Madeline Stuart läuft als Model über den New Yorker Catwalk. Aya Iwamoto hat ihren Uniabschluss in englischer Literatur absolviert, übersetzt Kinderbücher und hält Vorträge. Tim Harris betreibt ein angesagtes Restaurant in Albuquerque. Und wer kennte hierzulande nicht Bobby Brederlow, den beliebten deutschen TV-Helden, nach dem der „Bobby“, die Auszeichnung der Lebenshilfe benannt ist? Oder die Berliner Schauspieltruppe Ramba Zamba? Was diese so unterschiedlichen Menschen teilen, ist das Down Syndrom. Dennoch sind sie erfolgreich und selbstbewusst. So wie Claudia Kühne, die einen eigenen Blog unterhält, oder Natalie Dedreux, deren Wunsch es ist, Journalistin zu werden. Letztere hat kürzlich eine Petition gestartet, die sich dagegen richtet, dass Menschen wie sie ausgesondert werden. Inzwischen zählt sie 12.000 Unterstützerinnen.
Menschen wie Madeline Stuart, Tim Harris oder eben Natalie Dedreux sind mediale Aushängeschilder. Sie haben besondere Begabungen, die von einem liebevollen Umfeld gefördert wurden. Selbstverständlich besitzen nicht alle fünf Millionen Menschen mit Trisomie 21 weltweit ein solches außerordentliches Potential. Sie sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchschnittlich – wie die meisten von uns. Wäre es anders, gäbe es niemanden, der die Wenigen bewundern könnte. Dennoch würde uns mehr oder weniger Durchschnittlichen niemand das Recht abstreiten zu leben.
Doch Menschen mit Trisomie 21 – der Name geht auf das dreifach vorhandene, nicht erbliche Chromosom 21 zurück – werden immer seltener geboren. Von den statistisch 1.500 erwartbaren Kindern kommen weniger als zehn Prozent auf die Welt, wobei Schwangerschaften mit derartigen genetischen Auffälligkeiten in Ländern, in denen die verfügbaren Tests von der öffentlichen Gesundheitsvorsorge übernommen werden, am häufigsten abgebrochen werden. Im Unterschied zu früheren Jahren, als Chromosomenanomalien nur durch direkte Intervention mittels einer Biopsie oder einer Fruchtwasseruntersuchung entdeckt werden und eine Fehlgeburt nach sich ziehen konnten, erlaubt es ein vor zehn Jahren entwickelter, seit 2012 verfügbarer nicht-invasiver Bluttest (NIPT, nicht-invasive Pränataldiagnostik, kurz Praena-Test), den Fötus auf Trisomie 13, 18 und 21 zu testen. Die Entwicklung der damals noch sehr kostspieligen Methode wurde schon 2008 vom Bundesforschungsministerium gefördert, obwohl öffentlich kaum über seine Folgen diskutiert wurde.
Inzwischen sind die Kosten rapide gesunken, auf etwa 130 Euro, je nach Umfang. Nachdem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Bluttest vergangenes Jahr als „zuverlässig“ beurteilt hatte, lag der Ball wieder beim Gemeinsamen Bundesausschuss (gBA), der zu entscheiden hat, ob dieser von der Gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden soll. Angesichts der „Risiken invasiver Untersuchungen“ sowie der belegten „hohen Testgüte“ der geprüften Verfahren kam der Ausschuss kürzlich zum Ergebnis, dass der Bluttest „im Einzelfall im Rahmen der Schwangerenbetreuung medizinisch begründet“ sei.
Sie hat keinen Test gemacht
Heike Meyer-Rotsch hat keinen solchen Test gemacht als sie schwanger war, sondern nur die übliche Schwangerschaftsvorsorge in Anspruch genommen. Ihr Sohn Jona hat inzwischen seinen siebten Geburtstag gefeiert. „Wir hatten keine Ahnung“, sagt sie. „Mein Sohn war schon zehn Tage alt, als mir die Ärzte eröffneten, er könnte Trisomie 21 haben. Das hat mich völlig überrascht.“ Meyer-Rotsch ist Mitbegründerin von downsyndromberlin, einem Verein, in dem sich Angehörige von Menschen mit Down Syndrom engagieren. Er macht sich stark für die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft, informiert, bietet Beratung an und fördert inklusive Aktivitäten. Sie wisse nicht, wie sie damals reagiert hätte, sagt Meyer-Rotsch, wenn sie es gewusst hätte, sicher hätte sie Angst gehabt. Aber einen Schwangerschaftsabbruch habe sie nicht in Betracht gezogen. „Wir haben uns lange vorher entschieden, unsere Kinder so anzunehmen wie sie sind.“
Sie sieht aber auch, dass sich immer mehr Paare für den Test und gegebenenfalls gegen die Austragung der Schwangerschaft entscheiden. „Die meisten Paare sind in so großer Panik, dass sie sofort an Abbruch denken und ihn auch vornehmen.“ Diejenigen, die zu ihnen in die Beratung kommen, zeigen immerhin eine gewisse Offenheit, mit einem Kind mit Trisomie 21 zu leben. „Wir ermutigen sie, indem wir von unseren Erfahrungen mit dem Leben mit einem Kind mit Down Syndrom berichten und versuchen, die Angstbilder in ihren Köpfen zu ersetzen, mit realistischen.“
Wenn in den Medien über Kinder mit Down Syndrom berichtet wird, steht diese Betroffenheit immer an erster Stelle. Es werden Paare vorgestellt, die sich für eine Abtreibung entschieden haben, es geht um ihre Gefühle davor und danach, um Trauer und Schuld. Oder eben die anderen, für die dieser Weg nicht in Frage kam. Dabei wird so getan, als lebten die Familien im luftleeren Raum, als sei ihre Entscheidung eine rein persönliche, unanfechtbar und unangefochten vom jeweiligen Umfeld, vom gesellschaftlichen Klima.
