Corona-Masken verschwinden aus unserem Alltag: War da was?

Meinung Niemand scheint die Corona-Masken zu vermissen. Doch die Rückkehr zur Normalität ist trügerisch
Ausgabe 21/2022

Sie war das unübersehbare Zeichen der Pandemie. Das Symbol dafür, dass wir uns in einem nichtkriegerischen Ausnahmezustand befinden. Nun fällt die Maske peu à peu, in den Supermärkten der südlichen Landesteile gefühlt schneller als im Norden. Gerade in ländlichen Gebieten, so der Eindruck, ist der Mundschutz, der einmal das Zeug dazu hatte, zum modischen Accessoire zu werden, eingemottet worden. Seit Mitte Mai dürfen sich Flugreisende sogar wieder voll ins Gesicht sehen, nur in Ländern, in denen die Maskenpflicht nicht gefallen ist, muss das Teil beim Ausstieg getragen werden. Ist das bei einer Inzidenz von immer noch über 300 in Deutschland fahrlässig?

Dass Corona in anderen Teilen der Welt – in China und dramatisch auch in Nordkorea – weiterhin wütet, erinnert uns daran, dass die Pandemie keineswegs überwunden ist. Solange die Bevölkerung nicht eine natürliche Schleimhautimmunität aufgebaut hat – und das dauert, so der Virologe Christian Drosten, mehrere Jahre –, werden uns immer wieder neue Varianten des Covid-Virus bedrohen, in den Wintermonaten stärker als im Sommer. Es muss gar kein „Killervirus“ sein, wie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in seiner Osterbotschaft prophezeit, es reicht ein hochansteckender Omikron-Abkömmling.

Noch hält die Bundesregierung an der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln fest, obwohl diese anderswo – wie gerade in Belgien – bereits gefallen ist. Angesichts des Gedränges, das wir im Sommer mit dem Neun-Euro-Ticket im Regionalverkehr erwarten können, und bei sechs Millionen erwachsenen Deutschen ohne Impfschutz ist es das Vernünftigste, was sie derzeit an Corona-Maßnahmen bereithält. Denn weder scheint das Kabinett die Forderungen der Kinderärzte ernst zu nehmen, die dringend Vorkehrungen für den Schulbetrieb im kommenden Herbst anmahnen, noch läuft bisher die von Karl Lauterbach angekündigte großflächige, intelligente Impfkampagne an. Im Gegenteil, derzeit müssen Hunderttausende Impfdosen entsorgt werden, weil das Verfallsdatum überschritten ist. Aber ob die Maskenpflicht tatsächlich bestehen bleibt, hängt auch von der Trittstärke der FDP ab. Der von ihr gestellte Minister Volker Wissing würde die Maske lieber heute als morgen aus dem Verkehr ziehen.

WHO alarmiert: Nachverfolgung der Übertragungswege sollte Priorität haben

Und noch ein anderes Ereignis erinnert uns daran, dass wir in gefährlicher Nachbarschaft mit Erregern leben, die durch Wildtiere übertragen werden, denen wir zu nahe auf den Leib gerückt sind. Der Ausbruch der Affenpocken ist zwar nicht vergleichbar mit dem des Coronavirus, doch die Häufung der Fälle alarmiert bereits die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die die Regierungen zu besonderer Aufmerksamkeit auffordert. Die aus Afrika eingeschleppte Infektion ist zwar nicht mit den als ausgerottet geltenden Menschenpocken zu vergleichen und führt in der Regel auch nicht zum Tod, doch die Ansteckungswege – insbesondere durch Körpersekrete – lassen Erinnerungen aufleben: Bisher sind vor allem Männer, die engen sexuellen Kontakt miteinander hatten, betroffen.

Priorität, so die WHO, sollte auch in diesem Fall die Nachverfolgung der Übertragungswege haben. In Deutschland beträfe das den überforderten öffentlichen Gesundheitsdienst, der dies im Fall von Corona längst aufgegeben hat. Die Normalität, die das Verschwinden der Maske aus der Öffentlichkeit signalisiert, ist also trügerisch, auch wenn wir sie uns zurückwünschen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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