Den Tatsachen hinterherhecheln

Reproduktion Der Ethikrat will eine gesetzliche Regelung der Embryonenadoption. Es ist ein Musterbeispiel für den Versuch, die in der Praxis bereits vorgefundenen Tatsachen einzuholen
Ausgabe 13/2016
Ein heißes Eisen: kühlgeschockte Embryonen in einer Kyrobank
Ein heißes Eisen: kühlgeschockte Embryonen in einer Kyrobank

Foto: Medicimage/Imago

Sie lagern bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff in sogenannten Kryobanken. Ihre „Eigentümer“ bezahlen dafür eine Gebühr. Wenn die Lagerfrist abläuft, müssen diese entscheiden, was mit den kühlgeschockten Embryonen passiert: verwerfen oder freigeben zur Adoption? 21 von 124 reproduktionsmedizinischen Zentren bieten hierfür im Rahmen des Netzwerkes Embryonenspende seit 2013 ihre Vermittlungsdienste an. Denn was in Deutschland nicht verboten ist, scheint erlaubt. Also auch die Embryonenspende und -adoption. Die will der Deutsche Ethikrat nun gesetzlich geregelt wissen.

Wenn es mit rechten Dingen zuginge, dürfte es überzählige Embryonen in Deutschland eigentlich gar nicht geben. Denn das Embryonenschutzgesetz von 1990 regelt klar, dass bei der künstlichen Befruchtung nur so viele Embryonen erzeugt werden dürfen, wie der Frau in einem Zyklus auch eingepflanzt werden, nämlich nicht mehr als drei (Dreierregel). Lange Zeit wurde bestritten, dass nennenswerte Embryonenlager überhaupt existieren.

Doch es gibt sie durchaus. Embryonen fallen an, wenn Frauen sich doch gegen eine Schwangerschaft entscheiden oder Embryonen aus anderen Gründen nicht übertragen werden können. Die meisten entstehen heutzutage jedoch bei der normalen künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF). Dabei wird die strikte Dreierregel schon längst nicht mehr beachtet, nicht zuletzt weil bei der Präimplantationsdiagnostik andere Regeln gelten. Der Arzt kultiviert so Lange Eizellen, bis er glaubt, mindestens zwei oder drei geeignete Embryonen gewonnen zu haben. Der Rest wird konserviert.

Was aber soll nun mit ihnen passieren? Darf man Paaren, die selbst keine Kinder zeugen können, die Embryonen zur Verfügung stellen und damit potenzielles Lebensrecht realisieren? Oder müsste man nicht eher die fragwürdige IVF-Praxis unter die Lupe nehmen und den Geist des Embryonenschutzgesetzes neu beleben?

Kein Verzicht auf Embryonenadoptionen

Die Stellungnahme des Ethikrats zu diesem Thema ist wieder einmal ein Musterbeispiel für den Versuch, die in der medizinischen Praxis bereits vorgefundenen Tatsachen einzuholen und mit nachgetragenen Argumenten abzusichern. Zwar spricht sich die Mehrheit der Ratsmitglieder (14 gegen 12) für die strikte Auslegung der Dreierregel aus, doch die Konsequenz, auf Embryonenadoptionen ganz zu verzichten, wird daraus nicht gezogen.

Je höher man den moralischen Status des Embryos in vitro bewertet, so die Überlegung insbesondere der Fraktion des Rats, die sich in reproduktionsmedizinischen Fragen sonst als Bedenkenträger gibt, desto bedeutsamer wäre es zwar, überflüssige Embryonen zu vermeiden, aber noch schwerer wiegen offenbar die Gründe, den einmal entstandenen Embryonen zu ihrem Lebensrecht zu verhelfen. Für die liberale Fraktion dagegen ist das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit entscheidend.

Dem Gesetzgeber wird deshalb empfohlen, die Embryonenspende und -adoption unter der Voraussetzung zuzulassen, dass die Elternrechte und -pflichten genau geregelt werden, die elterliche Verantwortung bei den Wunscheltern liegt und das Kind ab dem 16. Lebensjahr ein Auskunftsrecht über seine Abstammung hat, die 110 Jahre nachzuverfolgen sein muss. Unabdingbar ist dem Rat, dass die Eltern verheiratet oder immerhin verpartnert sind, wobei die Theologen zu dieser Frage ein Sondervotum abgegeben haben.

Offenbar war sich der Ethikrat aber bewusst, mit der Embryonenadoption ein heißes Eisen angefasst zu haben. Die Empfehlung beschränkt sich auf Embryonen und bezieht sich nicht auf eingefrorene imprägnierte Eizellen im Vorkernstadium (vor der Verschmelzung der Keimzellen), die nicht unter die Dreierregel fallen und massenhaft in Gewebebanken vorgehalten werden. Dieses Fass aufzumachen hätte bedeutet, grundsätzlich am Embryonenschutzgesetz zu rütteln. Das überlässt man aber lieber den Reproduktionsmedizinern, denen man, wie bei der Präimplantationsdiagnostik, dann wieder hinterherhechelt.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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