Es ist eine Bilderbuchvorlage für Politiklehrer: Eine Demokratie, in der nicht Kalkül dominiert, nicht Koalitionsdisziplin und Parteiräson, sondern nach einem langen Abwägungs- und Aushandlungsprozess nur die ihrem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten entscheiden. Solche Abstimmungen sind in repräsentativen (Parteien-)Demokratien selten und hierzulande nur üblich, wenn es, wie im Falle der Präimplantationsdiagnostik (PID), um Wertentscheidungen geht.
Drei fraktionsübergreifende Anträge zur gezielten genetischen Auswahl von Embryonen im Reagenzglas werden dem Parlament im Frühjahr voraussichtlich vorliegen. Dem knappen Beschluss auf dem CDU-Parteitag, die PID gänzlich zu verbieten, folgt der Antrag von Johannes Singhammer (CSU),
er (CSU), der auch von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der grünen Gesundheitsexpertin Birgitt Bender unterstützt wird. Die Gegenseite führen Peter Hintze (CDU) und Ulrike Flach (FDP) an, die gemeinsam mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und prominenten Linken-Abgeordneten die Untersuchung des Erbguts vor der Einpflanzung des Embryos in die Gebärmutter freigeben möchten. Eine mittlere Position bezieht der ehemalige Vorsitzende der Bioethik-Kommission des Bundestags, René Röspel (SPD), der die PID nur zugelassen sehen will, wenn eine Tod- oder Fehlgeburt des Kindes zu erwarten ist.Dass sich die Politik überhaupt noch einmal auf dieses ethisch verminte Feld begibt, ist Folge eines Urteils des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Sommer, das in einem speziellen, dem Gericht zur Entscheidung vorliegenden Fall die PID für rechtens erklärte. Seither positionieren und profilieren sich nicht nur Abgeordnete und Ministerinnen, sondern auch Wissenschaftler, vorab jene pressure groups, die seit Jahren eine Liberalisierung der Fortpflanzungsmedizin und der Gendiagnostik durchsetzen wollen. So haben sich kürzlich drei große deutsche Wissenschaftsakademien für die Zulassung der PID ausgesprochen, nicht etwa in ihren eigenen Hallen, sondern, um besonderen Widerhall bemüht, in der Bundespressekonferenz.Eine persönliche Meinung?Die Vertreter der Nationalakademie Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Berlin-Brandenburgischen Akademie sehen die Forschung, so ihr Moderator Hans-Peter Zenner, inzwischen so grundlegend fortgeschritten, dass weder der Einwand, die Diagnostiker laborierten an totipotenten Zellen (also solchen, aus denen potenziell ein Individuum entstehen kann), noch das Risiko der Embryoschädigung ein Verbot legitimierten. Inzwischen gebe es Verfahren, die PID in einem späteren Entwicklungsstadium des Embryos durchzuführen, in dem die Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes nicht mehr relevant sind.Gleichzeitig sei der Gesetzgeber aber aufgefordert, Wertewidersprüche zu vermeiden: So lange die Spirale, die Pille danach und die vorgeburtliche Diagnostik mit der Möglichkeit einer Spätabtreibung erlaubt oder zumindest geduldet würden, müsse auch eine PID möglich sein. Die Wissenschaftler empfehlen deshalb, den Embryonen-Check bei Paaren zuzulassen, bei „deren Kinder ein medizinisch-objektiv hohes Risiko des Ausbruchs einer bekannten und schwerwiegenden Krankheit oder einer erblichen Chromosomenstörung besteht“.Die Akademiestellungnahme macht dabei einen bemerkenswerten Unterschied zwischen der technischen Durchführung der PID, für die der Arzt die Verantwortung trägt, und der Entscheidung der Frau, einen geschädigten Embryo zu verwerfen. Die PID sei nur „ein Zwischenziel“ und bediene „das Informationsrecht der Eltern“. Allerdings behalten sich die Experten vor, über die Rahmenbedingungen zu entscheiden, das heißt, darüber, in welchem (Verdachts-)Fall eine PID durchgeführt werden darf. Eine zentrale „Sachverständige Kommission“ soll jeden Einzelfall prüfen. Bei den Indikationen, zum Beispiel erblichem Brustkrebs, gab es unter den Wissenschaftlern Dissens. Es gäbe eben „Grauzonen“, so der Reproduktionsmediziner Klaus Dietrich, der mit manchem Kollegen am liebsten das ganze Embryonenschutzgesetz durch ein „zeitgemäßeres“ Fortpflanzungsmedizingesetz ersetzt sähe.Die Stellungnahme dagegen, beruhigte der Jurist Rüdiger Wolfrum, „übe eine gewisse Zurückhaltung“. Sie wolle nur die Entscheidung der Frau absichern, „ein gesundes Kind zu haben“. Ob es hierfür ein verbriefbares Recht gibt, ist die eine Frage. Die andere, ob es einem nicht-repräsentativen Gremium von Wissenschaftlern wie diesem ansteht, Empfehlungen abzugeben. Der ehemalige Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Dietmar Willoweit, spricht den drei Akademien hierzu die Legitimation ab, weil die 13 Wissenschaftler nur „ihre persönliche Meinung“ wiedergegeben und keine Alternativen aufgezeigt hätten. Da ist die Politik schon weiter.