Schillernde Begriffe gab es bisher zuhauf. Mit der Solidarrente machte die SPD 2012 den Aufschlag, Ursula von der Leyen als damalige Arbeitsministerin konterte mit der Zuschussrente; 2013 kürte die Große Koalition den Begriff der Lebensleistungsrente, während die Grünen die steuerfinanzierte Garantierente in Umlauf brachten und die Linke wiederum versuchte, die solidarische Mindestrente aufs Podest zu hieven. Sollten Sie nun verwirrt sein und die konkreten Inhalte dieser Konzepte durcheinanderwerfen, vergessen Sie’s. Inzwischen sind wir nämlich bei der lapidaren Grundrente, 2017 wieder einmal in einem Vertrag der GroKo fixiert, angekommen, und genau, auch die gibt es noch nicht, trotz aller vollmundigen Versicherungen, Altersarmut bekämpfen zu wollen. Dagegen grätscht nun die Bundesbank, die wahrlich kein eingespielter Sozialplayer ist: Rente mit 70 für alle ab dem Jahr 2001 Geborenen. Gehören Sie dazu? Suchen Sie sich schon mal einen Altersjob!
Kleine Renten im Osten
Das Prestigeprojekt der SPD aber, an dem sie – angeblich – die Koalition platzen lassen könnte, ist nun ein weiteres Mal in die Warteschleife weggedrückt worden, nachdem die zuständige Arbeitsgruppe am vergangenen Mittwoch ergebnislos auseinanderging. Wäre doch schön gewesen für Olaf Scholz, kurz vor Abschluss des Mitgliedervotums über den neuen SPD-Parteivorsitz mit einer sozialen Praline aufwarten zu können. Und vielleicht hätte sie auch den Wahlkampfendspurt von Mike Mohring (CDU) in Thüringen versüßt, wo es, wie überall im Osten, besonders aussichtsreiche Anwärter für die Grundrente gibt.
Derzeit beziehen gut 500.000 Rentner Grundsicherung, was bei 20 Millionen Rentnern gering erscheinen mag. Doch zum einen dürfte die Dunkelziffer derer, denen die Leistung zwar zusteht, die den Gang zum Sozialamt jedoch meiden, beträchtlich sein, zum anderen wird die Zahl der Grundsicherungsberechtigten von aktuell neun Prozent auf zwölf Prozent im Jahr 2039 steigen. Das jedenfalls prognostiziert eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die außerdem darauf aufmerksam macht, dass es unter den Rentnern auch immer mehr Armutsgefährdete geben wird. Ihr Anteil steigt von 16,8 auf voraussichtlich 21,6 Prozent. Die Grundsicherung liegt, so die DIW-Studie, für Alleinstehende bei etwa 777 Euro, armutsgefährdet ist, wer weniger als 905 Euro zur Verfügung hat (neuesten Zahlen zufolge liegt die Grundsicherung bei circa 800 Euro). Ostdeutsche Rentner, Alleinstehende und Geringqualifizierte seien davon besonders betroffen.
Liest man diese Zahlen im Hinblick auf die geplante Grundrente, ist davon auszugehen, dass auch sie, selbst wenn sie eingeführt würde, keineswegs vor Armut schützt. Denn bei den angenommenen 777 Euro Grundsicherung würde die Grundrente bei einem angedachten Zuschlag von zehn Prozent derzeit 854,70 Euro betragen, damit läge sie also rund 50 Euro unter dem Betrag, ab dem für die Forscher die Armutsgefährdung beginnt.
Ein weiterer Grund, weshalb das im Koalitionsvertrag vereinbarte Grundrentenmodell nicht greift, liegt darin, dass die meisten „bedürftigen“ Rentner die geforderten 35 Beitragsjahre gar nicht zusammenbringen, die Armutsquote verringerte sich, so die Studie, also um nur 0,4 Prozent. Dabei ist bislang auch noch gar nicht klar, was überhaupt als aufstockungsfähige Beitragsjahre gilt (zum Beispiel schulische Ausbildung, Arbeitslosigkeit). Würde der Gesetzgeber allerdings dem von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil vorgestellten Entwurf folgen, in dem der Kreis der Anspruchsberechtigten auf über zwei Millionen Rentner ausgeweitet erscheint, wäre der Effekt deutlicher. Allerdings kämen dann auch Personen in den Genuss der Grundrente, die über andere Einkommen oder über Vermögen verfügen. Im Einstiegsjahr 2021 könnten nach ersten Berechnungen 2,1 Milliarden Euro Kosten entstehen.
