Das Tuch und sein Stoff

Kopftuchstreit Neue Runde im (nicht nur) Berliner Kopftuchstreit

In den siebziger Jahren konnte es passieren, dass Schüler, die ein Kefije, allgemein Pali-Tuch genannt, trugen, des Unterrichts verwiesen wurden, weil die derart symbolische Zurschaustellung einer politischen Meinung angeblich den Schulfrieden gefährde. So fiel das Baumwolltuch nicht nur unter das allgemeine Vermummungsverbot, sondern es wurde auch zum Zankapfel mit der Schulbürokratie. Das Tuch, dessen politische Konnotationen uns heute eher suspekt erscheinen, weil im pro-palästinensischen der antiisraelische Stoff mit eingewebt ist, ist aus der linken Kultur verschwunden und hat einen ganz neuen Träger gefunden; jetzt schmückt es antisemitische Rechtsradikale und Neonazis.

Selbst wenn ich gerne einräume, dass zwischen dem Pali-Tuch und dem muslimischen Kopftuch, um das eine geradezu alteuropäische Auseinandersetzung entflammt ist, ein gewisser Unterschied besteht, öffnet das Beispiel doch einen weiteren Horizont in der festgefahrenen Kopftuchdebatte. Aus dieser hat sich der Berliner Senat dieser Tage übrigens ganz "neutral" herausgestohlen. Im Gegensatz zu den auf abendländischen Werten und Traditionen pochenden (süddeutschen) Ländern, die dem Kreuz weiterhin seine privilegierte Stellung erhalten wollen, hat sich die SPD/PDS-Koalition mit ihrem Gesetzentwurf gegen das Tragen jeglicher religiöser Symbole (Kopftuch, Kreuz, Kippa) ausgesprochen, zumindest soweit es sich um staatstragende Autoritäten - Lehrerinnen, Polizistinnen, Richterinnen - handelt. Damit bekräftigt sie die strenge Neutralitätspflicht des Staates und entzieht sich der ursprünglich angemahnten Wertediskussion. Die fällt nun an den Schalk Gottes und seine Benimm-Show und in Berlin an die LokalpolitikerInnen von CDU und FDP im Bezirk Spandau, die das "Symbol der Ungleichbehandlung der Frau" überhaupt nicht mehr in den Schulen sehen wollen und dagegen das christliche Abendland als Hort der "Toleranz und Gleichheit" in Anschlag bringen.

Nun ja. Immerhin haben die bürgerlichen Revolutionen die feudalen Kleiderordnungen hinweggefegt und Uniformen (Polizisten, Richter...) dagegen gesetzt. Die gesellschaftskritische Jugend hat sich ihrerseits stets einiges einfallen lassen, um den bürgerlichen Staat vestimentär zu provozieren: lange Haare, Jeans und eben auch das Pali-Tuch. Manches davon wurde aufgesogen im Strom der Mode, anderes (siehe Pali-Tuch) wechselte mit dem Träger die Bedeutung. Vielleicht werden wir eines Tages feststellen, dass auch das Kopftuch kein festes Zeichen im Strom der Bedeutungen ist, sondern ein weiteres Stück Abgrenzungstoff innerhalb der Dominanzkultur. Gefährlich ist nicht der "Stoff" als vielmehr die damit einhergehenden Konnotationen: Das gilt fürs Pali-Tuch ebenso wie für das Kopftuch. Nicht das Stück Stoff, sondern rechten und linken Antisemitismus, islamische und christliche Frauendiskriminierung darf eine Gesellschaft, die sich gleich und tolerant nennt, nicht dulden.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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