"Wir sollten uns danach richten, was die Gäste und Touristen erwarten", reagierte der Sprecher des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern vergangene Woche auf die Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter, die Regelung des Ladenschlusses künftig den Ländern zu überantworten. Richtig, das hatten wir vergessen, bei all dem Geschrei um längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten: Eigentlich sind wir in erster Linie "Gäste" und "Touristen", allgemeiner gesagt: "Konsumenten". Die haben bekanntlich die Aufgabe, die Binnennachfrage anzukurbeln, Geld in die klammen Kassen der Einzelhändler und via Mehrwertssteuer ins Staatssäckel zu spülen.
Also werden wir künftig in einigen Ländern - in Sachsen und Hessen, vorab erst einmal in der Hauptstadt - an sechs Tagen von sechs Uhr morgens bis Ultimo shoppen können. Zurückhaltung wird - noch - beim Sonntagsverkauf auferlegt, denn gerade in den unionsgeführten Ländern mag man die Leute nicht so offensichtlich aus der Kirche heraus ins Kaufhaus locken. Alles nur eine Frage der Zeit, denn wo Kirchen massenhaft verkauft werden, wie in Berlin und den ostdeutschen Ländern, werden wohl bald auch Händler in die Tempel einziehen.
Grundsätzlich garantiert das auf eine Klage des Kaufhof-Konzerns zurückgehende Karlsruher Urteil den Schutz der im Einzelhandel Beschäftigten, vorwiegend Frauen. Gleichzeitig sind es aber auch gerade berufstätige Frauen mit Familie, die ein durchaus nachvollziehbares Interesse an erweiterten Ladenöffnungszeiten haben. Wenn es schon mit der Aufteilung der Familienarbeit noch immer nicht klappt, sollen die Frauen nicht kurz vor acht in die Läden hetzen müssen. Wir erinnern uns an die Argumentation in den siebziger und achtziger Jahren, da hieß es halt nur "halb sieben". Alles relativ also. Und wir merken gar nicht, dass wir mehr und mehr in einen chronischen konsumorientierten Alarmzustand versetzt werden.
Mindestens einmal im Jahr fahnden wir nach dem billigsten Stromanbieter, obwohl längst absehbar ist, dass die Ausscheidungskämpfe in Monopolpreisen münden werden; am samstäglichen Frühstückstisch reißen wir uns "preiswert telefonieren" aus der Tageszeitung, weil die cleveren Call-by-Call-Anbieter ständig ihre Tarife ändern; Versicherungsmakler rennen uns die Tür mit der günstigsten Riester-Rente ein; Online-Banken locken mit niedrigen Gebühren und bürden uns die Arbeit der Bankgeschäfte auf; die Nächte, wenn das Surfen billiger ist, verbringen wir im elektronischen Warenhaus ebay auf Schnäppchen-Jagd; und sonntags, ja sonntags werden wir fortlaufend mit so genannten "Events" traktiert, in deren Rahmen auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten verkauft und konsumiert werden darf. Wir sind genau so, wie der amerikanische Soziologe David Riesman bereits in den fünfziger Jahren den widerspruchsfreien, anpassungsfähigen Konsumenten beschrieb: Statt des inneren "Kreiselkompasses" leitet uns heute der Markt: Kauf mich!
Mann oder Frau muss kein sonderlich religiöser Mensch sein, um der christlichen Sonntagsruhe, dem jüdischen Sabbat oder dem muslimischen Freitag etwas abzugewinnen; und es ist auch nicht nur gewerkschaftlicher Lobbyismus darauf hinzuweisen, dass Menschen mit einem natürlichen Biorhythmus ausgestattet sind, der nur in bestimmten Grenzen anpassungsfähig ist und nur unter bestimmten Umständen angepasst werden sollte. Ruhepausen, nicht nur von unmittelbarer Arbeit, sind eine zivilisatorische Errungenschaft, die von den herrschenden Klassen ins Volk getragen wurde. Und Konsum - das Suchen, Vergleichen, Entscheiden - ist keineswegs Muße, sondern kann zur harten, ermüdenden Arbeit werden.
Natürlich kann niemand zum Konsum gezwungen werden, niemand steht mit einem Revolver hinter uns und zwingt uns in die Läden. Aber selbst, wer sich der dauernden Aufforderung zum Kauf entzieht, ist mit der mit dem Konsum verbundenen Unruhe konfrontiert - soweit er nicht das eher seltene Privileg hat, in ruhigen, geschäftsfreien Villenvierteln zu leben wie viele der Politiker, die uns mit neuen Ladenöffnungszeiten beglücken wollen.
Und natürlich existiert auch der eingangs behauptete Widerspruch nicht: Wir sind eben nicht in erster Linie Freitzeitmenschen, die sich konsumierendem Müßiggang hingeben könnten, sondern Malocher (die Konsumkraft der unfreiwilligen Nicht-Malocher ist kaum der Rede wert, dafür sorgt schon die Regierungspolitik). Nicht nur Verkäuferinnen und Verkäufer sollen länger arbeiten, sondern alle. Und da wir irgendwann auch noch konsumieren wollen, sollen, müssen, braucht es den verlängerten Ladenschluss. Aber dann, meine Damen und Herren, tut doch nicht so, als würde den Konsumenten, vorab den Frauen, ein Geschenk gemacht werden!
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