Der Gottes-Code

Genome Editing Chinesische Wissenschaftler haben die Gene menschlicher Embryonen verändert und damit eine Grenze überschritten. Gerät die gesamte Forschung in Verruf?
Ausgabe 21/2015
Genforscher programmieren den Menschen endgültig neu
Genforscher programmieren den Menschen endgültig neu

Illustration: der Freitag

"Um eine Sprache zu beherrschen", sagte der in den 90er Jahren mit dem Human-Genome-Projekt zum Wissenschaftsstar aufgestiegene Biotechnologe David Jackson einmal, "muss man in der Lage sein, in ihr zu schreiben, zu kopieren und zu edieren". Jeder dieser Aspekte sei in Technologien übersetzbar, die es erlaubten, die Sprache der DNS nicht etwa nur zu verstehen, sondern sie zu verändern.

Der Glaube, dass der genetische Code, dieser Text ohne Verfasser, eine Botschaft bereithalte, die es nur zu entschlüsseln gelte, stammt aus den 50er Jahren. Damals begann mit der Kybernetik keineswegs zufällig auch der Aufstieg der Biowissenschaften – was sich in der Zelle abspielte, wurde mit der Sprache der Informationstheorie beschrieben. Doch mit Entschlüsselungen begnügen sich die daran arbeitenden Wissenschaftler schon lang nicht mehr, ihnen geht es auch um die Revision oder Weiterentwicklung dieser Schrift. Erklärtermaßen immer zum Nutzen der Menschheit, aber auch, weil die Autoren des Biologischen diese Überschreibung fasziniert. Denn, so formulierte es James Watson, einer der Entdecker der Doppelhelix: „Wenn wir nicht Gott spielen, wer dann?“

Die Geschichte vom genetischen Text, in dem die stofflichen Vererbungsinformationen des Menschen aufgezeichnet sind, hat nun in Form des sogenanntenGenome Editingeine neue Runde erreicht. Kürzlich erregte eine in der Zeitschrift Protein & Cell publizierte Studie die Öffentlichkeit. Eine Gruppe von chinesischen Forschern um Huang Junjui an der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou berichtete von einem Experiment an menschlichen, nicht mehr lebensfähigen Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung „übrig geblieben“ waren. Diese hatten sie mit einem neuartigen Genmanipulationsinstrument mit dem Namen CRISPR/Cas9 (gesprochen: Krisper Kas neun) verändert. Das Ziel war es, das Gen zu manipulieren, das die Blutkrankheit Beta-Thalassämie verursacht. Thalassämie ist eine vor allem im Mittelmeerraum auftretende Erbkrankheit, die heute mittels pränataler Diagnostik entdeckt und durch Schwangerschaftsabbruch vermieden wird.

Doch was in der Wissenschaftswelt normalerweise als Durchbruch gefeiert wird, provozierte in diesem Fall erstaunlich negative Reaktionen. Es sei der erste Bericht über CRISPR/Cas9, ließ der Stammzellforscher George Daley in der renommierten Zeitschrift Nature wissen, bei dem diese Methode an menschlichen Embryonen angewendet worden sei, ein Meilenstein, aber gleichzeitig auch abschreckend, weil das Projekt mit der irreversiblen Veränderung der menschlichen Keimbahn verbunden sei. Denn durch die Manipulation von Embryonen in einem totipotenten Stadium, in dem sich also noch alle Zellen ausbilden können, tragen alle weiteren Zellen das reparierte Gen in sich und sind vererbbar.

Genschnipsel

Das sei ein Dammbruch, befand eine Gruppe renommierter Forscher in Nature: „Wir brauchen eine breit angelegte Diskussion, in welche Richtung wir hier gehen“, fordert Edward Lanphier, Chef eines US-Biotechnologie-Unternehmens, das die CRISPR-Methode industriell verwertet. Marcy Darnovsky, Direktorin des Center for Genetics and Society, sekundiert: „Die medizinischen Risiken und sozialen Gefahren, die der Eingriff in die menschliche Keimbahn mit sich bringt, können gar nicht übertrieben werden.“ Das Verfahren könnte zu neuen Formen der Ungleichheit, zu Diskriminierung und sozialen Konflikten führen.