Sie beobachte, erklärte die Ethikrätin Sigrid Graumann kürzlich in einem Interview, dass sich die moralische Urteilsbildung bei jungen Menschen immer individueller vollziehe, sie entschieden für sich in aller Privatheit, ob sie ein Kind austragen, ein behindertes Kind aufziehen wollten und so weiter. Das Selbstbestimmungsrecht werde dabei mit größter Selbstverständlichkeit auf alle Bereiche des reproduktiven Marktes ausgedehnt. Was für frühere Zeiten einmal ein Abwehrrecht gegen die Einmischung des Staates verstanden wurde, setze sich heute zunehmend durch als Anspruchsrecht auf ein gesundes Kind, mit dem Rückgriff auf alle medizinischen Möglichkeiten. Darauf zielt auch die Anbieterseite ab, wenn sie neue Verfahren etabliert und ausweitet. Es werden immer Einzelfälle, individuelle Problematiken aufgerufen, sozialethische Überlegungen, gesellschaftliche Zusammenhänge und Auswirkungen bleiben außen vor.
Der Bluttest ist dafür ein gutes Bespiel, zumal er ja keinen medizinischen Nutzen hat: Der Vorhersage, dass ein Kind ein Down Syndrom haben wird, ist therapeutisch nicht zu begegnen. Meyer-Rotsch und ihr Verein stehen ihm deshalb äußerst kritisch gegenüber. Zusammen mit 26 anderen Vereinen und Organisationen thematisieren sie die diskriminierende Wirkung des Tests auf Menschen mit Behinderung. „Den Test über die Krankenkasse zu finanzieren, ist ein völlig falsches Signal an werdende Eltern“, sagt Meyer-Rotsch. „Sein Zweck besteht ausschließlich darin, vorgeburtlich auszusortieren. Dabei können vorgeburtliche Bluttests nur einen ganz geringen Anteil dessen diagnostizieren, was in der Schwangerschaft an genetischer Veränderung und anderen Komplikationen vorkommen kann.“
Die Kritiker des Praena-Tests verweisen dabei immer auch auf den Widerspruch, dass einerseits selektive Tests eingesetzt werden sollen, die Bundesrepublik sich aber zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention und zur Schaffung einer inklusiven Gesellschaft verpflichtet hat. Letzteres ist teuer, Verfahren wie der Bluttest suggerieren andererseits, dass Behinderung vermeidbar ist: „Regelmäßig berichten Eltern“, erzählt Meyer-Rotsch, „dass sie gefragt werden: ‚Habt ihr es denn nicht gewusst, hätte man da nicht etwas machen können?’ Die Eltern geraten immer stärker unter Rechtfertigungsdruck, sodass es die Familien als furchtbar kränkend empfinden, dass ihr Kind ist wie es ist.“
Trügerische Sicherheit
Trügerische Sicherheit geht aber auch von dem einzuführenden Test selbst aus. In einer Stellungnahme weist die Lebenshilfe auf die Unwägbarkeiten im IQWiG-Bericht hin, der Grundlage für den Beschluss des Bundesausschusses war. So sei der Vorstudie zu entnehmen, dass 14 der 19 untersuchten Studien „ein hohes Verzerrungspotential“ aufwiesen, entweder weil die Auswahl der Studienteilnehmer zufällig oder selektiv vorgenommen wurde oder die Studien nicht dem üblichen Standard entsprachen. Unklar ist auch, ob der Test in jedem Fall die invasive, also risikoreichere Zweituntersuchung vermeiden könnte, abhängig davon, ab welchem Risiko Frauen der Test angeboten würde. Je höher man das Risiko allerdings ansetzt, je weniger Frauen den Test also in Anspruch nehmen würden, desto größer die Zahl der Trisomien, die übersehen werden. Für die zuverlässige Erkennung von Trisomie 13 und 18 gilt der Test ohnehin als nicht robust genug.
