Der Kern des Spektakels

Titelentzug Hinter der Aufregung um die Aberkennung von Annette Schavans Doktor-Titel steht auch ein Bedürfnis: Viele wünschen sich eine redliche Wissenschaft
Der Kern des Spektakels

Foto: Sean Gallup / Getty

Doktorarbeiten exponierter Persönlichkeiten waren schon immer Gegenstand politischer „Wühler“. Erinnert sei an die Tiefenschürfungen in der Dissertation von Helmut Kohl, dem man zu gerne reaktionäre oder gar revanchistische Weltsicht nachgetragen hätte. Der ideologiekritische Impuls, der früher einmal diese Grabungsarbeiten anleitete, ist gänzlich unmodern geworden.

Heute müssen sich Politiker nicht mehr vor verdächtigen Inhalten einer längst vergessenen akademischen Arbeit fürchten, sondern davor, den Inhalt nicht auf ihren Urheber zurückgeführt zu haben. Das ist in einer Ära, in der das Urheberrecht wie nie zuvor zur Disposition steht und der unbekümmerte Wissenstransfer zum politischen Aushängeschild avanciert ist, doch immerhin bemerkenswert.

Annette Schavan ist die zweite aus dem Kabinett Merkel, die nun über den laxen Umgang mit fremdem Wissen stolpert. Die entschiedene Willenserklärung der Universität Düsseldorf, den Doktorhut zurückzunehmen, kam am Ende nicht ganz unerwartet, nachdem zunächst alle Diskretionsgrundsätze verletzt und die öffentliche Kampagne gegen Schavan angelaufen war. Im Unterschied zu Karl-Theodor zu Guttenberg, für den sich Schavan damals öffentlich „schämte“, hat sie sich zwar nicht des Copy-Paste-Verfahrens schuldig gemacht, sich aber eben doch mit fremden Federn geschmückt.„Systematische“ und „vorsätzliche“ Täuschungsabsicht erkannte der Fakultätsrat in der vor 33 Jahren verfassten Dissertation „Person und Gewissen“. Er begründet seine Entscheidung mit dem „öffentlichen Interesse am Schutz der Redlichkeit wissenschaftlichen Qualifikationserwerbs“.

Für die Bildungs- und Forschungsministerin, die nun ohne jeglichen akademischen Abschluss dasteht und, falls ihre Klage nicht erfolgreich ist, auf jeden Fall ihre Professur verliert, bedeutet das nicht nur den beruflichen Ruin, sondern auch eine schwere Rufschädigung. Umso mehr, als sie im Vorfeld nicht davor zurückschreckte, die von ihrem Ministerium finanzierten Wissenschaftseinrichtungen für die Rettung ihrer Reputation in Anspruch zu nehmen. Damit hat sich Schavan völlig überflüssig ein zweites Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt.

Aber ganz abgesehen von ihrer Person und der Schwere ihres wissenschaftlichen Vergehens wirft der Fall wieder einmal die Frage nach dem Kern des Spektakels auf. Warum fordern mittlerweile 82 Prozent der Bevölkerung den Rücktritt der Ministerin, obwohl akademische Lauterkeit keine breitflächig verteidigte Tugend sein dürfte und Zitierregeln dem gesunden Menschenverstand eher ferne stehen?

Vielleicht, weil die Wissenschaft als letzte Bastion der Redlichkeit gilt, als eine Insel der Seligen, auf der Uneigennützigkeit gepflegt werden soll. Das ist zwar ein Irrglaube, der aber gerne aufrechterhalten wird, um den Ruf der freien Forschung zu verteidigen und immer wieder Reinigungsrituale inszenieren zu können, bei dem zwar der Körper der Königin fällt, symbolisch aber dennoch weiterlebt.

Annette Schavan hat diesen Akt vorerst nun verweigert, indem sie nicht an Rücktritt denkt. Offenbar vertraut sie auf den Erfolg ihrer Klage, der sie auch nach den Bundestagswahlen im Amt halten könnte, falls Angela Merkel siegt. Doch auch sie ist mit der Beschädigung einer ihrer engsten Vertrauten geschwächt. Eine gute Nachricht aber gibt es: Für kommende Politikergenerationen dürfte sich die alte akademische Regel „Hauptsache Titel“ erledigt haben.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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