Die Union hat ihre Muskeln spielen lassen und mit dem Bürgergeld das wichtigste sozialpolitische Reformprojekt der Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorerst scheitern lassen. Schaut her, es gibt uns noch! Treueschwüre auf das transatlantische Bündnis, China-Bashing und Einverständnis mit ausufernden Waffenlieferungen an die Ukraine sind eben keine Themen, mit denen man sich in diesen Tagen von der Regierung abzusetzen und als Opposition aufzufallen vermag. Parteichef Friedrich Merz kann ein Lied davon singen. Sein Möchtegern-Nachfolger, Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, versucht sich gerade freizustrampeln von seinem gesundheitspolitischen Ballast.
Widerstand ist bei einem so wichtigen Projekt eingepreist, zumal wenn es sich „Bürgergeld“ nennt
220; nennt. Schon der Begriff ist unscharf. Wer wird da eigentlich adressiert? Der selbstverantwortliche Bürger, der seines Glückes Schmied ist? Der Citoyen, der politisch zu partizipieren beansprucht? Oder die Gemeinschaft von Bedürftigen an der Abbruchkante, die sich immer weiter in die Mittelschicht frisst?Dass das ambitionierte Vorhaben von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Bundesrat vorerst gestoppt worden ist, war vorhersehbar. Zwar mäßigten die Widersacher dort den Ton ihres Schlagabtauschs, doch in der Sache gab es keinen Durchbruch. Den Vorschlag der Union, zunächst nur die Erhöhung der Regelsätze zu verabschieden und den Rest der Reform später zu verhandeln, wies die Ampel zurück. Lediglich der Zeitplan für die Arbeitsmarktmaßnahmen wurde geändert und vom Frühjahr auf den Sommer verlegt. Dass die Sozialdemokraten den Ruch des Verrats an den „schwer arbeitenden Menschen“ loskriegen wollen und das Bürgergeld ihrer Reinigung dient, muss nicht ausbuchstabiert werden, das übernimmt die politische Konkurrenz.Einmal auf die zentralen Punkte der Kritik der Union heruntergebrochen, geht es gar nicht um die 53 Euro Regelsatzerhöhung für einen erwachsenen Menschen. Es geht um Symbolik. Denn wer halbwegs bei Verstand ist, rechnen kann und zumindest einmal im Monat einen Supermarkt von innen sieht, weiß, dass selbst diese Erhöhung angesichts der Inflation zu wenig ist.Bürgergeld fehlt Idee für Veränderung des ArbeitsmarktsDer zentrale Streit dreht sich vielmehr darum, was einen Bürger oder eine Bürgerin ausmacht. Ist Bürger nur, wer sich fordern oder besser nötigen lässt mit etwas finanzieller Förderung und jeden Job annimmt, weil Tellerwäscher ja bekanntlich auch Millionäre werden? Oder diejenige, die etwas auf die hohe Kante gelegt hat, für das Alter oder Notfälle, und sich dennoch in die Schlange der zu Unterstützenden einreihen darf? Ist jemand Bürger, der mit dem Bürgergeld einfach Zeit hortet, um sich politisch zu engagieren, weil ihm der Vollzeitjob bei magerem Mindestlohn dazu sonst keine Gelegenheit gibt?Die Verbalattacken der Konservativen im Bundestag hatten genau dies zum Gegenstand. In der auf ein halbes Jahr befristeten Aussetzung der Sanktionen sehen CDU und CSU die „soziale Hängematte“ wieder aufgespannt, die Kanzler Gerhard Schröder (SPD) unter ihrem Applaus abgeräumt hatte. Ein Schonvermögen von 60.000 Euro? Provoziere Sozialneid. Vertrauen auf die Selbstauskunft? Voll naiv! Der Kapitalismus war noch nie ein System, das auf Vertrauen basierte, selbst die ehrbaren Kaufleute hatten bald den misstrauischen Markthyänen weichen müssen. Im Arbeitshaus, wo die künftigen Arbeitssklaven diszipliniert wurden, ging es rabiat zu. Wer leben will, muss bereit sein zu arbeiten – das gilt bis heute.Zudem ist da noch der „Standort“, zusammen mit dem berühmten Lohnabstandsgebot, das besagt: Wer arbeitet, darf auch mehr essen und besitzen. Woher sonst sollen die Billiglöhner, aber auch all die dringend gesuchten Fachkräfte kommen? Die zusätzlichen Einzahler für die maroden Gesundheits- und Rentenkassen, wie die Wirtschaftsinstitute nicht müde werden vorzurechnen? Manche sind allerdings davon überzeugt, dass die steigenden Lebenshaltungs- und Energiekosten ohnehin dafür sorgen werden, dass der Arbeitsanreiz, einen Job anzunehmen, bestehen bleibt – trotz Bürgergeld. Deshalb sind sich FDP und Union auch so einig darin, Hinzuverdienstregeln weiter zu lockern und das Minijob-Wesen noch stärker staatlich zu subventionieren.Kaum eine Idee haben indessen die Erfinder des Bürgergeldes, was die grundsätzliche Veränderung des Arbeitsmarkts betrifft. Welche Anreize den Leuten tatsächlich Lust aufs Arbeiten machen könnten. Der Sozialphilosoph Axel Honneth hat vergangenes Jahr unter dem Titel Der arbeitende Souverän angemahnt, nicht nur Mindestlöhne auszurufen, sondern auch Beschäftigungsfelder umzukrempeln und staatlich geförderte Alternativen zu den „Bullshitjobs“ zu entwickeln. Doch nur bei Projekten des sozialen Arbeitsmarkts gibt es derartige vorsichtige Schritte, deren Unterstützung die Union signalisiert hat.Wahrscheinlich ist, dass selbst die zarten Pflänzchen, die mit dem Bürgergeld ans Licht wollten, nun im Parteiengeschacher des Vermittlungsausschusses dahinwelken und die Betroffenen froh sein können, wenn sie am 1. Januar 53 Euro mehr auf dem Konto haben.