Den Finger am Abzug

Gleichheit Es ist fraglich, ob Frauen in einer Berufsarmee bessere Chancen hätten. Sicher ist: Friedfertiger machen sie die Bundeswehr nicht

Der erste Verteidigungsminister, der Frauen überhaupt für „waffenfähig“ hielt und in die Nähe der Bundeswehr rückte, war der Sozialdemokrat Hans Apel. Das war 1981 und Sympathie erntete er damit weniger in den eigenen Reihen als beim damaligen Koalitionspartner FDP, der den Frauen von jeher den freiwilligen Zugang zu den Waffen ermöglichen wollte. Zwar konnten seit 1975 Frauen eine Laufbahn als Sanitätsoffizierinnen einschlagen, aber auf die Agenda gelangte das Thema erst als Bevölkerungsstatistiker vorrechneten, dass der „Pillenknick“ die Bundeswehr Ende der achtziger Jahre in Rekrutierungsnöte bringen würde. Im Geheimen dachten Militärstrategen schon lange darüber nach, wie sie den Frauen den Kriegsdienst schmackhaft machen könnten.

Das Grundgesetz zog hier allerdings eine eindeutige Demarkationslinie. Frauen, hieß es in Artikel 12 Absatz 4, dürfen „auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten“. Die „Natur und Bestimmung der Frau“, so die Auffassung im Parlamentarischen Rat, die auch in den folgenden Jahrzehnten prägend blieb, verbiete die Ausdehnung der Wehrpflicht auf Frauen. Das hinderte die Erfinder der Notstandsgesetze 1968 allerdings nicht daran, Frauen bis zum 55. Lebensjahr „im Ernstfall“ zur allgemeinen Dienstpflicht heranzuziehen.

Das Weib und das Gewehr

Dass die männliche Wehrpflicht in offensichtlichem Widerspruch zum allgemeinen Gleichheitsgebot und dem Recht auf freie Berufsausübung steht, hoben zunächst jene Frauen hervor, die unter Emanzipation den Zugang zu männlichen Karrieren verstanden. Alice Schwarzer etwa, einst strenge Kritikerin der Bundeswehr und der Wehrpflicht, hatte sich schon früh für den freiwilligen Zugang von Frauen zur Bundeswehr und „selbstverständlich auch für die Ausbildung der Frauen an den Waffen“ ausgesprochen. Andere träumten entweder von einer weiblichen „Unterwanderung“ der Bundeswehr oder wollten Männer erst gar nicht in die „perversen Kriegsspiele“ verwickelt sehen: „Ich will eine Gleichberechtigung, die den Männern den Zugang zur Bundeswehr versperrt“, proklamierte die Kolumnistin Peggy Parnaß 1979 in der Frauenzeitschrift Courage. In einer Zeit, als die „Flintenweiber“ der RAF auf ihre Weise das männliche Gewaltmonopol in Frage gestellt hatten und die Friedensbewegung andererseits den Mythos von der friedfertigen Frau zu pflegen begann, verliefen die Gräben in dieser Frage quer durch die politischen Lager.

Schon damals überlappten und verflochten sich dabei zwei Themenstränge, die bis heute die Diskussion prägen, wenn es um die Einbeziehung von Frauen zum Militär geht: Zum einen wird ganz grundsätzlich das Verhältnis von Frauen zu Waffen aufgeworfen, zum anderen geht es um die Institution Armee und inwieweit Frauen dort Karriere machen dürfen beziehungsweise friedensstiftend wirken können. Die Spannbreite dieser Problematik war während des Golfkriegs 1991 zu beobachten. Damals wurden die „Frauen in Schwarz“, die in Jerusalem allwöchentlich gegen den Krieg demonstrierten, zum Friedenssymbol schlechthin; gleichzeitig zeigten die Zeitungen unter dem Motto „Müssen Frauen töten?“ weibliche GIs, die mit lackierten Fingernägeln und Baby-Button am Helm in den Krieg zogen. Die Erotisierung des Militärs durch Kämpferinnen war seit den ­Befreiungskriegen in der Dritten Welt ein bekanntes Phänomen; dass Soldatinnen innerhalb der Institution allerdings zivilisierend wirken, hat sich dagegen eher als Illusion herausgestellt.

Illusion der Wehrgerechtigkeit

Es hat immerhin noch 20 Jahre gedauert und bedurfte eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), bis sich die Bundeswehr Frauen weiter öffnete. Der EuGH befand die deutsche Ausschluss-Praxis als unvereinbar mit der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie. Ohne größere öffentliche Diskussion, mit 512 Ja- und nur 5 Nein-Stimmen änderte das Parlament Artikel 12, wo es nun heißt, dass „Frauen zum Dienst mit der Waffe nicht verpflichtet werden dürfen“. Seither ist es, unter dem Jubel der konsequenten Gleichheits-Fraktion, auch Frauen möglich, sich als Panzerfahrerin oder Kampfpilotin bei der Bundeswehr ausbilden zu lassen.

Die generelle Wehrungerechtigkeit, die auf biologistischen Begründungen beruht, blieb allerdings unangetastet und wird höchstens von Männerrechtlern kritisiert. Ob Frauen für den militärischen Einsatz geeignet sind und an welchen Stellen, ist inzwischen aber nur noch ein Thema innerhalb der Bundeswehr. Die weiblichen Freiwilligen sind zu einem normalen Bestandteil des militärischen Alltags geworden. In den höheren militärischen Rängen allerdings sucht man sie hierzulande und in den meisten westlichen Armeen vergeblich.

Ob sich das durch die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee ändern würde, ist fraglich. Die Soziologin Christine Eifler macht zwar darauf aufmerksam, dass Militär und Männlichkeit grundsätzlich der Differenz bedarf und unter Veränderungsdruck gerät, wenn Frauen Teil der Institution werden. Wichtiger wird aber sein, welche Rolle die Bundeswehr künftig spielen wird: Als schützende Peacekeeping-Armee oder, wie zu befürchten ist, als international kämpfende Truppe mit allen negativen Begleiterscheinungen des Krieges.

„Heutzutage“, hieß es in der Emma 1987, „ziehen aus bundesdeutschen Kasernen weder Männer noch Frauen in den Krieg. Es genügt, dass einer den Knopf drückt“. 2010 werden Männer und Frauen aus einem vereinten Deutschland in Kriegshandlungen verwickelt. Dort, wo sie stattfinden, erleben sie, dass es keinen Unterschied mehr gibt zwischen Front und Hinterland. Aus dieser Erfahrung, die viele deutsche Frauen bereits im Zweiten Weltkrieg machen mussten, haben die Mütter der Verfassung ihr Selbstbewusstsein gezogen und Artikel 3, die Gleichheit von Männern und Frauen, im Grundgesetz durchgesetzt. Ihre Kriegserfahrung hielt sie davon ab, den Gleichheitsgrundsatz auf die Wehrpflicht auszudehnen. Sie stritten vielmehr für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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