht werden, ist die Bilanz der Resolution aber ausgesprochen mau. Die grüne Euro-paabgeordnete Terri Reintke beklagte kürzlich im Deutschlandfunk, alle Anstrengungen seien extrem intransparent, Daten und Fakten würden noch immer geheim gehalten und die Schulungen seien nicht verpflichtend. Verantwortlich macht sie dafür insbesondere den Parlamentsvorsitzenden Antonio Tajani. Er verschleppe die Umsetzung der Resolution, angeblich, um den Rechten nicht in die Hände zu spielen. Die haben das Thema natürlich längst für sich entdeckt und nutzen es, um liberale und genderpolitische Anliegen zu diskreditieren. Der EU-Abgeordnete Janusz Ryszard Korwin-Mikke war wegen sexistischer Äußerungen vom Parlament sogar sanktioniert worden. Später annullierte der Europäi-sche Gerichtshof die Entscheidung allerdings wieder. „Wir stellen fest, dass das Thema nicht prioritär gesehen wird. Priorität haben die EU-Wahlen“, sagt Jeanne Ponte, Mitarbeiterin des EU-Abgeordneten Edouard Martin und Mitgründern des neuen Blogs.

Alles umsonst also? Erst Flagge zeigen, dann Flaute? Nötig wäre jetzt eine konsequente Null-Toleranz-Politik. Das nächste Europäische Parlament wird voraussichtlich rechtslastiger sein. Es ist kaum anzunehmen, dass es entschiedener agiert.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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