Die Krankheit hat ein armes Gesicht

Schweinegrippe Die WHO zeigt nunmehr Alarmstufe fünf für die Schweinegrippe. Doch die Seuchenpanik verdunkelt die sozialen Gründe und Folgen von Epidemien

Erinnern Sie sich noch an BSE und die Creutzfeld-Jakob-Krankheit? An die Lungenkrankheit SARS? An Ebola? Nur dunkel vielleicht, denn nach einigen Panikwochen pflegen Seuchen-Schlagzeilen schnell wieder zu verschwinden. Dass die Vogelgrippe alljährlich irgendwo in der Welt wieder ausbricht und manchmal auch nach Deutschland eingeschleppt wird, daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt, und die Nachricht schafft es gerade mal in die Rubrik „Vermischtes“.

Nun also die so genannte Schweinegrippe – und der Menschen liebstes Haustier muss, nachdem es gerade patentiert werden sollte, schon wieder einen Imageschaden hinnehmen. Nach dem Ausbruch der Influenza H1N1 in Mexiko hat die WHO die Alarmstufe nun fast täglich um eine Stufe erhöht und ist mittlerweile bei fünf gelandet: Die letzte vor dem Pandemie-Alarm, der die nationalen Behörde auffordern würde, sofort ihre Schutzpläne umzusetzen. Die wurden in Deutschland, nach den wiederholten Alarmwellen der letzten Jahre, zumindest verbessert, mussten bislang aber nie den Praxistest bestehen, weil die vorhergesagte Pandemie am Ende – und man muss in diesem Falle sagen: glücklicherweise – ausgeblieben ist. Auch Experten wie der Rostocker Tropenmediziner Emil Reiser rechnen nicht damit, dass die Schweinegrippe epidemisch über Europa hinweg ziehen wird.

Das hat gute Gründe. Zum einen scheinen die wenigen Fälle, die bislang in Europa aufgetreten sind, darauf hinzudeuten, dass sich die Krankheit bei ihrem Zug über den Atlantik abschwächt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Schwere des Verlaufs davon abhängig ist, wo die Krankheit auftritt: In Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte, einem relativ schlechten durchschnittlichen Gesundheitszustand der Bevölkerung und einem nicht optimal funktionierenden Gesundheitssystem wie Mexiko findet das Virus günstigere Bedingungen sich auszubreiten als etwa in den europäischen Staaten.

Das galt schon für die Seuchenzüge, die in den vergangenen Jahrzehnten auftraten, man denke etwa an die Vogelgrippe in Hongkong 1997, die sich vor allem aufgrund der Massenviehhaltung und der schlechten Hygienebedingungen zur Epidemie entwickelte. Krankheiten – zumal viral verursachte, gleichgültig, ob sie vom Tier auf den Menschen überspringen oder von Mensch zu Mensch übertragen werden – haben vielfach soziale Ursachen, und es sind immer die Armen, die eine Krankheit zuerst und am schlimmsten zu spüren bekommen.

Dass sie gelegentlich auch auf die Industrieländer übergreifen, ließe sich als „gerechte Strafe“ versäumter „Entwicklungs“politik und globaler Mobilität deuten. Jedenfalls mobilisieren sie erst dann unsere Aufmerksamkeit, was wiederum auf die höhere Alarmbereitschaft von Menschen, die in relativ saturierten Verhältnissen leben, zurückzuführen ist. Dass täglich gleichzeitig über 5.000 Menschen – das sind zwei Millionen jährlich - weltweit, aber vor allem in Afrika, noch immer an Lungentuberkulose sterben, obwohl die in unseren Breiten bis vor kurzem überwunden schien, nimmt – um mal im Schweinebild zu bleiben – keine Sau zur Kenntnis. Das wird auch so bleiben, bis TBC in nennenswerter Form wieder Mitteleuropa und die USA erreicht (was, von Osteuropa her kommend, gar nicht so unwahrscheinlich ist).

Die aus Hongkong stammende Margaret Chan, derzeitige Direktorin der WHO und in Sachen Vogelgrippe und SARS ein bekannter Name bei Epidemiologen, hat ihren Job mit 2007 mit der Ankündigung angetreten, sie wolle einmal daran gemessen werden, was sie zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen in Afrika und der Gesundheit der Frauen weltweit beigetragen habe. Eben dies wäre eine nachhaltige Gesundheitspolitik, von der die WHO allerdings weit entfernt ist – und die sie, realistischerweise, alleine auch gar nicht stemmen kann.

„Ich möchte alle dazu anhalten, die Tage vom 1. bis zum 5. Mai zu Hause bei der Familie zu verbringen“, empfahl der mexikanische Staatspräsident Calderón seinen Landsleuten unterdessen in einer Fernsehansprache. Ein nachahmenswerter Rat: Statt sich zum langen Wochenende gleich wieder in den Flieger zu setzen und sich irgendwo die Schweinegrippe einzuhandeln, könnte man doch einfach daheim bleiben. Dann würde sich die Seuchenpanik zumindest positiv auf die Klimabilanz auswirken!

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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