Das Mögliche herausgeholt

Schlecker-Pleite Das Beispiel der Drogeriekette lehrt, wie kompliziert Solidarität ist. Und, dass es sich nicht lohnt, miese Arbeitsbedingungen zu akzeptieren

So traurig der Ausverkauf an der Ecke unserer Wohnstraße auch ist, bei aller Wut, die mir von den Schlecker-Mitarbeiterinnen entgegenschlägt: Es gibt auch erhebende Momente bei dieser letzten Verramschungsschlacht des Pleitekonzerns. In den Hauptnachrichten plötzlich ganz normale Frauen platziert zu sehen, die selbstbewusst und entschlossen mit Insolvenzverwaltern und Behördenhengsten dealen – das hat schon was. Es erinnert an die seligen achtziger Jahre, als die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen dank solcher Frauen an der Ladenkasse ihren zweiten Frühling erlebte.

Als klar war, wie viele Läden „nebenan“ schließen müssen und dass rund 11.000 Mitarbeiterinnen von der Entlassung bedroht sein würden, haben die Betriebesrätinnen alles gegeben, um das Möglichste rauszuholen. Ziel ist eine Auffanggesellschaft, die von den Ländern mit einem 71 Millionen-Euro-Kredit abgesichert wird. Die soll verhindern, dass die Beschäftigten in den freien Fall der Arbeitslosigkeit stürzen, und zumindest eine kurze Verschnaufpause garantieren.

Allein auf dünnem Eis

Doch „die Kuh ist noch nicht vom Eis“ – so drückt es das baden-württembergische Wirtschaftsministerium aus, das sich damit einen saublöden Gewerkschaftsspruch zu eigen gemacht hat. Wen meint das eigentlich? Soll das heißen, es geht bei Schlecker um „dumme Kühe“, die sich jahrelang für einen Hungerlohn an die Handelskette verkauft haben? Die Läden zu boykottieren war zumindest für jene einfach, die in den Städten die Alternative anderer Drogerieketten hatten.

Die Schlecker-Geschichte lehrt, dass das Konzept des Ladens von nebenan wahrscheinlich passé ist – jedenfalls im Rahmen eines Konzerns. Und sie lehrt, wie kompliziert Solidarität ist, weil die Boykottierenden nun vielleicht mit schlechtem Gewissen die Schlecker-Frauen an der Ecke ihrer Straße protestieren sehen. Die nachhaltigste Lehre ist aber, dass es sich am Ende nicht lohnt, miese Arbeitsbedingungen und schlechten Lohn zu akzeptieren. Diese Erfahrung werden die vielen Schlecker-Mitarbeiterinnen mitnehmen. Und es wäre schlimm, sie weiter auf dem dünnen Eis allein zu lassen.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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