In Baden-Württembergs wohnraumarmen Universitätsstädten tobt gerade eine Debatte, ob es angesichts der vielen Flüchtlinge legitim sei, private Wohnungen zu beschlagnahmen. Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer hatte dies ins Gespräch gebracht, auch Konstanz lässt dies prüfen. Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) sieht darin nur die „ultima ratio“ und lehnt solche Maßnahmen vorerst ab. Doch auch in anderen Kommunen denkt man darüber nach, leerstehenden privaten Wohnraum zwangsweise zu belegen. Der Berliner Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg-Friedrichshain liegt bereits ein aussichtsreicher Entschließungsantrag vor, um die Nutzung freier Luxuswohnungen für die Flüchtlingsunterbringung zu erzwingen.
Was jahrzehntelange Häuserbesetzungen nicht vermocht haben, scheint nun angesichts der dramatischen Lage in vielen Kommunen kein Sakrileg mehr: die Vergesellschaftung von Wohnraum. Städte und Gemeinden stehen am Ende der Versorgungskette, sie müssen immer mehr Flüchtlinge irgendwo unterbringen. Zeltstädte sind angesichts des bevorstehenden Winters keine Notlösung mehr. Und bis die 400.000 geplanten Wohnungen gebaut sind, kann es noch einige Zeit dauern. Solange können die Schutzsuchenden nicht warten.
Um viele Milliarden Euro feilschen deshalb Bund, Länder und Gemeinden bei ihren Gipfeltreffen im Kanzleramt. Was für die Bankenrettung teuer war und für Griechenland „alternativlos“, sollte für die Rettung nackten Lebens billig sein. Wie viel Geld der Bund über die bereits zugesagten Mittel in Höhe von drei Milliarden Euro noch zur Verfügung stellen wird, hängt vom Druck der Kommunen ab – und der ist stark.
Auf der anderen Seite geht es der Koalition um die Rettung eines abstrakten Prestigeprojekts von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der „schwarzen Null“. Wenn der Bund also nicht mit den notwendigen Mitteln herausrücken will, muss er dafür sorgen, dass die Zahl der Flüchtlinge nicht immer weiter ansteigt. Dazu gehört aus Sicht der Regierung auch, möglichst viele der Asylsuchenden wieder zurückzuschicken. Und so werden wir Zeuge davon, dass in der Not plötzlich nicht nur bisher undenkbare Sozialisierungsakte in den politischen Vorstellungshorizont rücken, sondern auch Verschärfungen des Asylrechts.
Thomas de Maizière (CDU) ist unter Zugzwang, nachdem sein Bauernopfer Manfred Schmidt, der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit fliegenden Fahnen verlassen hat, nicht den gewünschten Entlastungseffekt für den Innenminister gebracht hatte. Der tritt nun mit zwei höchst umstrittenen Initiativen die Flucht nach vorne an. Zum einen wirbt er für europaweite Flüchtlingskontingente. Zum andern plant er die Schleifung des Aslyrechts. Die CSU, die auf ihre Herbstklausur im Kloster Banz ausgerechnet Ungarns Premierminister Victor Orban, eingeladen hat, findet den Plan erwartungsgemäß gut. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, hat ihr Altvorderer Edmund Stoiber gerade wieder bekräftigt.
Kreative Kommunen
Mit seiner Idee europweite Flüchtlingskontingenten konnte sich de Maizière bei den EU-Innenministern bereits durchsetzen. Diese beschlossen am Dienstagabend in Brüssel, 120.000 Flüchtlinge innerhalb der Union zu verteilen, gegen den Widerstand einiger osteuropäischer Länder. Die Einigung kam allerdings nur zustande, weil die Ministerrunde mit Mehrheit abstimmte. Noch vor einigen Tagen hatte sich Merkel für eine Konsenslösung ausgesprochen. Doch davon war dann in dieser Woche keine Rede mehr. Wieder einmal haben die Deutschen, diesmal allerdings mit Unterstützung Italien und Griechenland, in der EU vorgegeben, wie in einer wichtigen politischen Frage zu entscheiden ist. Daran wird die EU noch längere Zeit zu kauen haben.
Während die Kommunen hierzulande also durchaus kreativ daran arbeiten, die ankommenden Flüchtlinge einigermaßen menschenwürdig unterzubringen, während Professionelle und Ehrenamtliche überall im Land sich bis zur Erschöpfung um ihre Versorgung kümmern – in dieser Situation fällt dem Innenminister nicht Besseres ein, als die Flüchtlinge auf das Niveau von Displaced Persons zu bringen – also Menschen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa ziellos herumirrten.
Abgelehnte Asylbewerber oder solche, die keine Chance auf Anerkennung haben – etwa aus so genannten sicheren Herkunftsländern – sollen nach dem Willen von Innenminister de Maizière mit einem Butterbrot und einer Fahrkarte ausgestattet zurückgeschickt werden. Hierzulande stünde ihnen dann weder ein Bett noch Versorgung oder medizinische Betreuung zu, ganz zu schweigen von Geldmitteln nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Um den Kreis der Abzuschiebenden zu erweitern, soll – und das ist politischer Konsens in der schwarz-roten Koalition – das Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ um das Kosovo, Montenegro und Albanien erweitert werden.
Wer vorerst bleiben darf, soll wie früher sechs Monate lang in der Erstaufnahmeeinrichtung festsitzen, ohne Aussicht auf Arbeit oder Ausbildung. Sachleistungen seien außerdem angetan, „Fehlanreize“ zu verhindern. Und statt eines Duldungsscheins gibt es künftig nur noch eine „Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber“, die das Papier nicht wert ist, auf dem sie ausgestellt ist. Um im Fall einer Abschiebung Freunden und Sympathisanten von Flüchtlingen keine Möglichkeit zu geben, dagegen zu mobilisieren, werden so genannte „Rückführungen“ künftig unangemeldet erfolgen.
Wie beim Tarifpoker üblich, ist der Innenminister hoch eingestiegen, um möglichst viel durchzusetzen. Was nun nächste Woche ins Kabinett kommt, ist zwar eine abgespeckte Version seines ursprünglichen „Entlastungskatalogs“, insbesondere mit der umstandslosen Abschiebung von „Dublin III-Fällen“ ist de Maizière auf Widerstand gestoßen. Im Entwurf verankert ist dagegen die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips, die Beschleunigung der Asylverfahren (und damit der Abschiebung) und die Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“.
Da von der SPD in den Ländern kaum Widerstand zu erwarten ist, wäre es an den Grünen, ihre starke Position im Bundesrat zu nutzen, um der Aushebelung des Asylrechts entgegenzuwirken. Bereits bei der Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“ vor einem Jahr waren die Grünen das Zünglein an der Waage. Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann stimmte der Regelung schließlich zu und bescherte seiner Partei einen heftigen internen Streit. Auch jetzt sind die Verlautbarungen grüner Spitzenpolitiker eher vage. Viel zu selten zeigen Leute wie die hessische Abgeordnete Mürvet Öztürks Flagge: Sie hatte Anfang September die Grünen wegen ihrer Haltung zum Asylrecht verlassen. Von Boris Palmer ist dagegen zu vernehmen, die bisherigen Asylstandards seien nicht zu halten, beim „Abbau falscher Anreize“ müsse Druck gemacht werden. Für die Grünen könne es hart werden, prognostiziert er. Möglicherweise auch bei anstehenden Wahlen.
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