Einmal angenommen, nicht Klaus Wowereit und Matthias Platzeck hätten im Aufsichtsrat des neuen Berliner Flughafens gesessen, sondern, sagen wir, zwei Ministerpräsidentinnen: Hätten sie das Debakel um die Eröffnung verhindert? Für bessere Kommunikation gesorgt? Nachdrücklicher Informationen eingefordert? Wir wissen es nicht. Und es wäre auch egal, weil die Besetzung öffentlicher Gremien ohnehin nicht nach Kompetenz erfolgt. Aber in der Wirtschaft steht demnächst der Praxistest an: Wann ist die kritische Masse erreicht, ab der weiblicher Einfluss wirksam wird? Bei der selbst gewählten Flexi-Quote, zu der sich die DAX-Unternehmen verpflichtet haben? Bei 20 Prozent? Oder müssen es schon 40 Prozent sein, damit der weibliche Einfluss wirksam werden kann?
Gemessen an den Plänen von EU-Kommissarin Viviane Reding, die in den 27 Mitgliedsländern bis 2020 mindestens 40 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten nicht nur der börsennotierten Unternehmen, sondern aller Firmen mit über 250 Mitarbeitern sehen will, wirkt die vergangene Woche überraschend erfolgreiche Bundesratsinitiative eher bescheiden. Ein Fünftel soll die Quote bis 2018 betragen, 2023 dann 40 Prozent. Und dabei sind noch nicht einmal die Schaltzentralen der Konzerne, die Vorstände, ins Visier genommen, sondern lediglich die Aufsichtsorgane.
Doch schon damit hat der Bundesrat in Berlin und in der Wirtschaft ein kleines Erdbeben ausgelöst. Bald könnte es vorbei sein mit der gemütlichen „freiwilligen Selbstverpflichtung“ der Unternehmen, selbstgenügsam ihre gesetzten Ziele zu erreichen – oder eben nicht. Vorbei auch die Vasallentreue christdemokratischer Ministerpräsidenten: Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem kleinen Saarland und Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt sahen „Handlungsbedarf für ein staatliches Signal“. Das ist vielleicht mutig mit Blick auf die Kanzlerin. Aber es ist doch kleinmütig, wenn man bedenkt, dass wir nun fast 15 Jahre seit dem gescheiterten rot-grünen Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft auf ein solches „Signal“ warten.
Gefährdung von Wachstum und Wohlstand
Nun fordern einige Unionsfrauen, den Fraktionszwang für die anstehende Bundestagsabstimmung aufzuheben und die Quote zur Gewissensfrage zu erheben. Gewissensfrage? Die stellt sich im Parlament bekanntlich nur bei Angelegenheiten auf Leben und Tod.
Glaubt man allerdings den Unternehmensvertretern und ihrem politischen Sprachrohr, der FDP, geht es aber tatsächlich ums Überleben. Die Quote gefährde „Wachstum und Wohlstand“ des Landes, orakelt FDP-General Patrick Döring. „Unnötige Fesseln für die Privatwirtschaft“, kritisiert der CDU-Wirtschaftsrat; BDI-Chef Hans-Peter Keitel verlangt die Ablehnung der „starren Einheitsquote“. Und was passiert, wenn Frauen „die Hälfte des Himmels“ erobern, lässt sich in der FAZ nachlesen: In Norwegen, wo sich die „Goldröcke“ in den Aufsichtsräten festgesetzt hätten, seien die Kennziffern der Aktiengesellschaften dramatisch abgestürzt.
Wer will schon eine Quotenfrau sein und in Verdacht stehen, nicht zu genügen, gar den „Absturz“ zu verantworten? Als vor zwei Jahren in Berlin das Integrationsgesetz debattiert wurde, das die Chancen von Bewerbern mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst verbessern sollte, hieß es, dass deren gesetzliche Bevorzugung „bedenklich“ sei. Einer ohnehin stigmatisierten Gruppe werde signalisiert, dass sie nicht dazugehöre. Einer Gruppe zumal, deren Kennzeichen „Migrationshintergrund“ aufgespannt ist zwischen dem wohlhabenden weißen Norden bis zum armen schwarzen Süden, vom goldenen Westen bis in den bürgerkriegsgebeutelten Osten.
Hohes Erregungspotenzial
Aber im Unterschied zu Gruppen, die als Minderheiten benachteiligt sind, stellen Frauen in Wahrheit bereits eine kritische Masse: Sie bilden die Mehrheit der deutschen Gesellschaft. Und es muss, über männliche Pfründe- und Dominanzsicherung hinaus, Gründe dafür geben, warum es so schwer ist, ein vergleichbar läppisches Gesetz – wie vom Bundesrat vorgeschlagen – durchs Parlament zu bringen.
An Erregungspotenzial wird die Quotendebatte höchstens vom Krach um das Betreuungsgeld übertroffen. Das ist kein Zufall, denn es geht um den gleichen ideologischen Kern: um Leistungsgerechtigkeit und die unterschiedliche Wahrnehmung von männlicher und weiblicher Leistung. Wie kommt es eigentlich, dass es als normal gilt, wenn Männer im Aufsichtsrat einer Textilfirma sitzen, während eine Frau im Kontrollgremium eines Maschinenbaukonzerns als nicht zumutbar gilt? Warum ist die Betreuung eines Kleinkindes nur 150 Euro im Monat wert und der sporadisch eingenommene und – wie in Berlin – nur mäßig ernst genommene Aufsichtsratsposten so viel mehr?
Wenn sich die Politik darauf verständigte, dass es sich bei der Frauenquote um eine reine Umverteilungsmaßnahme handelt, die das kapitalistische Leistungsprinzip nicht fundamental erschüttert, wären wir ein gutes Stück weiter. Und umgekehrt täten wir gut daran, Frauen in Vorstandsetagen nicht als bessere Menschen zu betrachten, von denen Erlösung von allem Übel zu erwarten ist. Die Quote ist kein Weltanschauungsprojekt mehr wie noch vor zwei Jahrzehnten. Sie ist schlicht eine Gerechtigkeitsfrage.
Ulrike Baureithel schrieb zuletzt ein Porträt über Cornelia Yzer
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