Was ist los, wenn hochrangige Genetiker und Biotechnologen, die sonst vehement die Forschungsfreiheit verteidigen und jede Einschränkung als Zumutung empfinden, plötzlich als ethische Bedenkenträger auftreten und sogar ein Moratorium fordern? Was hat es mit dieser CRISPR-Technik auf sich, die wie ein böser Geist durch die Medien geistert und nur über Analogien und Metaphern einem breiteren Publikum zu vermitteln ist?

CRISPR (Akronym für: clustered regularly interspaced short palindromic repeats) steht für einen Teil des bakteriellen Immunsystems, das schon 1987 entdeckt, aber in seiner Bedeutung nicht erkannt wurde. In bestimmten Regionen des bakteriellen Genoms wechseln regelmäßig Blöcke identischer DNS-Sequenzen mit kurzen variierenden DNS-Sequenzen (Spacer). Benachbart zu solchen Regionen liegen die immer gleichen Gene (Cas-Gene). Diese CRISPR-Regionen, die im Rahmen der Genom-Sequenzierung von Mikroorganismen nachgewiesen wurden, verleihen Bakterien die Fähigkeit, sich gegen Viren zu wehren, indem sie Teile der Viren-DNS ausschneiden, zerstückeln und als sogenannte Spacer in ihr Genom einbauen. Diese Einverleibungs-strategie schafft eine Art Gedächtnis, durch das sich Bakterien beim nächsten Angriff an solche Viren erinnern können.

Dass man mittels Enzymen die DNS punktgenau aufschneiden kann, gehört zur klassischen, sich in den 1970er Jahren entwickelnden Gentechnik. Deren Werkzeugkasten umfasst noch eine ganze Reihe weiterer Instrumente. Man muss schon gut mit ihnen umgehen können, wenn man an Genen herumschnippeln will. Doch mit CRISPR soll das einfacher werden. Denn es ist eine Technik, die einen eigenen Werkzeugkasten beinhaltet: Detektoren, Schere, Kleber, Reparaturgarn. Zudem ist sie so programmierbar, dass sie nicht nur den Schnittort auf dem Genom punktgenau ansteuern, sondern in einem Aufwasch auch noch eine neue DNS-Sequenz an einer beliebigen Stelle des Zielgenoms einschleusen kann. Dies macht sie zu einem machtvollen Instrument, das sich sowohl am Menschen als auch bei Pflanzen oder Tieren anwenden lässt, um Sequenzen der DNS zu eliminieren, neu einzufügen oder sie an- oder abzuschalten.

Und genau das ist wohl auch der Grund für den ungewöhnlichen Alarmismus der Biowissenschaftler: CRISPR ist schnell und einfach zu handhaben, die Technik benötigt kein aufwendiges Equipment und ist billig. Das Ende der gentechnischen Geheimwissenschaft scheint eingeläutet, die Exklusivität der Forschung der Vergangenheit anzugehören: „Der einfache Zugang und die unkomplizierte Handhabung der CRISPR-Technik eröffnet Wissenschaftlern überall auf der Welt die Möglichkeit zu Experimenten aller Art“, warnt Experte Lanphier. In China sollen laut Nature bereits vier Teams an solchen Projekten arbeiten.

Ob mit dem kleinen Baukasten, der für 50 US-Dollar im Internet zu kaufen ist, jeder beliebige Laborant mit molekularbiologischem Sachverstand eine Keimbahntherapie in Angriff nehmen kann, wie die FAZ orakelt, ist zwar noch nicht bewiesen. Doch die Zunft fürchtet, dass fragwürdige Experimente die gesamte Forschung in Verruf bringen könnten.

Mit dem Begriff Zugang hat Lanphier aber noch ein weiteres Stichwort in die Debatte geworfen. Um CRISPR tobt derzeit nämlich ein heftiger Patentstreit zwischen zwei Forschergruppen, die für sich beanspruchen, die Technik entwickelt zu haben. Auf der einen Seite stehen Emmanuelle Charpentier, Professorin am Helmholtz-Zentrum in Braunschweig, die zusammen mit ihrer in Berkeley arbeitenden Kollegin Jennifer Dou DNS die Rechte beansprucht. Streitig macht ihnen das der am MIT forschende Neurobiologe und Bioingenieur Feng Zhang, der behauptet, das mikrobiologische Reparaturtool entdeckt zu haben. Wer im Patentstreit siegt, sichert sich mit der industriellen Ausbeutung der Methode einen goldenen Dukatenesel.

