Dieser Tage wurde in Brasilien mit der Produktion eines eigenen Aids-Medikaments begonnen, das auf der Basis des Präparats Efavirenz der Firma Merck entwickelt worden ist. Die Weltgesundheitsorganisation hatte der brasilianischen Regierung eine so genannte Zwangslizenz erteilt, nachdem die Regierung in Brasilia andernfalls mit einem Patentbruch gedroht hatte. Das Medikament soll kostenfrei an Aids-Patienten verteilt werden. In Brasilien, schätzt man, sind 710.000 Menschen mit HIV infiziert, 0,6 Prozent aller Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren.
Der Streit um kostengünstige Aids-Medikamente für die armen Länder ist alt. Immer wieder wurden die großen Pharma-Konzerne als Patenthalter aufgefordert, die überlebenswichtigen Medikamente billig oder kostenlos an die 50 ärmsten Länder abzugeben. Doch die Bayer AG streitet sich gerade vor Gericht mit der indischen Regierung, ob die dortige Zulassungspraxis von preisgünstigen Nachahmer-Produkten zu lax gehandhabt wird und gegen geltendes Patentrecht verstößt.
Wie eine Bombe dürfte deshalb die Nachricht des britischen Pharma-Riesen GlaxoSmithKline (GSK) eingeschlagen haben, der diese Woche ankündigte, seine Aids-Präparate künftig zu maximal einem Viertel des Normalpreises an Entwicklungsländer abgeben zu wollen. Damit liegt der Preis immer noch höher als der von Generika, die bei Freigabe der Patente zu einem Prozent des ursprünglichen Preises angeboten werden könnten, doch zweifellos will Konzernchef Andrew Witty ein Zeichen setzen. Er gab nämlich gleichzeitig bekannt, GSK plane einen Patentpool einzurichten, „das erste Mal, so etwas überhaupt anzusprechen“, wie Witty betonte. Der Patentpool soll für wenig erforschte, weil in der westlichen Welt nicht grassierende und deshalb nicht lukrative Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose offen stehen und für die Entwicklung neuer, preisgünstiger Medikamente eingesetzt werden. Aids-Patente allerdings, kritisiert die international tätige Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, werden von GSK nicht in den Pool eingespeist.
Der „große Sprung nach vorn“ seitens des Pharmakonzerns könnte aber auch ein werbeträchtiges Ablenkungsmanöver sein. Anfang Februar hatte das nach Pfizer zweitgrößte Pharmaunternehmen der Welt nämlich drastische Sparmaßnahmen und Massenentlassungen angekündigt und eine Geschäftsprognose für das Jahr 2009 verweigert. Die großen Pharmaunternehmen geraten in den letzten Jahren immer stärker unter Druck: Viele ihrer Patente laufen in den nächsten Jahren aus, und der prosperierende Generika-Markt rafft ihre Profite weg. Die Forschung und Entwicklung wirklich neuer Produkte ist teuer und wurde vielfach auch schlicht verschlafen. Momentan werfen die Unternehmen Scheininnovationen auf den Markt, doch auch hier sind die Grenzen schon sichtbar. In Deutschland zum Beispiel werden scheinbar neue Arzneimittel gar nicht mehr in den Kassenkatalog aufgenommen und sind nicht erstattungsfähig.
Im Hinblick auf Aids-Medikamente ziehen sich ohnehin immer mehr Konzerne vom Markt zurück oder verscherbeln ihre Produkte billig in die Länder der Dritten Welt. Das große Geschäft mit der Seuche ist offenbar vorbei, zumindest global gesehen. Bald werden Zwangslizenzen wie in Brasilien nicht mehr nötig sein, sondern reguläre Generika auf den Markt drängen. GSK hat übrigens angekündigt, sich in diesem Segment nicht engagieren zu wollen. Zu hohe gesetzliche Auflagen, zu niedrige Gewinnmargen, ist anzunehmen. Das kommende Geschäft liegt bei den frei verkäuflichen Medikamenten und Gesundheitsprodukten, die es im Supermarkt oder einfach im Internet zu haben gibt. Zumindest für die Zahlungskräftigeren in der nördlichen Hemisphäre.
