Bündnis für Ethik

NATIONALER ETHIKRAT Ein buntes Molekül für den Kanzler

Sie halte die "Aussonderung genetisch schwer belasteter Frühembryonen für kein moralisches Vergehen" und auch "das therapeutische Klonen" für unverzichtbar, erklärte die Medizinerin und Wissenschaftsethikerin Bettina Schöne-Seifert kürzlich in der Hannoverschen Allgemeinen. Nun ist diese Auffassung sicher kein Einzelfall; zum Politikum wird sie durch die Kooption Schöne-Seiferts, die sich übrigens auch in der Transplantsions-Debatte für einen erweiterten Hirntodbegriff stark gemacht hat, in den diese Woche vom Kabinett abzusegnenden Nationalen Ethikrat. Dabei gehört Schöne-Seifert sogar noch zum Kern der Fachvertreter, um den herum sich freischwebende Moleküle aus dem "gesellschaftlichen Leben" andoggen.

Denn fragen wird man dürfen, was vom Vorsitzenden des Deutschen Industrie- und Handelstag Hans-Peter Stihl an kompetentem Rat in Sachen Präimplantationsdiagnostik zu erwarten ist, oder was ver.di-Chef Frank Bsirske zur Biopatent-Richtlinie wird beitragen können. Dass mit Detlev Ganten vom Max-Delbrück-Zentrum Berlin-Buch oder dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker zwar informierte, aber eher biotechnologiefreundliche Vertreter in das neue Gremium berufen werden, war bereits im Vorfeld absehbar.

Der schon seit längerem gärenden Kritik an der einseitigen Besetzung des Ethikrats begegnet Schröder nun mit einer bewährten Strategie des "übergreifenden Konsenses". Nicht nur Vertreter der beider Kirchen, sondern auch Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Behindertenvertreter werden sich voraussichtlich in dem auf vier Jahre bestellten Gremium zusammenfinden. Diesem "Bündnis für Ethik" gesellen sich die Medizinkritikerin Regine Kollek sowie Jens Reich hinzu.

Bei aller Ventilierung des Personalkarussells in den letzten Wochen gerät in Vergessenheit, wofür der Ethikrat installiert wird: Rat für den Kanzler soll er spenden und "Empfehlungen für gesetzgeberisches und politisches Handeln" ausgeben. Diese werden aber bereits von der Enquete-Kommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin" des Deutschen Bundestags ausgearbeitet, und wer jemals bei einer ihrer Sachverständigen-Anhörungen anwesend war, weiß um die hohe fachliche Kompetenz dieses Gremiums, in dem seit zwei Jahren eben nicht nur kanzlergenehme Vertreter zu Wort kommen. Die Stellungnahmen der Kommission mögen - wie die der Biopatent-Richtlinie - im einzelnen ergänzungsbedürftig sein, in ihrer richtungsweisenden fachlichen Konsistenz sind sie nur schwer erreichbar.

Zumal von einem eher sporadisch tagenden Gremium, das, so steht zu befürchten, halbgare, vom Kanzler oder der interessierten Lobby auffüllbare Statements liefert. Der Heidelberger Medizinethiker Axel Bauer hat kürzlich zu bedenken gegeben, ob der ausufernde bioethische Diskurs tatsächlich als Zeichen moralischer Sorge gewertet werden kann oder er im Gegenteil herhalten muss als Surrogat, um das schlechte Gewissen einer völlig amoralischen Gesellschaft zu beruhigen. Vor dieser möglichen "schädlichen Funktionalisierungstendenz" (Bauer) ist auch der neue Ethikrat nicht gefeit; die Interessen setzen sich wie überall auch hier hinter dem Rücken der Akteure durch.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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