Corona: Warten auf die neue Welle

Covid-19 Die Infektiosität steigt, aber die Krankheitsschwere und die Belastung des Gesundheitssystems bleiben überschaubar. Ändert sich das im Herbst? FDP und Grüne bringen sich in Stellung
Ausgabe 24/2022
Am 30. September läuft das Infektionsschutzgesetz aus. Kommt dann eine neue Verordnung, womöglich mit neuer Maskenpflicht?
Am 30. September läuft das Infektionsschutzgesetz aus. Kommt dann eine neue Verordnung, womöglich mit neuer Maskenpflicht?

Foto: Chris McGrath/Getty Images

Eines wissen wir sicher: Wir wissen nichts oder zu wenig. Im dritten Sommer nach Ausbruch der Pandemie ist dies eine deprimierende Feststellung. Weder gibt es längerfristig ausgelegte Stichprobenstudien zum Epidemiegeschehen in Deutschland noch eine frühzeitig aufgesetzte Begleitforschung zu den Auswirkungen von Schutzmaßnahmen. Im März 2021 führte das Labor Journal eine Umfrage unter Virolog:innen und Epidemiolog:innen durch und kam zu einem vernichtenden Ergebnis: „Es fehlt gewaltig an Daten.“ Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Am 30. Juni soll eine entsprechende Evaluation veröffentlicht werden – der Stein der Weisen, der vielleicht zu spät rollt.

Dass die Wissenschaft in Bezug auf das Mutationsgeschehen des Virus eher nur spekulieren kann, ist ihr nicht anzukreiden, das Risiko steckt im menschlich nicht Vorhersehbaren. Die Variante Omikron BA 5 ist inzwischen durch Südafrika gereist und in Portugal angekommen, wo die Fallzahlen hoch sind. Sie breitet sich auch in Mitteleuropa aus und dominiert hier wohl bald. Die Einschätzungen sind etwas widersprüchlich, weil sich diese Variante als „Immunflüchter“ offenbar so verändert hat, dass sie den Impfschutz umgehen kann und auch Genesene nicht vor Ansteckung sicher sind. Heißt: Die Infektiosität steigt, aber Krankheitslast und Belastung des Gesundheitssystems bleiben überschaubar.

Wir können uns im Sommer, spätestens im Herbst also darauf einrichten, es im Herbst und Winter mit einer neuerlichen Corona-Welle zu tun zu haben. Wie bei Omikron allgemein gilt, dass diejenigen, die es schon einmal mit dem Virus zu tun hatten oder mehrfach geimpft sind, nicht davon ausgehen müssen, dass sie extrem von Covid-19 gebeutelt werden oder daran sterben. Was niemand weiß, ist, ob das Virus noch mal ausgrätscht und etwas ganz Neues, Gefährlicheres hervorbringt.

Reizthema Impfpflicht

Auf dieses Nichtwissen hat vergangene Woche die Expert:innen-Kommission der Bundesregierung reagiert. Aus drei möglichen Szenarien – einem sehr milden Verlauf der Infektion, einer Entwicklung wie bei Omikron 2021/22 und einer Worst-Case-Variante mit gefährlicher Mutation – leitete sie die Empfehlung ab, eine „solide rechtliche Grundlage“ für das am 30. September auslaufende Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu schaffen. Das beinhaltet die Möglichkeit, Maskenpflicht und Abstands- und Hygienegebote zu verordnen sowie kostenlose Testmöglichkeiten und Impfzentren vorzuhalten. Den Risikogruppen, deren Impfschutz zeitlich bedingt derzeit schwächer wird, müsse besondere Aufmerksamkeit gelten, die Offenhaltung von Kitas und Schulen habe Priorität.

Dem würde Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gerne folgen. Alleine wäre da nicht die FDP, die, heftig unter Erfolgsdruck, in der laufenden Legislatur lediglich die praktische Aussetzung des Infektionsschutzgesetzes von der To-do-Liste streichen konnte. Für diese Einlösung „der Freiheit“ rühmt sich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai: „Pauschale Freiheitseinschränkungen, die mehr schaden, als dass sie nutzen, kann es nicht geben.“ Die FDP spielt auf Zeit und will die Evaluation Ende Juni abwarten. Da ist der Sitzungsbetrieb des Bundestags fast zu Ende und ein neues Gesetz nur noch unter Anstrengungen auf den Weg zu bringen. Das verspricht weiteren Zoff in der Koalition, weil vor allem die Grünen beim IfSG aufs Tempo drücken. Auch die Ministerpräsidenten wollen Planungssicherheit für den Herbst. Dass bis dahin vielleicht ein Impfstoff gegen Omikron, aber sicher nicht gegen die neuesten Varianten entwickelt sein wird, wie Lauterbach hofft, macht die Dinge nicht einfacher.

Dazu kommen Gesundheitsämter, die noch immer nicht mit einem einheitlichen digitalen Meldesystem ausgestattet sind, vermehrt Berichte über Impfschäden oder Infektionen vom Tier zum Menschen, wie ein Fall aus Thailand, in dem sich eine Tierärztin bei einer Katze angesteckt haben soll. Alles weitere Quellen der Verunsicherung.

Man darf gespannt sein auf die nächste Pressekonferenz, die der Gesundheitsminister und Justizminister Marco Buschmann (FDP) gemeinsam abhalten. Lauterbach hat schon angekündigt, dem Koalitionspartner entgegenkommen zu wollen und entsprechende „Maßnahmen möglichst spät zu entscheiden“. Angekündigt hat er, dass die Impfpflicht nicht noch einmal verhandelt werde – dies wiederum zum Leidwesen der Grünen, die das noch gern wieder auf die Agenda setzen würden.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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