Die Jugend als Ausputzer der Misswirtschaft

Verpflichtung Statt die Freiwilligendienste endlich attraktiver zu machen, soll nun die Dienstpflicht die jahrzehntelange Misswirtschaft in der Pflege und anderswo kompensieren
Ausgabe 32/2018
Hat hier jemand Wehrpflicht gesagt?
Hat hier jemand Wehrpflicht gesagt?

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Ginge es nach den Deutschen, würden sie mehrheitlich morgen die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen. „Die Deutschen“ meint wohl all jene, die sich jenseits des einziehungsfähigen Alters befinden und nicht mehr fürchten müssen, durch den Sand zu robben und vom Uffz. angeschnauzt zu werden. Ist das Bosheit oder Neid der Jugend gegenüber? Sentimentalität in Bezug auf eine Institution, die zu beschützen schien in einer Welt, die noch säuberlich nach Ost und West, Feind und Freund ausgerichtet war? Oder einfach Ignoranz gegenüber der fundamental veränderten Funktion der Bundeswehr, ob man dies nun gutheißt oder nicht? Die Bundeswehr soll heute nicht mehr die Verteidigung des „Vaterlands“ besorgen, sondern in bewaffneten Auslandseinsätzen ran, und das bitteschön mit gut ausgebildeten Spezialisten, nicht mit körperlich untauglichen und desinteressierten jugendlichen Amateuren.

Indessen, der aus konservativen Niederungen der CDU aufgestiegene Ruf wurde aufgenommen von seiner Generalin Annegret Kramp-Karrenbauer und verstärkt durch den Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg, die den Gedanken gleich ausweiteten in Richtung einer allgemeinen Dienstpflicht für beide Geschlechter. Das ist keine wirklich originelle Idee, sie ploppt seit den 1980er Jahren regelmäßig auf und hatte ihre höchste Konjunktur, als vor sieben Jahren die Wehrpflicht – und damit auch der Zivildienst – abgeschafft und plötzlich deutlich wurde, dass 95.000 Zivis für wenig Geld Kinder, Kranke und Alte gepflegt, Behinderte betreut oder Hilfesuchende beraten hatten. Diese Lücke füllt bislang auch keine Ehrenamtlichkeit und kein Arbeitskräftezuwachs von außen. Also doch endlich ein soziales Pflichtjahr, um die 700.000 betroffenen jungen Menschen zu lehren, „Verantwortung zu übernehmen und zu lernen, für andere einzustehen“, wie es die FDP-Fraktionsvorsitzende in Bremen, Lencke Steiner, so schön formulierte?

Tatsächlich gehen die Meinungen zu Wehr- und Dienstpflicht weit auseinander. Während Kramp-Karrenbauer das Thema in ihr neues Grundsatzprogramm heben will, warnt ihr Parteifreund Roderich Kiesewetter, Oberst a.D., davor, dass der Wirtschaft Arbeitskräfte entzogen würden. Karl-Theodor zu Guttenberg, der der Wehrpflicht den Garaus gemacht hatte, rechnet schon mal die „exorbitanten“ Kosten hoch. In der SPD finden sich geneigte Geister, etwa der Sprecher von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey oder der verteidigungspolitische Sprecher Fritz Felgentreu, der meint, dass die Gesellschaft von der Jugend auch „etwas erwarten“ dürfe, während etwa Ralf Stegner von Zwangsdiensten nichts wissen will. Die meisten Fachpolitiker halten wenig von der Wiedereinführung der Wehrpflicht, Grüne und Linke erklären die Forderung für „absurd“ oder „vorgestrig“.

Aber selbst diejenigen, die die Wehrpflicht zurückholen und ausweiten wollen, um damit sowohl das Nachwuchsproblem der Bundeswehr als auch das Pflegeproblem zu lösen, wissen um die verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Hürden eines zum Zwang erklärten Dienstes, vor denen nur die AfD die Augen verschließt. Denn in Europa ist Zwangsarbeit verboten, auch wenn sie sich „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ nennen mag. Statt die Freiwilligendienste endlich attraktiver zu machen, ziehen „die Alten“ das Dienstbuch heraus und machen die Jugend zum Ausputzer einer jahrzehntelangen Misswirtschaft in der Pflege und anderswo. Die wird sich zu bedanken wissen. Spätestens bei den nächsten Wahlen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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