Die Generationen-Lüge

Groko Kaum liegen in Berlin die neuen Rentenpläne auf dem Tisch, geht das Gezeter gegen die Alten wieder los. Aber das ist ein Scheingefecht
Ausgabe 04/2014

Deutschlands Zukunft gestalten: So lautet der Titel des schwarz-roten Koalitionsvertrags. Mit 185 Seiten übertrifft er im Umfang so ziemlich alle seine Vorläufer. Die Zukunft, weiß man, ist fern und hat unabsehbare Dimensionen. Da muss man weit ausgreifen. Muss Entwicklungen und Eventualitäten an- und überdenken. Und muss Generationen berücksichtigen, die heute noch gar nicht geboren sind.

Die Lieblingsvokabel ist deshalb die Nachhaltigkeit: Rund 70 Mal kommt der Begriff im neuen Regierungsvertrag vor. Der Generationenzusammenhalt wird nur 30 Mal beschworen. Als nachhaltig wird heute alles Mögliche bezeichnet, was nachdrücklich gemeint ist. Aber kaum lagen die Koalitionsvereinbarungen auf dem Tisch, war wieder einmal vom „Krieg der Generationen“ die Rede, und das alte, allzu bekannte Lied von einer „Verschwörung gegen die Jungen“ wurde auf ein Neues angestimmt.

Vier Verhandlungsmonate hatte es gedauert, bis Arbeitsministerin Andrea Nahles jetzt mit ihrem „Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung“ debütierte. Der Begriff Entwurf verweist auf politische Elastizität. Und der einschränkende Hinweis auf Leistungsverbesserungen lässt ahnen, dass es nicht um den großen Wurf geht. „Arbeit soll sich lohnen“, forderte schon der SPD-Parteikonvent 2012.

Das erinnerte an einen beinahe vergessenen Slogan der FDP. Wobei die Liberalen damals die aktiven Erwerbstätigen im Blick hatten. Der Koalition geht es nun um die zukünftigen Rentner, um die Generation 50plus, die „ihre Muskeln spielen lässt“, weil die Älteren in der Mehrheit und ihnen die Jungen schlicht egal sind, wie etwa die Welt in ihrer Berichterstattung suggeriert.

Generationengerechtigkeit als Kampfbegriff

An der Mütterrente will niemand so recht herumsägen, denn der Gerechtigkeits-Gap zwischen den Frauen, die nach 1992 ein Kind geboren haben, und den Älteren ist so offensichtlich, dass man letzteren das 28 Euro-Trostpflaster gönnt. Strittig ist nur, ob es aus der Rentenkasse bezahlt werden soll oder aus Steuermitteln.

Umso nachdrücklicher, pardon, nachhaltiger, hängt sich die Kritik an der Rente mit 63 und der geplanten Mindestrente für Geringverdiener auf. „Rolle rückwärts“, ätzt der CDU-Nachwuchs-Mann Marco Wanderwitz. Vor falschen Anreizen warnt Franz Müntefering. „Kapitaler Fehler“, ruft aufgeregt der BDA für das Unternehmerlager. Eine abschlagfreie Rente für 63-jährige Facharbeiter, die gerade jetzt so dringend gebraucht werden? Eine Mindestrente für Langzeitfaule? Und das alles auf dem Rücken künftiger Generationen? Schon werden wieder menschenleere Landstriche heraufbeschworen, aus denen sich die Jugend absetzt, dorthin, wo sie weniger Alte zu verköstigen hat, vielleicht auf dem Mars, für den es schon Fahrkarten zu kaufen gibt. Vielleicht kommt die Jugend auch auf Gebräuche zurück, wie man sie in Japan oder Alaska kennt: Dort setzte man lästige Kostgänger einst einfach im Wald oder auf Bergen aus und überließ sie sich selbst.

Die oft beschworene Generationengerechtigkeit ist vor allem ein politischer Kampfbegriff. Aufgerufen wird er immer dann, wenn anderes verdeckt werden soll. Etwa, dass sich die SPD kampflos von ihrem Plan verabschiedet hat, auch diejenigen zur Kasse zu bitten, die sich bislang der sogenannten Generationenverantwortung entzogen haben. Dass die Umverteilung immer nur im System – in diesem Fall innerhalb der Rentenkasse – stattfindet und nicht gesamtgesellschaftlich.

Verdunkelt bleibt auch, dass im Jahr 2004 das Renteneinkommen von der Lohnentwicklung abgekoppelt wurde und die Kaufkraft heute um zwölf Prozent niedriger liegt als damals. Es müsste auch darüber gesprochen werden, dass von der Rente mit 63 höchstens 17 Prozent aller künftigen Rentner profitieren werden, weil Ausbildungszeiten nicht angerechnet werden und Langzeitarbeitslose nicht auf 45 Beitragsjahre kommen. Gar nicht zu reden von teilzeitbeschäftigten Frauen, von den Jobbern und Künstlern als potenzielle Anwärter für die Mindestrente. 40 Beitragsjahre? Da träumen die von!

Jugend und Alter sind keine statischen Zustände. Und der soziale Zusammenhalt zwischen beiden ist viel besser, als die selbst ernannten Generationenkrieger uns weismachen wollen. Jeder hat erst einmal die Chance, alt zu werden. Aber nicht alle, die arm sind, haben die Chance, einmal wohlhabend zu werden. Und die Reichen haben naturgemäß kein Interesse daran, für die aufzukommen, die arm sind. Im angeblichen Generationenstreit geht es fast immer nur um Interessen, die nichts mit Jung- und Altsein zu tun haben.

Dass sich die Unternehmer seit einer Weile die Finger nach den Alten lecken, ist neu und widerspricht der gängigen Erfahrung, dass 50plus auf dem ersten Arbeitsmarkt wenig wert ist. Der das mediale Interesse reizende 65-jährige Stammarbeiter, der sich vom Acker machen will, ist eine Rarität in der normalen Arbeitswelt.

Nicht so im Regierungsviertel, wo sich die Minister gerade für die Arbeitszeitverlängerung in eigener Sache engagieren, indem sie kräftig dafür trommeln, die Legislaturperiode auf fünf Jahre auszuweiten. Das ist unmittelbar einsichtig: Sie brauchen jetzt ja viel Zeit, ihr überbordendes Nachhaltigkeitsprogramm abzuarbeiten.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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