Die Unberührbaren

Ebola Einige Fälle scheinen darauf hinzuweisen, dass auch geheilte Patienten weiterhin ansteckend sind
Ausgabe 51/2014
Die Hilfe auf der Community-Ebene, in Dörfern und Familien, wird immer wichtiger
Die Hilfe auf der Community-Ebene, in Dörfern und Familien, wird immer wichtiger

Foto: Kenzo Tribouillard/AFP/Getty Images

Als sich der Ebola-Sonderbeauftragte Walter Lindner kürzlich auf das Podium des Bündnisses „Entwicklung hilft“ gesellte, mied er sichtlich jeglichen Körperkontakt. Kein Hand–Shaking, kein vertrautes Schulterklopfen. No-touch policy nennt sich diese vorsichtige Verhaltensweise im Helferenglisch. Die vom Virus auferlegte Meidung von Nähe ist in den von Ebola betroffenen westafrikanischen Ländern, wo körperbetonte Höflichkeitskulturen und religiöse Bestattungsrituale eine große Rolle spielen, vielleicht die größte Herausforderung. Durch die Ignoranz gegenüber heimischen Gebräuchen, räumt Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg ein, sei – als die Seuche ausbrach – bei der einheimischen Bevölkerung Vertrauen verspielt worden.

Offiziell werden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile 6.600 Ebola-Tote angegeben, auch wenn die Dunkelziffer höher liegt. In Sierra Leone haben Helfer der WHO in einem abgelegenen Hospital kürzlich 87 Leichen entdeckt, die ohne Sicherheitsvorkehrungen gelagert waren. Und niemand zählt die Menschen, die an Malaria sterben oder bei der Geburt eines Kindes, weil das Gesundheitssystem in manchen Regionen Westafrikas zusammengebrochen ist. Die Zahl dieser Opfer übersteigt die der am Ebola-Virus unmittelbar Verstorbenen um das Vielfache.

Nur Safer Sex

Deshalb geht es mittlerweile nicht mehr nur um den Aufbau von Ebola-Behandlungszentren. Vielmehr setzt die Hilfe an der Community-Ebene an, in Dörfern und Familien. 6.000 Freiwillige werden derzeit ausgebildet, um jedem einzelnen Ebola-Fall nachzugehen. Sie besuchen Dörfer und halten die Bewohner an, Kranke zu isolieren sowie andere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Außerdem betreuen sie die vielen Waisen, die häufig aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Denen, die Ebola überlebt haben, schreiben die Dorfbewohner oft übersinnliche Kräfte zu.

Auch in anderer Hinsicht ist das Eingreifen dieser sogenannten Home Case Care Teams von großer Bedeutung. Es hat sich nämlich mittlerweile herausgestellt, dass das Virus bei Ebola-Erkrankten, die als geheilt aus den Zentren entlassen werden, noch bis zu drei Monate im Sperma und sogar in der Vaginalflüssigkeit nachgewiesen werden kann. Wobei, so der Hamburger Epidemiologe Ansgar Lohse, ein positiver Nachweis „nicht automatisch heißt, dass der ehemalige Patient weiterhin ansteckend ist“. Umgekehrt bedeute eine einmal durchgemachte Ebola-Krankheit aber auch nicht, dagegen ein für allemal immun zu sein.

Über Fälle sexueller Übertragbarkeit ist derzeit wenig bekannt. Aus Liberia wird ein Fall berichtet, bei dem ein von Ebola genesener Mann seine Freundin angesteckt habe, die später gestorben sei. Ein ebenfalls in Liberia an Ebola erkrankter Mann, der nach Indien zurückgekehrt ist, wurde in Quarantäne gebracht, weil sich in seinem Sperma noch Erreger fanden. Da es sich bei den nachgewiesenen Viren jedoch um relativ geringe Konzentrationen handelt, kann es sein, so US-Wissenschaftler, dass sich die Krankheit nur schwach ausprägt und deshalb „unterm Radar“ bleibt. Oder aber es wird zwischen sexueller Übertragung und Ausbruch überhaupt kein Zusammenhang hergestellt, weil die Krankheit erst Jahre nach der Ansteckung auftritt. Das ist keineswegs abwegig und erinnert an den Weg, den Aids vor einigen Jahrzehnten genommen hat. Eine besorgniserregende Vorstellung.

Deshalb rät die WHO genesenen Ebola-Patienten dringend, für die ersten drei Monate nach der Rekonvaleszenz auf jede Form von Sex, inklusive Oralkontakt und Masturbation, zu verzichten oder zumindest Safer Sex zu praktizieren – „eine reine Vorsichtsmaßnahme“. Und hier, sagt der Sonderbeauftragte Lindner, kämen dann die Frauen ins Spiel. Ihnen fiele die Aufgabe zu, „die Männer zu kontrollieren“. Was das über männliche Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen aussagt, ist eine Sache; wie sich darin unsere Vorstellungen von Afrika ausdrücken – eine andere.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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