Josef Hecken, der dem Gemeinsamen Bundesausschuss vorsteht, hat vorsorglich deutlich gemacht, dass an eine Reihenuntersuchung aller Schwangeren nicht gedacht werde, der Test nur jenen Frauen zur Verfügung gestellt werden soll, die ein besonders hohes Risiko haben. Alleine das Alter der Schwangeren sei dafür nicht ausreichend. In der Beschlussfassung wird aber auch auf die möglicherweise sinkenden Kosten für die derzeit im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien bezahlten invasiven Untersuchungsmethoden aufmerksam gemacht.
Ein gewichtiges Argument für die Kostenübernahme ist, dass auch ärmere Paare, die den Test nicht aus eigener Tasche zahlen können, Zugang zu dieser risikoarmen Methode haben sollen. Meyer-Rotsch glaubt, dass das in die falsche Richtung zielt, es gehe nicht um Gerechtigkeit, sondern darum, ob wir Selektion ausweiten wollten. „Es wird ja nichts anderes gesagt, als dass wenn eine wohlhabende Frau selektieren darf, dies auch einer ärmeren freistehen muss. Wer legt hier fest, wer eigentlich leben darf? Heute ist es das Down Syndrom, morgen vielleicht Autismus, übermorgen eine hohe Wahrscheinlichkeit für Alzheimer oder Krebs? Wenn man beginnt, nach genetischen Merkmalen und gesellschaftlich abgesegnet zu selektieren, ist es dann auch irgendwann nicht mehr zuzumuten, dass eine Frau ein Kind mit hohem Krebsrisiko zur Welt bringt?“
Die Geschichte der Pränataldiagnostik zeigt, dass ihr der Trend zur Ausweitung inhärent ist und bislang ohne gezielte politische Steuerung auch erfolgte. Im Hinblick auf die NIPT sprechen die Politikwissenschaftlerinnen Kathrin Braun und Sabine Könninger sogar von „organisierter Verantwortungslosigkeit“ im Sinne Ulrich Becks, der dies einmal für die Einführung der Atomkraft untersucht hat. In einem von Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt haben sie den bisherigen politischen Umgang mit dem Bluttest verfolgt und sind dabei auf Phänomene gestoßen, die auch Ethikrätin Graumann identifiziert: Entscheidung und Verantwortung werden individualisiert und auf die „Endnutzerin“ verschoben, politische Weichenstellungen entpolitisiert und lediglich als Erweiterung der Wahlmöglichkeiten deklariert, immer unter Berufung auf den medizinischen Fortschritt.
Der Bundestag hat nächste Woche, wenn die von vielen Abgeordneten lange geforderte Orientierungsdebatte endlich stattfinden soll, Gelegenheit, dem etwas entgegenzusetzen. Die Betroffenen, Menschen mit Down Syndrom und ihr Umfeld, sollen allerdings nicht zu Wort kommen. Um ihre Stimme einzubringen, werden sie vor dem Bundestag demonstrieren. „Ich erwarte, dass sich die Abgeordneten intensiv mit dem Test auseinandersetzen, nicht nur mit der Frage der Rentabilität“, sagt Meyer-Rotsch. „Dieser Test stellt das Lebensrecht ungeborener Kinder mit einer Trisomie 21 automatisch in Frage, er impliziert, dass es schrecklich ist, ein Kind mit Down Syndrom zu bekommen.“ Natalie Dedreux drückt es in ihrer Petition so aus: „Ihr sollt nicht mehr so viel Angst haben. Es ist doch cool auf der Welt zu sein mit Down Syndrom.“
„Meeting Sofie“
Serie Seit fast zwei Jahren fotografiert Snezhana von Büdingen Sofie, ein Mädchen mit Down Syndrom – zwei der Bilder der Serie sind in dieser der-Freitag-Ausgabe zu sehen, hier links sowie auf Seite eins. Als die Fotografin Sofie im Oktober 2017 zum ersten Mal besuchte, war diese 18 Jahre alt, hatte die Schule beendet und verbrachte fast die ganze Zeit auf dem Gutshof mit ihrer Familie im Osten Deutschlands. In ihren Fotografien spiegelt von Büdingen Sofies Innenwelt: die gesamte Spannbreite von Gefühlszuständen, Sehnsüchten und Intimitäten, die die junge Frau erlebt. Die Serie „Meeting Sofie“ wurde mehrmals prämiert und ausgestellt unter anderem in Mailand, London, Kuala Lumpur, Antu (China), Paris und New York. Snezhana von Büdingen wurde 1983 in Russland geboren, studierte Journalismus an der Universität Osnabrück und Fotografie an der Fotoakademie Köln
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