Letzteres ist der Hauptangriffspunkt der Union, die fürchtet, dadurch „Nichtbedürftige“ zu fördern, und deshalb an der Bedürftigkeitsprüfung festhalten will – für die SPD das No-Go. Weniger die CSU, die sich kompromissbereit gibt, als der Fraktionsvorsitzende der Union, Ralph Brinkhaus, wirkt in diesem Fall als Bremser. Dem wirtschaftsliberalen Flügel verpflichtet, dem er seine Wahl verdankt, bläst er ins Horn der Unternehmer und warnt davor, das Prinzip der beitragsabhängigen Rente weiter aufzuweichen. Einig weiß er sich darin mit dem Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter, der sich kürzlich strikt gegen die Grundrente ausgesprochen hat. Es könne nicht sein, erklärte er, „dass jemand, der nur halb so viel Rente einbezahlt hat, plötzlich genauso viel kriegt wir der, dem lebenslang die doppelten Rentenversicherungsbeiträge abgezogen wurden“.
Vollzeit? Teilzeit?
Einmal davon abgesehen, dass es so nicht kommen wird, ist ein Argument der Grundrenten-Gegner nicht von der Hand zu weisen: Das Heil’sche Grundrentenmodell sagt zwar etwas über Beitragsjahre und Rentenpunkte aus, aber nichts darüber, ob jemand Vollzeit gearbeitet hat oder nur Teilzeit und trotzdem anspruchsberechtigt wäre. Angesichts der SPD-Diktion von der „gerechten Rente für eine lange Lebensleistung“ wäre zu fragen, ob sich die Länge auf den Arbeitstag oder auf das Arbeitsleben bezieht. Für Manuela Schwesig (SPD), die in der Arbeitsgruppe mitverhandelt, ist jedenfalls klar, dass es nicht sein kann, dass derjenige, der nicht gearbeitet hat, genauso viel Geld bekommt wie jemand, der sich sein Leben lang angestrengt und in die Rentenkasse eingezahlt hat: „Das ist das Grundprinzip eines Sozialstaats.“ Man könne nicht lauthals die „friedliche Revolution“ feiern und gleichzeitig die ältere Generation, die nach der Wende Ostdeutschland aufgebaut habe, hängen lassen.
Die Grundrente, das sollte klar werden, wird Altersarmut nicht verhindern, auch nicht die Rente mit 70. Das schaffen nur höhere Löhne in den aktiven Erwerbszeiten und ein Umbau des Systems, indem etwa erwerbsfreie oder -geminderte Zeiten besser abgesichert werden. Und eine erwerbsunabhängige Grundrente von 1.200 Euro wie in den Niederlanden wäre auch keine Utopie in einem Land, das sich Minister leistet, die gerade mal so zig Millionen in Schrott-Mautverträgen versenken.
Kommentare 4
Im Grunde genügt bereits Kopfrechnen für die Feststellung, dass die anvisierte Grundrente eine maximale Anzahl potenzieller In-Anspruchnehmer(innen) ausschließt.
Wichtigste eingebaute Hürde ist die Anzahl der Beitragsjahre: 35. Bereits bei gängigen Blue-Collar-Arbeitsbiografien ist die Anzahl der Jahre, die man aus dem System rausfallen »darf«, knapp bemessen: 10 bis maximal 15 Jahre. Uni-Absolvent(inn)en dürften sich Heils Konzept zufolge kaum Ausfalljahre leisten. Die nachhaltigste Hürde hat die SPD allerdings selbst geschaffen – in Form des deregulierten Arbeitssektors, dem die Agenda-Gesetze den Weg ebneten. Dessen Existenz allein nämlich dürfte bereits dafür sorgen dürfte, dass 80 Prozent der potenziell Betroffenen durch das Raster durchfallen.
