Die schwarze Braut

RAF Die Verschlusssache des Verfassungsschutzes liefert vor allem eines: Spekulationen. Ein Kommentar über die merkwürdige Rolle von Verena Becker im unendlichen Spektakel um die RAF.

Schwarze Bräute kennt man gemeinhin aus den Hausmärchen der Gebrüder Grimm, und schwarz bedeutet Strafe. Die tiefenpsychologische Märchenanalyse bettet die schwarze Braut in das Verdrängungsschema ein, zusammen mit den Stiefmüttern stehen sie für das abgespaltene Selbst. Zufall also, dass uns Verena Becker, die Anfang der siebziger Jahre in der Nachfolge der radikalen Feministin Andrea Dworkin ursprünglich Pornoläden attackierte, bevor sie in das RAF-Umfeld geriet, nach so vielen Jahrzehnten als „schwarze Braut“ wiederkehrt? In Gestalt eines uralten Schwarzweiß-Steckbriefes, der schon in den Siebzigern eher den Abwehrzauber des aufgescheuchten Publikums befriedigte als fahndungstauglich war?

Nun schaut die „schwarze Braut“ von den Kopfleisten der Tagespresse ins 21. Jahrhundert, immer noch trotzig verzogen der Mund und vielleicht auch etwas ungläubig, dass sich in den immer kürzeren Verfallszeiten medialer Popularität ein so „hässliches“ Mädchen auf den Titelblättern hält. Wer war sie und wie linientreu? War sie die Schützin, die an jenem kalten Gründonnerstag 1977 in Karlsruhe den obersten Richter der Republik, Siegfried Buback, und seine Begleiter hinrichtete?

Immer neue Szenerien in einer Aufführung, die schon so viele Vorhänge hinter sich hat. Die eingespeisten Drehbücher verdanken sich den multiplen Perspektiven alter und neuer Augenzeugen, Polizisten, Stasi-Leuten und Verfassungsschützern, die das vertraute Personal – Christian Klar, Günter Sonnenberg, Knut Folkerts, Stefan Wisniewski und eben Verena Becker – neu formieren. Michael Bubacks Verschwörungskrimi hält für Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft finstere Schurkenrollen bereit, andere journalistische Spurensucher sehen sie eher als Hanswurst. Inmitten der Fabuliererei muss man an ein paar offenbar verdrängte Tatsachen erinnern: Tatsächlich wurde Verena Becker 1977 zu lebenslanger Haft verurteilt, die sie zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung ohne Milderung abzusitzen hatte. So wie die RAF-Prozesse damals liefen, war jedes Gericht dafür dankbar, einen Staatsfeind ohne große kriminalistische Tiefbohrungen dingfest machen zu können.

Tatsache auch, dass Beckers Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz lange bekannt ist und sie den 1981 ebenfalls lebenslänglich verurteilten Stefan Wisniewski damals als Erste als den Schützen von Karlsruhe ins Spiel brachte. Dass Verena Becker schon vor 1981 für den Verfassungsschutz gearbeitet haben soll, ist nur durch eine fragwürdige Stasi-Notiz belegt. Wäre es so gewesen, müsste dieser sich allerdings entweder peinliche Fragen nach seiner Effizienz gefallen lassen oder, schlimmer noch, nach seiner stillschweigenden Kollaboration.

Bislang wissen das nur die Beteiligten selbst. Die Verschlusssache Verena Becker beim Verfassungsschutz allerdings liefert den Spekulationen von Buback Co. Nahrung; das wird nach dem Beschluss des Bundesinnenministeriums, die Akten nicht frei zu geben, bis auf weiteres auch so blieben. Aber was erwartet man? Ziemlich unwahrscheinlich, dass sie Auskunft geben, wie „zierlich“ die Figur auf dem Sozius genau gewesen ist, wie viel „Reue“ Beckers Tagebuch enthält und ob sich ein Stasi-Offizier nur wichtig machen wollte. Und mal ganz ernsthaft: Wen, außer Michael Buback und einige Angehörigen, die aus nachvollziehbaren Gründen Aufklärung fordern, interessiert heute noch, wer damals geschossen hat? Wird das unendliche RAF-Spektakel nicht vielmehr am Laufen gehalten vom Kitzel, dass der Staat vielleicht doch irgendwie in die RAF-Connection verwickelt sein könnte? Als Wiedergänger erinnern die schwarzen Bräute und bösen Buben daran, dass es da noch viel Unerledigtes gibt.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden