Es gibt nur wenige Sozialkonzepte, die in breiten Schichten der Bevölkerung Unterstützung finden – die Bürgerversicherung gehörte von Anfang an dazu. Gleichgültig, wer das Patent angemeldet hat, die SPD oder die Grünen, es war Erfolg versprechend und politisch mehrheitsfähig. Bislang ist aus der Bürgerversicherung nichts geworden, aber nach wie vor konkurrieren die beiden Erfinderinnen darum, sie am gerechtesten und nachhaltigsten auszugestalten.
Gestern legten SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach eine vom Parteipräsidium abgesegnete – und, um es vorwegzunehmen: abgespeckte – Fassung des ursprünglichen Modells vor, nachdem Arbeitsgruppen über Monate hinweg daran gehobelt und gefeilt hatten. Geblieben ist das Ziel, alle Bürger in das gleiche Krankenversicherungssystem einzubeziehen und damit sukzessive die Zweiklassen-Medizin von Gesetzlichen und Privaten zu beenden. Alle Neuversicherten sollen automatisch in die Bürgerversicherungspflicht, die bei einem Einkommen von 400 Euro beginnt, einbezogen werden. Wer schon bei den Privaten ist, kann wechseln, muss aber nicht. Dass die SPD gering verdienenden Selbstständigen damit endlich eine bezahlbare Alternative eröffnet, ist unbedingt zu begrüßen.
Schluss machen wollen Nahles und Lauterbach auch mit der Schieflage bei der Finanzierung: Die von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) endgültig außer Kraft gesetzte Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird wieder hergestellt. Statt die Versicherten mit immer höheren Zusatzbeiträgen zu belasten, soll aus der Lohnsumme eines Betriebes ein prozentualer Anteil – die SPD schlägt gegenüber den heute fälligen 7,3 nur 7,08 Prozent vor – direkt in den Gesundheitsfonds eingezahlt werden. Damit würde für die Arbeitgeberseite die heutige Beitragsbemessungsgrenze entfallen. Der Beitrag nach Lohnsumme, behaupten die SPD-Vertreter, belaste eher die kapitalintensiven Betriebe.
Die Arbeitnehmer entrichten einen Bürgerbeitragssatz von – statt heute 8,2 Prozent – 7,6 Prozent an ihre Kasse, den Krankenkassen wird allerdings wieder das Recht eingeräumt, den Beitragssatz zu variieren. Bei den Arbeitnehmern bleibt die Beitragsbemessungsgrenze erhalten. Das heißt, wer mehr als 44.550 Euro im Jahr verdient, muss anteilmäßig nicht mehr bezahlen. Nominal sollen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil gleich hoch sein. Zusätzlich wird ein Steuerzuschuss eingeplant, der jährlich nach dem Vorbild der Rentenversicherung dynamisiert wird und um 300 Millionen Euro steigt. Die zusätzlich hierfür erforderlichen Mittel soll aus der Anhebung der Zinsabgeltungssteuer finanziert werden. Im Unterschied zu heutigen Situation ist geplant, die Ausgaben des Gesundheitsfonds zu 100 Prozent zu decken.
Dieses neue Konzept, betonen Nahles und Lauterbach, sei in Bezug auf die PKV verfassungsfest, denn die Privatversicherer hätten ebenfalls die Möglichkeit, die Bürgerversicherung anzubieten. Großzügig zeigt sich die SPD auch gegenüber den Altersrückstellungen der PKV, die sie ihnen überlassen will: „Wir haben nichts gegen die Privaten“. Außerdem entfalle viel bürokratischer Aufwand bei der Beitragsfeststellung: Ursprünglich sah das Bürgerversicherungskonzept vor, auf Zinsen und Mieteinkünfte direkt Beiträge zu erheben. Doch „damit hätte man die Krankenkassen zu Finanzämtern gemacht“, erklärt Lauterbach. Ob der Aufschlag auf die Zinsabgeltungssteuer allerdings gerechter ist, steht dahin, zumal große Kapitaleigner Wege finden werden, sie zu umgehen, während die mittleren Sparer unverhältnismäßig belastet werden.
Auch für abhängig Beschäftigte, die Nebeneinkünfte haben, wird es teurer werden, selbstständiges Einkommen würde nach den Plänen der SPD nämlich in die Beitragszahlung einbezogen werden. Das kann man gegenüber Selbstständigen, die für gelegentliche Lohneinkünfte ebenfalls Krankenkassenbeiträge entrichten müssen, als gerecht empfinden. Völlig unverständlich ist allerdings, weshalb die SPD auf der jetzigen Beitragsbemessungsgrenze beharrt und damit versäumt, den richtigen Gutverdienern – die dann keine Fluchtmöglichkeit mehr zu den Privaten hätten – an den Beutel zu gehen. Die Grünen (und übrigens auch der DGB), die eine Anhebung von derzeit monatlich 3.750 auf 5.000 Euro fordern, werden sich in der künftigen Gesundheitsschlacht darüber freuen und fragen, vor welcher Klientel die SPD da eigentlich einknickt.
Dass die Sozialdemokraten im Gegensatz zu ihrem mittlerweile fast ebenbürtigen Konkurrenten auf die Beitragszahlungen für Mieteinnahmen verzichten, ist wahrscheinlich vernünftig. Schon in früheren Jahren, als die Bürgerversicherung noch mehr Strahlkraft hatte, warnten Gutachter, dass dabei wenig herauskommen würde.
Von der Seite der Leistungserbringer – also Krankenhäuser, Ärzte und anderen medizinischen Anbietern – war bei der Vorstellung des neuen Bürgerversicherungsmodells der SPD nicht die Rede. Doch diese ist ein Schlüssel, denn wenn die Vollversicherung in der PKV allmählich verschwindet, sind auch die Zeiten der 2,5-fachen Arzthonorare vorbei. Die SPD plant, demnächst einen Antrag zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte ins Parlament einzubringen. Bislang halten sich die Ärztevertreter bedeckt und überlassen der PKV den Protest gegen die „Abwicklung eines funktionierenden Systems“.
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