Haltung, bitte!

§219a Nach dem „Kompromiss“ sind die bioethischen Debatten keineswegs abgeschlossen, sondern haben erst begonnen
Ausgabe 08/2019
Eine von Kumuluszellen umgebene Eizelle. So sieht auch ein Teilprozess des Klonens aus
Eine von Kumuluszellen umgebene Eizelle. So sieht auch ein Teilprozess des Klonens aus

Foto: Getty Images

Nicht schnell genug kann es der Bundesregierung damit gehen, dieses kratzige Thema loszuwerden. Ende Januar in einen „Kompromiss“ gegossen, wurde das neu gefasste Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch am vergangenen Freitag kurzfristig auf die Tagesordnung befördert, um es diese Woche im Schnellverfahren durch den zuständigen Ausschuss und das Parlament zu schleusen. Dabei hatten die zur Anhörung geladenen Sachverständigen noch heftige Watschen ausgeteilt: „verfassungsrechtlich unhaltbar“, „lückenhaft“, „widersprüchlich“ und „unverhältnismäßig“, so einige der Urteile, mit denen der um einen neuen Absatz 4 ergänzte § 219a StGB bedacht wurde. Ärztinnen, die umfassend über den Schwangerschaftsabbruch aufklären, machen sich weiterhin strafbar; lassen sie sich auf die neue, von der Bundesärztekammer geführte Liste setzen, müssen sie Anfeindungen fürchten. So lässt sich das seit dem Prozess gegen die Ärztin Kristina Hänel aufgewühlte Feld nicht befrieden. Der von der SPD als Sieg verkaufte Kompromiss stinkt – nicht nur den betroffenen Frauen.

Doch ernsthafte bioethische Debatten sind in Deutschland aus der Mode gekommen, das lässt sich nicht nur am Beispiel des § 219a beobachten. Ob Organspende – ein neues Gesetz ging vergangene Woche weitgehend unbemerkt über die Bühne –, ob Bluttest zur Vermeidung von Kindern mit Gendefekten oder demnächst womöglich anstehende Eingriffe in Keimbahnen mittels „Genschere“: Die „heißen Eisen“ sind eher lauwarm geworden. Lange her, dass der FAZ-Herausgeber Schirrmacher das Land mit einer seitenlang-kryptischen Lektüre des menschlichen Genoms aufwühlen konnte und es mit Überlegungen über die Rechte von Robotern elektrisierte. Nach 30 Jahren erbitterten Ringens um die Würde des „ungeborenen Lebens“, um die bedrohlich näher rückende Kommerzialisierung von Körperstoffen und -teilen und die Frage, wann Leben beginnt und endet, sind Ermüdungserscheinungen unübersehbar. Der Wille zu Differenzierung gerät unter die Räder der Vereinfachungsmaschinen.

Das gilt übrigens auch für die Seite derer, die sich für die Streichung des § 219a engagieren. Parolen wie „Mein Uterus – meine Entscheidung“ zeigen, wie sehr sich der Medizinjargon inzwischen durchgesetzt hat, offenbaren aber auch den ideologischen Rückfall in die 1970er Jahre, als dem in der Bundesrepublik de facto bestehenden Abtreibungsverbot nur mit brachialer Selbstbestimmungsrhetorik zu begegnen war. Damals ahnte noch niemand, wie schnell der Embryo zu einer gefährdeten Entität in der Retorte werden würde, auf die sich nachvollziehbare Wünsche und fragwürdige Begehrlichkeiten richten.

Wir täten gut daran, uns ins Gedächtnis zu rufen, was an sensiblem bioethischen Wissen und an abgearbeiteter Kontroverse angehäuft wurde. Denn wir müssen uns darüber Gedanken machen, ob wir demnächst die Eizellspende freigeben wollen, und vielleicht sogar die Leihmutterschaft. Mit allen Konsequenzen, die das für Frauen hat, die über diesen Weg ihr Auskommen finden wollen. Die Initiative der Bundesregierung zur künstlichen Intelligenz wird uns zur Auseinandersetzung mit Maschinenethik zwingen, und mit der Menschenähnlichkeit von Robotern. Die bioethische Debatte ist keineswegs abgeschlossen, sondern hat erst begonnen. Deshalb braucht es eine Haltung zum „guten Leben“, abseits von populistischen AfD-Vorstößen und den Verlockungen einer Form von Selbstbestimmung, die Konsum meint.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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