Der leichte Weg zum besseren Ich

Hirndoping Braucht man Smart Drugs, um sich geistig und mental "gut drauf" zu bringen? Eine Forschergruppe plädiert jetzt für den offenen Umgang mit den Neuro-Enhancern

Die Welt verschwindet, das Materielle, der Körperkram fällt von dir ab, du fühlst dich sauwohl, nicht das kleinste Problemchen mehr, du bist raus aus allem, jede Art von Schmerz ist abgetötet. Besonders der Schmerz, den man sich selbst zufügt.“ So oder ähnlich besangen die Drogenpoeten der sechziger Jahre den Joint oder den selig machenden Schuss. Nachzulesen ist das in dem aufschlussreichen Roman des Berliner Autors Bernd Cailloux Geschäftsjahr 1967/68, der Auskunft darüber gibt, warum in der Folgezeit kaum etwas den Staat so sehr provozierte wie der Deal mit und der Konsum von Drogen: Vom medizinischen Risiko abgesehen, lag die gesellschaftspolitische Herausforderung darin, dass hier eine ganze Generation ihren „Ausstieg“ erklärte. Der bewusstseinserweiternde Trip wurde als Kampfansage verstanden. Das bestimmte auch die Affekte der späteren staatlichen Drogenpolitik.

Mit „Mother’s little Helpers“ in den Turbokapitalismus

Von individueller Anpassungsverweigerung ist keine Rede mehr. Die heutigen Optimierungsstrategien wollen die Welt nicht vergessen, sondern auf der Überholspur mit ihr laufen. Ob Schönheitschirurgie oder Viagra, es gilt aufzuhübschen und zu pushen, was eine ungerechte Natur ungleich verteilt hat. Aber nicht nur das OP-Messer setzt am dürftigen Sein an, in den letzten Jahren geht es mehr noch darum, das unzuverlässige Gehirn auf Vordermann zu bringen: Wo der Kaffee als Wachmacher nichts mehr nützt, Memotechniken dem Gedächtnis nicht aufhelfen, der Sekt zu wenig gute Laune macht und die Schokolade nicht glücklich genug, ist die dienende Pharmaindustrie zur Stelle mit smart pills oder Antidepressiva, Mother’s little Helpers des Turbo-Kapitalismus.

Was in der Alltagssprache als Hirn­doping in unmittelbare Nachbarschaft zum verpönten und verbotenen Sportdoping rückt, nennt die Fachwelt Neuro-­Enhancement. Gemeint sind damit pharmakologische oder neuro-technische (zum Beispiel Gedächtnis-Chips) Interventionen, die die kognitive Leistungsfähigkeit oder die psychisch-mentale Befindlichkeit beeinflussen, ohne damit therapeutische Absichten zu verfolgen. Neuro-Enhancer zielen also grundsätzlich auf gesunde Menschen und dienen ihrer Selbstverbesserung. Das macht sie ideologisch angreifbar, weil sie für medizinisch nicht-indizierte und zumindest hinterfragbare Zwecke eingesetzt werden.

Unter dem Schlagwort „Das optimierte Gehirn“ ist kürzlich eine kleine Forschungsgruppe vorgeprescht und hat ein Memorandum vorgestellt, das das Brain-Doping offensiv gegen seine Kritiker in Schutz nimmt und bedingt positiv bewertet. Aus dezidiert liberaler Perspektive fordern die sieben Wissenschaftler die Beweisumkehr: Unter der Voraussetzung, dass jeder entscheidungswillige Mensch „über sein persönliches Wohlergehen, seinen Körper und seine Psyche frei bestimmen“ kann, sei nicht der Konsum von Neuro-Enhancern begründungspflichtig, sondern die Einschränkung desselben. Damit positioniert sich die Gruppe, der auch die Medizinerin und Ethikrätin Bettina Schöne-Seifert und der Strafrechtler Reinhard Merkel angehören, bewusst gegen einen eher kritischen Mainstream, der noch auf der diesjährigen Jahrestagung des Ethikrats („Der steuerbare Mensch“) deutlich geworden war.

