Der präparierte Mensch

KÖRPERWELTEN & GENOMPROJEKT Der vernützlichte menschliche Körper kündigt neue Eigentumsverhältnisse an

Wenn sie sich nicht gerade in dunklen Kinosälen räkeln, gehen die Hauptstadtbewohner derzeit einer morbiden Neigung nach: Schreckgeweiteten, doch faszinierten Auges defilieren derzeit Tausende von Besuchern an den plastinierten Leichenmodellen des Professors von Hagens vorbei, um einen scheuen Blick ins Innere der Spezies zu werfen. Als Feier des menschlichen Körpers will der "neue Leonardo" aus Heidelberg seine "Körperwelten" verstanden wissen, wobei er bei seinem Vergleich allerdings übersieht, dass erst die auf da Vinci folgende Entwicklung der Anatomie den "invasiven Blick" kultivierte und die - damals meist auf Vorstadtfriedhöfen geklauten - Leichen zerstückelte, wenn nicht gar, wie der große Vesal, Menschen bei lebendigem Leibe sezierte. Auf Leichenraub muss von Hagens heutzutage nicht mehr gehen, denn der narzisstische Wunsch nach unsterblicher Präsenz sichert ihm ebenso den Nachschub, wie der Wille, nach dem Tod noch "nützlich" zu sein.

Eine gewisse Ähnlichkeit weist das Seziermesser übrigens auf mit der "Schrotschuss"-Technik, die der Genetiker Craig Venter vor Jahresfrist der erstaunten Öffentlichkeit vorstellte und behauptete, mit ihr schneller als die weltweit regierungsamtlich beauftragten HUGOianer das fälschlich so genannte "Buch des Lebens" zu entziffern. Der Clou der Methode besteht darin, die DNS in kleine Teile zu "zerschießen", diese einzeln zu entziffern und von Computern wieder in Sequenzen zusammensetzen zu lassen. Auf diese Weise sollten, so Venter, jene Gene erkannt werden, die im langen, reichlich unübersichtlichen "Lebensfaden" des Menschen überhaupt eine Rolle spielen. Der verbissene Wettlauf zwischen dem staatlich geförderten Genomprojekt und Venters Firma CeleraGenomics um die Entzifferung der damals angenommenen 100.000 Gene nahm seinen öffentlichkeitswirksamen Ausgang und konnte im Juni vergangenen Jahres durch Präsident Clinton nur oberflächlich befriedet werden.

Während dieser Tage also im Berliner Postbahnhof der enthäutete und ausgestülpte Mensch rundum bestaunt wird, schrumpft die als "Krone der Schöpfung" gefeierte Spezies seitens der Genetiker wieder zusammen auf das Niveau zweier Fruchtfliegen, denn der Mensch, so die einmütige Meldung aus dem Gen-Funk, verfüge gerade mal über ungefähr 30.000 Gene. Die Nachricht, begleitet von dem kaum mehr überraschenden Vermerk, das menschliche Genom sei nun "endgültig" entschlüsselt (obwohl Venter erst 26.588 "sicher" dokumentieren will und das HUGO-Projekt sich gar nicht festlegen mag), zieht verschiedene Schlüsse nach sich: Einmal scheint "das Leben" doch komplizierter zu sein, als uns die Gen(er)zähler glauben machen wollen, denn dass all die uns bekannten Ausformungen menschlichen Seins auf bloß 30.000 Gene zurückzuführen sind, nimmt selbst Venter nicht mehr an und verkündet in der BBC: "Wir sind nicht fest verdrahtet." Interessant an dieser Bemerkung ist vor allem die Begriffswahl, denn auch von Hagens justiert seine Leichenteile, "Präparate" genannt, mit Draht.

