Das Land bleibt gespalten

PID Bei der Präimplantationsdiagnostik unterliegt das Abstimmungsresultat einer gewissen parlamentarischen Zufälligkeit. Am Ende werden gegenseitige Anschuldigungen stehen

Wenn heute der Bundestag über die umstrittene Präimplantationsdiagnostik (PID) abstimmt, wird das Land gespalten zurück bleiben. Denn unabhängig davon, ob die Abgeordneten die PID mehrheitlich verbieten oder ihre begrenzte Freigabe ermöglichen: Die jeweils unterlegene, quer durch alle Parteien laufende Gruppe und der von ihr vertretene Teil der Bevölkerung werden anklagend auf die anderen deuten. Die einen trifft der Vorwurf, aufgrund eines fundamentalistischen Lebensschutzes den betroffenen Paaren weiterhin unangemessenes Leid zuzumuten. Die PID-Befürworter werden sich dagegen dafür verantworten müssen, einer Selektionspraxis die Tür zu öffnen, die werdende Menschen in erwünschte und unerwünschte Gruppen aufteilt und damit Normen setzt, die alle diskriminiert, die ihnen nicht entsprechen.

Das Abstimmungsergebnis wird, weil ein großer Teil der Parlamentarier noch unentschlossen ist, wesentlich vom Modus abhängen, in welcher Reihenfolge der Bundestag votiert, und ob die dritte Minderheitenposition, die die PID nur für den Fall gestatten will, dass ein Kind nicht überleben kann, eine Chance erhält. Ob die PID in Deutschland demnächst erlaubt sein wird und in welchen Grenzen, ist deshalb auch das Resultat einer gewissen parlamentarischen Zufälligkeit.

Jenseits des katholischen Sachwalteranspruchs

Die Unentschlossenen, auf deren Stimme es ankommt, werden in eine andere Form des Fraktionszwanges gedrängt als im Bundestag sonst üblich. Entscheiden sie sich für die PID, gelten sie als Beförderer einer technokratisch bestimmten Qualität des Lebens. Stimmen sie für das Verbot, werden sie verdächtigt, dem Dominanzanspruch der katholischen Kirche, der dieser Tage von den Kanzeln herunter noch einmal manifestiert wurde, zugearbeitet zu haben. Wie sehr dies gefürchtet wird, lässt sich am neuen Ärztepräsidenten Frank Ulrich Montgomery ab- lesen, der bis vor kurzem noch als Gegner der PID auftrat und in seiner neuen Funktion eine Kehrtwende vollzogen hat, nicht zuletzt, weil seine Ärztegefolgschaft kürzlich für die Freigabe der PID plädiert hatte.

In diesem konträren, ideologisch aufgeladenen Spannungsfeld fällt es denjenigen schwer, sich zu positionieren, die zwar gegen die PID sind, aber keinesfalls aus Gründen des absoluten Lebensschutzes. Es gibt jenseits des katholischen Sachwalteranspruchs ja Argumente dagegen. Das diskriminierende Moment, das jeder Auswahl innewohnt, ist säkularer Natur. Die Bedenken, dass die PID auf weitere Störungen oder Krankheiten ausgeweitet werden könnte, zur Regeluntersuchung wird und die künstliche Befruchtung ihrerseits zur Regelprozedur durchaus zeugungsfähiger Paare, haben nichts mit Lebensschutz zu tun. Erst in den vergangenen Wochen wurde überhaupt thematisiert, dass die Zulassung der PID die Änderung des Embryonenschutzgesetzes nach sich zieht, um über die nötige Anzahl von Embryonen für die PID verfügen zu können. Was aber mit überzähligen Embryonen passiert, steht völlig dahin.

Den Weg, den eine Gesellschaft geht, kann sie selbst bestimmen. Es ist ihr und ihren gewählten Vertretern aber zuzumuten, konsistente Entscheidungen zu treffen und deren Konsequenzen zu bedenken. Der Rekurs auf die göttliche Schöpfung ist, wie der Präzedenzfall PID zeigt, dabei nicht unbedingt hilfreich.



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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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