Umstritten sind Enhancer zunächst, weil sie im Unterschied etwa zur Schönheitschirurgie unmittelbar ins Gehirn eingreifen. Ob es sich nun um Ritalin handelt, um Dopamin- oder Serotonin-haltige Pillen, die wach halten, das Gedächtnis trainieren oder entspannen, ob um Modafinil oder um Antidepressiva: Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden, die Barriere also, die das Hirn vor Krankheitserregern und Giften schützt und die natürliche Balance etwa zwischen Wach- und Schlafphasen austariert. Die meisten Enhancer fallen derzeit unter das Betäubungsmittelgesetz.

Viele der sich heute in Umlauf befindlichen Präparate wurden ursprünglich für therapeutische Zwecke entwickelt und sind erst später in den Lifestyle-Markt eingewandert. Während das Methylphenidat Ritalin beim so genannten Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS) bei Kindern zum Einsatz kommt und auch da hochgradig umstritten ist, stammen andere Produkte aus der Demenz-Forschung oder aus dem Umfeld der Psychiatrie, darunter die bekannte Glückspille Prozac.

Umgekehrt verlangt der florierende Neuro-Enhancement-Markt auch nach neuen Diagnosen, damit die Produkte an den Mann oder die Frau kommen. Leichte Altersvergesslichkeit beispielsweise (Mild Cognitive Impairment, MCI) wird präventiv und wenig erfolgreich mit dem Enzymhemmer Donepezil „behandelt“.

Männer putschen auf, Frauen dimmen runter

Die von der Memorandum-Gruppe angezettelte Enhancement-Diskussion dreht sich allerdings nicht um die fragwürdige Erfindung neuer Krankheiten, sondern um den Pillen-Markt für Gesunde. Wie sollen wir damit umgehen, wenn sich Studierende vor Prüfungen Sedativa oder Aufputschpillen einwerfen, wenn Piloten Modafinil schlucken, um möglichst lange den Steuerknüppel halten zu können, Arbeitnehmer dem Leistungsdruck mit Piracetam (eigentlich ein Medikament gegen Demenz) begegnen, statt auf die deutlichen Zeichen von Stress und Überforderung zu reagieren?

Über die Verbreitung von Neuro-Enhancern ist wenig bekannt, was nicht erstaunlich ist, da viele Präparate im Internet oder illegal gehandelt werden und der Konsum verheimlicht wird. Aus den USA ist bekannt, dass Ritalin an Schulen und Universitäten in Umlauf ist und auch Professoren nicht abgeneigt sind, sich damit auf Touren zu bringen. In Deutschland gibt nur eine Anfang des Jahres veröffentlichte DAK-Studie Aufschlüsse: Danach haben fünf Prozent der DAK-Versicherten derartige Präparate schon einmal ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen, wobei Männer eher Aufputschmittel schlucken, während sich Frauen eher mit Sedativa „runterdimmen“; 800.000 Menschen nehmen sogar regelmäßig Cognitive Enhancer ein.

Weniger noch als Erkenntnisse über die Verbreitung liegen gesicherte Daten über Nutzen und Nebenwirkungen der Pusher und Wohlfühlpillen vor, was Isabella Heuser, Psychiaterin an der Berliner Charité und Mitinitiatorin des Memorandums, beklagt. Die Forschungslage ist dürftig und widersprüchlich, was Wirkung, unerwünschte Folgen und insbesondere das psychische Abhängigkeitspotenzial betrifft. „Entgegen vielen Befürchtungen (und Hoffnungen) gibt es offenbar keine bemerkenswert wirksamen Neuro-Enhancer“, resümieren die Memorandum-Autoren. Eine amerikanische Forschergruppe um Peter J. Whitehouse kommt zu ähnlichen Ergebnissen und stellt die entscheidende Frage: „Welche Regeln sollten gelten, wenn wir in der Lage wären, der Öffentlichkeit genau das zu liefern, was sie sucht?“

Über dieses Reglement wird nun diskutiert, und die Antworten sind abhängig von den normativen Voraussetzungen. Angenommen, smart drugs wären frei verfügbar und ein Teil der Studierenden würde sich vor Prüfungen damit in bessere Verfassung bringen: Wäre das gerecht gegenüber denjenigen, die sich die Pillen nicht leisten können? Wie stünde es dann um die Vergleichbarkeit der Leistungen? Zwar ist Chancengleichheit durch bestehende Erbprivilegien ohnehin nur ein hehres Ziel und bemittelte Eltern sorgen schon frühzeitig für die Bildungsvorteile ihrer Sprösslinge. Doch es könnte eine Situation entstehen, wo der Druck auf diejenigen, denen die Mittel fehlen oder die das Hirndoping grundsätzlich ablehnen, so stark wird, dass sie selbst zu Enhancern greifen, um Konkurrenznachteile zu vermeiden. Dann würde aus einer angeblich autonomen Entscheidung ein unzulässiger sozialer Zwang.