Kommentare 13
Ist da nicht ein Fehler in der Überschrift?Bei mir ergeben die Anfangsbuchstaben von GlaxoSmithKline nicht GKS sondern GSK oder liege ich hier falsch?
der henning hat natürlich Recht. Es wurde geändert.
und auch dem frans sei dank, der das ebenfalls gemerkt hat. Schön, dass es so viele aufmerksame leser gibt, die müssten wir auch mal zum korrekturlesen im print einladen!
dann könnt ihr ja auch gleich noch die "gewinnmarsche" rausnehmen :D
Wird in Ländern, die Generika verteilen auch etwas für die Prävention getan? Ansonsten, züchtet man sich Millionen chronisch Kranker Virus-Träger heran, die alle abhängig sind von Medikamenten.
Es gibt eine Folge von Star Trek Deep Space Nine in der eine Gruppe Jem Harda desertiert. Diese Soldaten bekommen eine Substanz von ihren Führern ohne die sie sterben. Sie sind also vollkommen abhängig von ihren Führern.
Wer für Generika eintritt muss auch für Aufklärung eintreten, sonst werden Probleme nur ein paar Jahrzehnte verschoben.
Bevor Ihr es dann noch einmal anfassen müsst: Hemisphäre anstatt Hemisphere.
Das letzte Statement kann ich nur unterstützen. Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Medico machen das auch, und ich bin auch keine Anhängerin der Nur-Pillen-Strategie. Das Problem ist nur: Ist ein Mensch erst einmal infiziert und wird krank, hilft Aufklärung höchstens nur noch präventiv in Bezug auf andere.
Auch das wurde geendert. Langfristsges Zil is ein Täxt gans ohne Fela. Op uns das gelink? :-(
Langfristig führt das Aushebeln weltweit gültiger (Wirkstoff-)Patente zu einer verlangsamten Entwicklung und zu einer Verteuerung von neuen Arzneimitteln, denn es sind immer noch die großen Markenhersteller von Arzneimitteln, die überproportional zur Entwicklung von neuen Arzneistoffen beitragen.
Die Zeche zahlen die Patienten in den Industrieländern, denn die Markenhersteller bringen in erster Linie dort Ihre neuen Arzneistoffe zu immer höheren Preisen auf den Markt um die Entwicklungskosten zu refinanzieren.
Wer das bezweifelt, sollte mir die Frage beantworten, warum fast alle Neueinführungen von Arzneistoffen im vergangenem Jahr über 500 EUR kosten.
Lieber Bugbear, danke für diesen Kommentar, der mir Gelgenheit gibt, eine Position, auf die man immer wieder stößt, zurechtzurücken. In der Tat: Es ist teuer, wirklich neue Medikamente zu entwickeln. Das Problem ist aber, dass – wie überall in der kapitalistischen Produktion - auch auf dem Arzneisektor vor allem das entwickelt wird, was profitabel ist: Zum Beispiel dasx-te Medikament gegen Bluthochdruck. Das bräuchte man nicht, weil viele gute Präparate auf dem Markt sind. Aber es gibt in der westlichen Welt viele Menschen, die an Bluthochdruck leiden, also winkt ein Geschäft. Diese Produkte werden entwickelt aus "Me-too"-Patenten, das heißt, die Rezeptur eines eigentlich schon markpositionierten Produkts erfährt eine winzige Veränderung - und schwupps, ist das neue Medikament fertig. Das verhindert zum Beispiel, dass Arzneimittel für Krankheiten, die selten sind ("orphan diseases", die gibts auch in Europa), nicht entwickelt werden, ganz abgesehen von den Krankheiten, die in den ärmeren Ländern grassieren und viele Tote fordern. Die Frage ist also: Wer bestimmt die Forschungsprioritäten: Die Pharma-Industrie oder die öffentliche Gesundheitsversorgung, die ein Interesse daran haben muss, dass die Mittel sinnvoll eingesetzt werden und möglichst viel Nutzen (nicht im Sinne von Dividende) bringen? Denn es ist letztlich ja unser Geld, das in die Forschung und Entwicklung fließt: Sei es direkt durch unsere Kassenbeiträge oder indirekt durch die öffentliche Forschung, die es ja auch gibt. Die WHO könnte hier eine wichtige Rolle spielen. Wenn Sie das (oder andere LeserInnen) interessiert, empfehle ich die Broschüre von medico international: "Patienten, Patente und Profite - Globale Gesundheit und geistiges Eigentum", die 2008 erschienen ist.
