Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist ein beschäftigter Mann: Gerade hat er das Pflegestärkungsgesetz durch den Bundesrat gebracht. Durchs Kabinett wandert zudem der x-te Entwurf für ein Präventionsgesetz. An der Ausarbeitung eines Antikorruptionsgesetzes für Ärzte ist das Ministerium immerhin beteiligt. Darüber hinaus will der Minister eine bessere Palliativversorgung und sucht händeringend Unterstützer für den Ebola-Einsatz.
Die Belange der gesetzlichen Krankenkassen, das Schmerzenskind aller Amtsvorgänger, sind da irgendwie nach unten auf der To-do-Liste gerutscht. Im Windschatten der florierenden Konjunktur schien das eine Zeitlang opportun, denn die meisten Kassen haben stattliche Rücklagen angehäuft. So wies der Gesundheitsfonds Anfang 2014 eine Liquiditätsreserve von über 14 Milliarden Euro auf. Der Bundesfinanzminister kürzte sofort den Bundeszuschuss. Und im Herbst hat der Schätzerkreis den Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung dann auf 0,9 Prozent festgesetzt. Diese jährliche Prozedur ist neuerdings notwendig, nachdem im Sommer bei einer winzigen, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Gesundheitsreform der allgemeine Krankenkassenbeitrag auf 14,6 Prozent gesenkt worden ist; der Arbeitgeberanteil liegt schon seit längerem bei 7,3 Prozent auf Eis. Mit nachhaltigen Folgen: Sämtliche Preissteigerungen und Mehrausgaben müssen künftig von den Versicherten allein getragen werden.
Momentan liegt der Beitragssatz noch bei 15,5 Prozent. Folgen die Kassen der Empfehlung der Experten, wird das Jahr 2015 für die Versicherten noch einmal zu einem Nullsummenspiel, wenn die Kassen denn ihre Rücklagen einsetzen. Dramatischer könnte sich das ab 2016 entwickeln, denn die Preisspirale schraubt sich weiterhin doppelt so schnell nach oben wie die Einnahmen. Überdies werden die Kassen bald den gewaltigen Investitionsstau bei den Krankenhäusern zu spüren bekommen.
Der Chef des AOK-Bundesverbands, Jürgen Graalmann, schlägt deshalb Alarm. Die Politik müsse endlich handeln, um unabsehbar steigende Zusatzbeiträge zu vermeiden. Franz Knieps vom Dachverband der Betriebskrankenkassen warnte kürzlich vor den „schwer kalkulierbaren Folgen“ der kommenden Ausgaberisiken. Einige Kassen könnten schon 2015 gezwungen sein, mehr als die 0,9 Prozent Zusatzbeitrag zu erheben.
Die fetten Jahre sind vorbei. Und Gröhe – seit seinem Amtsantritt 2012 in ruhigem konjunkturellem Fahrwasser plätschernd – hat die Chance verpennt, statt der ewigen Beitragskonkurrenz eine Offensive für eine Qualitätskonkurrenz zwischen den Krankenkassen zu starten. Diese können sich künftig nur noch an die Versicherten halten, die im Unterschied zu den Arbeitgebern nur wenig Einfluss auf die Beitragsgestaltung haben.
Über eines dürften sich die Krankenkassen freuen: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass die Präimplantationsdiagnostik – die gezielte Durchforstung von Embryonen nach Gendefekten im Reagenzglas – keine Krankenbehandlung darstellt. Gegenüber Privatversicherten mag das ungerecht erscheinen, das Urteil stellt aber klar, dass die Versichertengemeinschaft nicht für die Bewertung und Auswahl von „intakten“ Embryonen aufkommen muss und damit verbundene künstliche Befruchtungen. Das dürfte auch für die Befruchtung von eingefrorenen Eizellen wegweisend sein.
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