Dass bei der Entstehung und Entwicklung menschlichen Daseins auch Kleinigkeiten wie Umgebung, Umwelteinflüsse und Ähnliches eine Rolle spielen mögen, wusste bereits, wer dem genetischen Verblendungszusammenhang nicht gänzlich verfallen war; wenn für manchen andererseits der Vergleich mit einer Fruchtfliege oder Labormaus, der wir nur 300 Gene voraushaben sollen, auch etwas kränkend sein mag. Offenbar existieren menschliche Gene fragmentiert und agieren beim so genannten "Bau des Lebens" nicht nur einzeln, sondern kooperativ und flexibel. Die Einsicht in diese genetischen Funktions- und Ablaufpläne mag in dem einen oder anderen Fall zu medizinisch verwertbaren Ergebnissen führen; doch Ankündigungen wie die André Rosenthals, die Genomforschung öffne "ein Tor zu einer völlig neuen Medizin", ist weiterhin mit Skepsis zu begegnen: Der Mann wirbt in Deutschland für die Umwidmung der UMTS-Milliarden in die Genomforschung, und Ministerin Bulmahn hat bereitwillig weitere 870 Millionen Mark Forschungsmittel zugesagt. Der vom Kanzler geplante "Nationale Ethik-Rat" soll dafür sorgen, die Kritiker in den eigenen Reihen mundtot zu machen.

Eine weitere Folge der nun auch zweifach wissenschaftlich dokumentierten menschlichen Genomkarte - von den Hugo-Mitarbeitern übrigens im britischen Wissenschaftsmagazin Nature, nachdem Venter in der amerikanischen Science durchsetzen konnte, dass die veröffentlichten Daten nicht verwertet werden dürfen - wird ein wieder aufgeflammter Spurt um die Verwertung der Genomsequenzen sein. Während in Europa der Streit um "Erfindung" oder "Entdeckung" der Gene noch in vollem Gange ist, hat Venter seine Patentansprüche noch längst nicht begraben und plant eine "Proteonfabrik", in der er die einflussreichen Eiweißmoleküle sequenzieren will.

Jedenfalls kündigt sich ein immer unübersichtlicheres Feld neuer Verfügungs- und Verwertungsrechte an, die den bislang als unteilbar vorgestellten Menschen in einen "Pool" verwandelt, dessen Bestandteile - zumindest perspektivisch - nach Belieben zu beleihen oder zu verkaufen sind: Embryonales Material, Samen, Eier, Organe, Gene und gar Leichen. Noch dürfen Organe nur "gespendet" werden, ebenso wie der Leichnam Professor von Hagens "zur Verfügung gestellt" wird. Doch "indem ich Leichen nützlich mache", behauptet der postmortale Verwertungsagent, "sind sie keine Leichen mehr."

Über sein daraus gewonnenes "Präparat" verfügt der Leichenkünstler ebenso alleine wie die Firma deCODE Genetics über den Genpool der Isländer oder die Stammzellenforschung über das embryonale "Material". Dass Samen-"Spende" heutzutage bereits bezahlt wird, gilt als selbstverständlich, und die Stimmen mehren sich, die hierzulande für die Eizellenspende eintreten. Wann wird die Schwelle überschritten, die den Körper als unveräußerlich markiert? Und wer darf darüber verfügen, was mit seinen Teilen passiert?

Die angekündigte neue Gentech-Politik aus den Häusern Bulmahn und Schmidt setzt dem Goldrausch-Fieber der Gentech-Branche wenig entgegen, sondern übt ihrerseits die "Vernützlichung" des Körpers ein - selbst wenn sie wie bei der absehbaren Freigabe der Präimplantationsdiagnostik unter dem Etikett "Elternrechte" daher kommt und sich demokratisch gibt.

"Demokratisch" wollen zumindest auch die Vertreter des internationalen Genomprojekts ihre Arbeit verstanden und verwertet wissen, und als "demokratischen Lehrsaal" versteht explizit Gunther von Hagens sein Leichentheater. Er habe den Menschen ihren Körper zurückgegeben, behauptet der Anatomiebesessene. Doch vielleicht ist dieser "reine" Körper, in dem Blut und Wasser durch Silikon ersetzt werden, Vorschau auf die Zukunft des "präparierten" Menschen und die Pilgerfahrt ins Hagenssche Leichenschauhaus Kondolenz an uns Künftige, die - in Anlehnung an Helmuth Plessner - nie Leib mehr sein, sondern nur noch Körper haben werden.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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