nachdem die tippfehler ja erkannt sind ;-) noch einige inhaltliche gedanken zum artikel:
- die 'zwangslizenzen' sind ein instrument, das auf dem trips-abkommen und dem welt-handelsbakommen beruht und letztlich nur eine notlösung darstellt, um least developped countries einen zugang zu medikamenten in notsituationen zu ermöglichen
- genau daraus resultiert auch das derzeitige problem in indien - bisher waren dort generika möglich, nun soll dem wto entsprochen werden. indien ist derzeit einer der bedeutendsten generika-produzente, gerade auch im aids-bereich
(und nb, generika-hersteller sind durchaus auch profitorientierte unternehmen, haben qualitätsprobleme, teils schwierige marketing-instrumente ... )
- die aussage "In Deutschland zum Beispiel werden scheinbar neue Arzneimittel gar nicht mehr in den Kassenkatalog aufgenommen und sind nicht erstattungsfähig." trifft m.w. derzeit so noch nicht zu. der gemeinsame bundesausschuß (g-ba, der die erstattung durch gkv regelt) prüft m.w. derzeit nur die nutzen, noch nicht die wirtschaftlichkeit. ein entsprechendes verfahren befindet sich erst in entwicklung.
- "Im Hinblick auf Aids-Medikamente ziehen sich ohnehin immer mehr Konzerne vom Markt zurück oder verscherbeln ihre Produkte billig in die Länder der Dritten Welt." - ja was denn nun? wollen wir billige aids-medikamente für ldc, oder nicht? warum dieses abwertende "verscherbeln"? wenn sie die preise senken, hilft das erstmal vielen patienten dort ...
- "Bald werden Zwangslizenzen wie in Brasilien nicht mehr nötig sein, sondern reguläre Generika auf den Markt drängen." das trifft so nicht zu. die patente laufen demnächst aus für einige wenige medikamente der ersten generation - die im westen schon lange kaum noch ein patient nimmt, und die auch in anderen staaten patienten nicht lange helfen werden. es geht darum, alle medikamente (entsprechend der jeweiligen strukturen im land) zugänglich zu machen - und die stehen großenteils auch die nächsten jahre noch unter patentschutz. deswegen braucht es (das instrument der) zwangslizenzen, deswegen braucht es weiter debatten über das problem der patentrechte auf lebensnotwendige medikamente
nb,m es wäre schön wenn aus den "Gewinnmarschen" (am schluss des textes) noch "gewinnmargen" werden ;-)
Zunächst einmal vielen Dank für diesen außerordentlich kenntnisreichen und differenzierten Kommentar! Den ersten beiden Punkten kann ich als Ergänzung nur zustimmen, vor allem auch dem Hinweis, das auch Generika-Hersteller nicht die Gutmenschen Nummer eins sind, sondern genauso verdienen wollen wie alle anderen Unternehmer.
Die Geschicthe mit dem gBA ist ein bisschen kompliziert, weil sich da momentan ja das IQWIG - also das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln - reinhängt; und was das nach der Bundestagswahl, je nachdem, wie die ausgeht, überhaupt noch "darf", bleibt abzuwarten. Aber generell geht die Tendenz auch im gBA in Richtung einer restriktiveren Zulassungspraxis - so habe ich das jedenfalls auf dem letzten Hauptstadtkongress Gesundheit gehört -; ob zum Wohl der Patienten ganz allgemein, steht auch auf einem anderen Blatt.
Mit dem "verscherbeln" sollte nur angedeutet werden, warum GSK gerade jetzt in die Puschen kommt und ihre Aids-Medimente günstig abgibt; dass das grundsätzlich erst einmal positiv ist für die betroffenen PatientInnen, sollte nicht bestritten werden. Aber Taktik ist das sicher auch im Spiel.
Und was die Lizenzen betrifft: Danke für den Hinweis, das ist richtig. Und natürlich auch das Fazit, dass es weiterhin Zwangslizenzen bedarf, um die Ärmsten der Armen nicht nur mit unserem Medikamentenmüll abzuspeisen, sondern ihnen die gleiche Behandlungsqualität zukommen zu lassen, die wir selbstverständlich für uns fordern.
Und last not least: Auch der letzte Fehler wurde behoben. Es ist eine Krux mit dem schnellen Schreiben, Redigieren, Einstellen - sorry.
"Wer das bezweifelt, sollte mir die Frage beantworten, warum fast alle Neueinführungen von Arzneistoffen im vergangenem Jahr über 500 EUR kosten."
Weil es gezahlt wird!