Deutliche Warnung

Asyl Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass die Abschiebehaft in Deutschland in ihrer jetzigen Form unhaltbar ist. Das war überfällig. Die Länder müssen nun reagieren
Ausgabe 30/2014
Deutliche Warnung

Foto: Adam Barry/ AFP/ Getty Images

In einem halben Jahr gab es 22 Hungerstreiks in der Justizvollzugsanstalt Mannheim. Unzumutbare Hygienezustände in der Justizvollzugsanstalt Bützow in Mecklenburg-Vorpommern. Und fast überall eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Kontaktverbot, mangelhafte medizinische und vor allem psychologische Versorgung. Das ist die von Pro Asyl, Diakonie oder der Antifolter-Stelle dokumentierte ganz normale Realität von Flüchtlingen, die das Pech haben, in deutsche Abschiebehaft zu geraten. Ohnehin oft traumatisiert durch Krieg und Verfolgung in ihren Herkunftsländern, wird der Aufenthalt in Deutschland zu einem weiteren Trauma.

Doch zumindest mit der von neun Ländern betriebenen Praxis, Flüchtlinge vor der Abschiebung wie Kriminelle in Justizvollzugsanstalten unterzubringen, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun Schluss gemacht. Sie verstößt nach Ansicht der Richter gegen die EU-Abschieberichtlinie und ignoriert die auch für Flüchtlinge geltenden Menschenrechte. In der Bundesrepublik wird Abschiebehaft zu lange, zu oft und zu schnell verhängt und teilweise unter Bedingungen, die für die derzeit 5.000 Betroffenen unzumutbar sind.

Verschiebebahnhof

Die Länder sind nun aufgefordert, die Asylsuchenden, die abgeschoben werden sollen, in speziellen Einrichtungen unterzubringen oder, wenn sie das nicht leisten können, mit anderen Ländern zu kooperieren. Baden-Württemberg ist dem im Vorfeld schon gefolgt, indem es Abschiebehäftlinge an Rheinland-Pfalz überstellt, Mecklenburg-Vorpommern verschickt sie nach Brandenburg.

Interessant ist, dass JVAs als Haftort auch dann nicht infrage kommen, wenn die Betroffenen dem zustimmen, um mit ihren Landsleuten zusammen zu sein. Das wirft ein Licht auf die wenigen weiblichen in Haft sitzenden Asylsuchenden, die unter ihrer Isolation leiden – und zeigt ein weiteres Mal, dass die Abschiebehaft, die nun zum Verschiebebahnhof zu werden droht, ohnehin kein adäquater Umgang mit Flüchtlingen ist. Angesichts der sich überall in Europa verschärfenden Asylpolitik ist das Urteil eine deutliche Warnung nicht nur an die Bundesrepublik, sondern an alle EU-Länder.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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