Die Auslöser der Gewalt

Flüchtlinge Die Politik reagiert hilflos auf die Hassparolen und Hetze von Pegida und AfD. Das eigentliche Versagen liegt aber viel weiter zurück
Ausgabe 43/2015
Pegida-Aufmarsch in Dresden am 19. Oktober 2015
Pegida-Aufmarsch in Dresden am 19. Oktober 2015

Foto: Robert Michael/AFP/Getty Images

Da hat sich mancher zu früh gefreut, dass der Spaltpilz wundersame Auflösungskräfte entfalten würde. Die Erwartung, dass das Auseinanderdriften in der Alternative für Deutschland (AfD) oder die Zerwürfnisse im Bündnis der selbsternannten europäischen Patrioten, die sich angeblich dem Untergang des Abendlandes entgegenstemmen (Pegida), auch ihre Unterstützer und Mitläufer zum Verschwinden brächten, hat sich nicht erfüllt. Jetzt laufen sie wieder massenhaft durch Dresden und applaudieren den rechten Rattenfängern, die immer offener und frecher ihre Hetzparolen verbreiten und zu Hass und Gewalt aufstacheln.

Widerlich, abscheulich, erbärmlich, schallt es zurück aus der Berliner Republik. Schon die Terminologie aus dem Arsenal des peinlich berührten Ekels offenbart die Hilflosigkeit. Den Reaktionen der Politiker und ihren Appellen ist sichtlich der Schock eingeschrieben, den ein Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker auslöst und die bisher so behagliche Bilder der deutschen Willkommenskultur verdunkelt. Der politische Mordversuch und Aufmärsche wie in Dresden rufen längst vergessene Bilder wach aus Zeiten der labilen Weimarer Republik, die in der gefestigten bundesdeutschen Demokratie unwiederholbar schienen.

Die Hoffnung, der ganze Spuk möge sich in Wohlgefallen auflösen, muss also endgültig beerdigt werden. Das Beispiel des Kölner Attentäters, der in jungen Jahren offenbar einer rechtsradikalen, später verbotenen Partei angehörte, sich dann zwanzig Jahre lang unauffällig verhielt und plötzlich wieder auf der Bühne erscheint, verweist möglicherweise auf viele andere „Schläfer“ in der rechten Ecke, die sich von der Hetze eines Lutz Bachmanns oder des AfD-Politikers Björn Höcke aufgefordert sehen, zu handeln. Der Attentäter Frank S. fühlte sich von einer Mission beseelt. Er tue es für unsere Kinder, soll er gesagt haben, als er mit dem Messer zustach. Wie viele solcher selbsternannten „Retter“ gibt es wohl noch in der Republik?

Dass der organisierte rechtsradikale Rassismus mit den zunehmenden Flüchtlingsbewegungen gen Deutschland Morgenröte aufziehen sieht, war dagegen unbedingt zu erwarten. AfD und Pegida sind nur zwei politische Verdichtungen einer virulent immer dagewesenen xenophoben Strömung. Diese Haltung wurde nicht zuletzt von den etablierten Parteien gestärkt, die noch bis vor kurzem asylsuchende Menschen als Sozialschmarotzer anprangerten, die möglichst schnell abzuschieben seien. Merkels Wende in der Flüchtlingspolitik hat diese Rede höchstens abgedimmt und zu einer nicht enden wollenden „Flüchtlingskrise“ umgemünzt. Wenn Politiker nun also an die Pegida-Mitläufer appellieren, an deren Aufmärschen nicht mehr teilzunehmen, sollten sie nicht schweigen über ihre Ausgrenzungsrhetorik und die Unterlassungen bei der Ahndung rechter Gewalt.

„Ich sehe eine Gemeinschaft und ein Volk, das eine Zukunft haben will“, durfte Björn Höcke zur Prime-Zeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verkünden. Dieses vor der Semperoper für kurze Zeit skandierend zusammengeschweißte Volk erscheint aber immer noch wie eine Black Box, in der sich Modernisierungsängstliche, Wendeverlierer, Wutbürger, Veränderungsunwillige oder einfach Verunsicherte zusammenfinden. Treibt nur Zukunftsangst das dumpfe, abgestandene Ressentiment hervor? Lösen Ohnmachtsgefühle die latente Gewaltbereitschaft aus?

In den neunziger Jahren, nach den Gewaltexzessen gegen Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, hat der Kulturwissenschaftler Andreas Huyssen über dieses weit verbreitete Mitläufertum und das „xenopobische Dreieck“ nachgedacht, das von rechtsradikalen Populisten bis heute so geschickt besetzt wird. Er vermutete, dass den Deutschen mit der Einheit der innere Feind, das jeweils andere „fremde“ Deutschland, entzogen worden sei. Die fremdenfeindlichen Ressentiments, so seine These, waren Folge einer komplexen Verschiebung einer innerdeutschen Problematik. Stellten vor der Wende die Deutschen jeweils diesseits oder jenseits der Mauer die Identität des anderen in Frage, waren es nun die Ausländer, die nicht nur eine eigene Kultur mitbrachten, sondern auch noch als Diebe von Steuergeldern, Arbeitsplätzen und Wohnraum wahrgenommen wurden.

Das Versäumnis sah Huyssen damals in einer Politik, die an einem herkunftsorientierten Staatsbürgerschaftsrecht festhielt und verhinderte, dass die Nation zu einem Aushandlungsraum von Identität und Heterogenität „jenseits der Reinheit von Blut und Rasse“ gemacht werden konnte. Bekanntlich konnte sich dazu bis heute keine Bundesregierung durchringen, so dass etwa ein in dritter Generation hierzulande geborener Türke immer noch als „weniger deutsch“ gilt als ein „Blutsdeutscher“ von der Wolga oder aus Kasachstan.

Justizminister Heiko Maas zeigte sich nach dem Pegida-Aufmarsch erleichtert angesichts der großen Gegendemonstration unter dem Motto „Herz gegen Hetze“, während Innenminister Thomas de Maizière, spät genug, nach dem Staatsanwalt ruft. Pegida und Co. werden indessen versuchen, die Politik weiter vor sich herzutreiben. Die Frist für die Kanzlerin, aus der „Flüchtlingskrise“ eine Normalität zu machen im Sinne gegenseitiger respektvoller Gewöhnung, läuft spürbar ab.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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