Angesichts dieser Perfidie ist es letztlich egal, ob die Bedürftigkeit »sehr streng« geprüft wird (wie es CDU/CSU wollen) oder »nicht ganz so streng« (wie es die SPD möchte). Der CDU-seitig aktuell in Aussicht gestellte Kuhhandel (weniger Strenge gegen Steuererleichterungen für Unternehmen) zeigt die Generalrichtung dieses Sozial-Schauspiels recht gut an: Letztlich soll das neoliberale Konzept der Umverteilung von unten nach oben möglichst abstrichslos erhalten bleiben – lediglich der Anstrich erhält eine neue Farbe in dem Farbton »Grundrente«.
Fazit: Die aktuelle Grundrente-Debatte dürfte in der Hitparade der großkoalitionären Schmierenkomödien gute Chancen haben auf den ersten Platz. Schaustellerisches Highlight dabei: der Versuch der SPD, den Part des »guten Bullen« einzunehmen – der letztlich sogar mit Steuern dealt, um die minimale Anzahl von Aspirant(inn)en in einen eventuell nicht mehr ganz so minimalen Bereich zu heben. Das mag sich vom offenen Sozialbrutalismus der Union um zwei, drei Nuancen unterscheiden. Umgekehrt zeigt es jedoch recht gut, mit welchen Art Tricks die SPD soziale »Reformen« simuliert.
Eine Herangehensweise übrigens, die in den letzten 50 Jahren Parteigeschichte die Gleiche geblieben ist.
Absolute Zustimmung ohne Abstriche. Druckreif formuliert.
Das ist auf den Punkt getroffen!
Ein psychologisches Spielchen wird da betrieben. So stellt man dem Publikum Fragen, in dem nur zwei Alternativen behandelt werden und das in einer Art der Alternativlosigkeit.
Warum gibt es wohl eine Pfändungsgrenze, die bei einer alleinstehenden Person zurzeit 1.179 Euro Netto beträgt. Da wären wir etwa auf der niederländischen Höhe der Rente, obwohl man da auch genauer hinschauen muss.
Natürlich gibt es sie noch, die Klassengesellschaft. Spätestens hier dürfte es klar werden.
Ja, es ist der Gipfel von Frechheit: Um die zwei Milliarden für die Grundrente zu „kompensieren“, fordert die Union nun eine Senkung der Unternehmenssteuer um rund 10 Milliarden Euro.
Welchen Schaden erleiden die Unternehmen denn durch die Grundrente. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die sogenannten „Aufstocker“ erinnern, die soziale Transferleistungen beziehen, weil ihnen Unternehmen einen völlig unzulänglichen Lohn zahlen, was ich als sittenwidrig qualifiziere.
Statt die Unternehmen zu verpflichten, einen auskömmlichen Lohn zu zahlen, sanktionieren die Regierungen derartige Unternehmen, indem sie deren völlig defizitäre Löhne mit Steuergeld kompensieren und so die Skandalbezahlung der Unternehmen belohnen. So etwas unterstützt die CDU. Die AGENDA-Politik des „Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE“ hat Deutschland zum Niedriglohnland Nr. 1 Europas gemacht.
Sie sollten sich was schämen!
Diese Argumentation ist wirklich der Höhepunkt an Unverschämtheit:
!!!Der Steuerausfall durch Steuergesetzesänderungen in der Zeit von 1998 bis 2013 beträgt ca. 490 Milliarden Euro. Davon entfallen auf den Bund 197,67 Milliarden Euro, auf die Länder 236,68 Milliarden Euro und auf die Gemeinden 56,00 Milliarden Euro.!!!
Die politische Verantwortung hierfür lag von 1998 bis 2005 bei Rot-Grün, bei Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 und bei und Schwarz-Gelb von 2009 bis 2013. (Bontrup: Durch Umverteilung von unten nach oben in die Krise, Seiten 15 – 16.).
Von 1991 bis 2010 lt. Böckler Impuls, Ausgabe 03/2012, wurde die Anzahl der Beschäftigen in Öffentlichen Dienst um 1,6 Millionen gesenkt; das sind über 30 Prozent.
Reguläre Arbeitsverhältnisse wurden zu Modulen und Minimodulen fragmentiert.
Das eingesparte Geld in Höhe von 490 Milliarden Euro war ein Geschenk an Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft.
!!!Eine Glanzleistung des „Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE“!!!