Mutationen

Im Schatten dieses Rechtsstreits hat CRISPR die akademische Welt im Sturm erobert. Bestimmte Komponenten des Systems werden inzwischen auch über Open-Source-Verteiler zur Verfügung gestellt. Es gibt außerdem eine Reihe von Internet-plattformen, auf denen sich Interessierte über die Anwendung austauschen.

Auffällig ist allerdings die Diskrepanz zwischen dem Hype und den von Huang und seinen Kollegen vorgelegten Ergebnissen, die alle angekündigten Heilsversprechen konterkarieren. Von den 71 verfügbaren Embryonen – allein die große Zahl wirft bohrende Fragen nach ihrer Herkunft auf – wurden 54 getestet. 28 wiesen zwar den Schnitt im Strang auf, aber nur ein Bruchteil enthielt das genetische Ersatzmaterial. Um Keimbahntherapien an lebensfähigen Embryonen durchzuführen, räumt Huang ein, müsste man aber in jedem Fall Erfolg haben, um einen solchen Eingriff ethisch rechtfertigen zu können. Die Forscher brachen das Experiment daher ab und versuchten, ihre Ergebnisse in den Fachzeitschriften Nature und Science zu veröffentlichen, die aber ablehnten. Angeblich wegen ethischer Bedenken.

Doch selbst wenn das Experiment erfolgreicher verlaufen wäre, sind die Folgen des Eingriffs nicht absehbar. Wenn sich Genmaterial nämlich an unerwünschten Stellen einnistet, kann es zu Mutationen kommen, die die gesamte Keimbahn verändern. Huangs Gruppe hat bei Stichproben solche Mutationen bereits gefunden.

Dies alles erinnert an die Geschichte der Gentherapie, die vor 20 Jahren mit großem Enthusiasmus eingeläutet worden war, dann aber einen heftigen Rückschlag erlebte, nachdem Versuchspatienten nach der Einfügung von fremdem Genmaterial in Körperzellen Krebskrankheiten ausbildeten oder in einem Fall auch an Multiorganversagen starben. Im Falle von Keimbahn-Interventionen bleiben die Folgen aber auch nicht mehr auf den einzelnen Patienten beschränkt, sie pflanzen sich über Generationen hinweg fort.

Es gibt also genügend Gründe für ein Forschungsmoratorium, das mehr will, als die Konkurrenz ausschalten. 1975, zu Beginn des Gentechnik-Zeitalters, trafen sich Wissenschaftler im kalifornischen Asilomar, um sich über den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen zu verabreden. Daran könnte heute angeknüpft werden, begleitet von einer breiten Diskussion nicht nur über Keimbahntherapie, sondern über Genome Editing insgesamt.

In Deutschland hat die Aufregung um die chinesischen Experimente nämlich zu einer ganz gegenläufigen Intervention seitens der wissenschaftlichen Nationalakademie Leopoldina geführt. Sie fordert die Kanzlerin in einer Stellungnahme auf, gänzlich auf ein Verbot von Gentechnik zu verzichten, weil es Gentechnik in der herkömmlichen Form gar nicht mehr gebe. Mit CRISPR könne man zum Beispiel Nutzpflanzen so verändern, dass sie von der natürlichen Form gar nicht mehr zu unterscheiden seien.

Genome Editing also als willkommenes Vehikel, um ungeliebte Regelungen des Gentechnikgesetzes zu Fall zu bringen? Mit Heilungsversprechen werben die chinesischen Forscher, wenn sie an der Keimbahn des Menschen herummanipulieren. Mit dem Hunger der Welt argumentiert Leopoldina-Präsident Jörg Hacker, wenn er für die Akzeptanz genom-editierter Pflanzen wirbt. Inmitten der Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen TTIP, bei dem es bekanntlich auch um die Herabsenkung von Akzeptanzschwellen gentechnologisch veränderter Lebensmittel geht, wirkt das wie eine Kampfansage an die TTIP-Gegner.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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