Die Konsumenten wiederum müssten sich damit auseinandersetzen, ob das, was sie vor Prüfungskommissionen oder im Beruf leisten, „authentisch“ ist oder ob sie sich selbst und andere betrügen. Sind sie fit und „gut drauf“, weil es ihnen wirklich so geht? Wie wird ihre Leistung und ihr Sozialverhalten von denen wahrgenommen, die wissen, dass sie sich pharmazeutisch manipulieren? Und was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn am Ende alle ähnlich „gut drauf“ sind?

In der US-amerikanischen Diskussion um Prozac ging es immer wieder auch um die Wirkung des angeblichen Glücklichmachers und seine gesellschaftliche Funktion. Hatte Peter Kramer in seinem Bestseller Listening to Prozac proklamiert, die Lifestyledroge trage zur vollen Entfaltung der Persönlichkeit bei, kritisierte sein Kontrahent Carl Elliott in seiner Replik (Better than well), in den „Glückspillen“ kristallisiere sich die neoliberale Ideologie der Selbstverwirklichung und die Verpflichtung eines jeden, das Beste aus sich zu machen.

Die Befürworter einer kontrollierten Optimierungsstrategie halten solchem „Natürlichkeitsfetischismus“ und „Biokonservativismus“ entgegen, es gebe im Bereich des Sozialen ohnehin nur kulturell überformte Seins- und Verhaltensweisen und keine genuin „natürlichen“ Gefühle. So kehrt in der Auseinandersetzung um Neuro-Enhancement die alte nature-nurture-Kontroverse wieder, die – zumindest in der aktuellen Gendiskussion – mittlerweile als Nature via Nurture (also „Gene mit Hilfe der Umwelt“) diskutiert wird und etwas befriedet ist.

Kein besserer Mensch, aber ein besserer Tennisspieler

Dass es sich beim Konsum von Ritalin, Prozac oder Paxil um mehr oder minder von außen aufgenötigte Selbstanpassungsstrategien handelt, die „störende“ Emotionen wie Angst oder Trauer eliminieren, oder natürliche Grenzen wie Aufmerksamkeits- und Wachphasen überwinden sollen, um in der beschleunigten Möglichkeitsgesellschaft mitzuhalten, ist kaum von der Hand zu weisen. Ebenso wenig, dass hier ein unendlicher Markt bereitsteht, den zu bedienen die Pharmaindustrie nicht zögern wird. Zwischen 1993 und 2007 stieg die Ausgabe von Ritalin in deutschen Apotheken um das 30-Fache; in den USA sind Antidepressiva das am häufigsten verschriebene Medikament.

Die Memorandum-Autoren, die den „offenen, aber keineswegs unkritischen oder sorglosen Umgang“ mit Enhancern anregen, sehen durchaus die Gefahr, mit smart drugs den Konkurrenzdruck zu erhöhen, statt die wünschenswerte „Work-Life-Balance“ zu befördern. Dass sie „spekulative Ethik“ betrieben, weisen sie weit von sich. Immerhin bringen sie mit der Enhancer-Diskussion die Leute auf dumme Gedanken: Nicht nur im gendiagnostischen Bereich schafft Angebot und medialer Rummel die Nachfrage.

Wer es denn unbedingt wissen will, kann es halten wie der Journalist Jörg auf dem Hövel, der in seinem instruktiven Buch Pillen für den besseren Menschen ausführlich über seine Selbstversuche berichtet: Vom „Flash“-Erlebnis der 68er keine Spur, alles eher flau. Der Selbstversuch auf diesem Feld hat eine lange Tradition: Nicht nur Schriftsteller-Ärzte wie Gottfried Benn experimentierten gerne mit psychotrophen Stoffen, auch Leandro Panizzon, der Erfinder von Ritalin, hatte Methylphenidat in den vierziger Jahren an sich und seiner Frau Rita erprobt. Sie soll nach der Einnahme übrigens besser Tennis gespielt haben.



Das Manifest Das optimierte Gehirn findet sich auf der .Website der Zeitschrift Gehirn und Geist

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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