Die Unruhe wird angefacht

Asylbewerber Neonazis zünden ein Flüchtlingsheim an und die herrschende Politik forciert ein rassistisches Klima. Was Meißen und Freital mit Seehofer, Gauck und der EU zu tun haben
Ausgabe 27/2015
Der Mob ist wieder los: Demonstration gegen das Asylbewerberheim in Freital
Der Mob ist wieder los: Demonstration gegen das Asylbewerberheim in Freital

Foto: EPD/Imago

Es brennt wieder in Deutschland. In der sächsischen Domstadt Meißen rottet sich der rechte Mob zusammen, „Initiative Heimatschutz“ nennt er sich. Ob er direkt für den Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim, in dem demnächst 32 Asylbewerber unterkommen sollten, verantwortlich ist, wird noch untersucht. Sicher ist, dass die zwei Dutzend Neonazis das rassistische Klima in der Bundesrepublik kräftig anheizen.

Im nur 30 Kilometer von Meißen entfernten Freital tobt seit Wochen eine Auseinandersetzung um eine Erstaufnahmeeinrichtung, die ebenfalls von Rechtsradikalen angeheizt wird. In Lübeck brannte Ende Juni eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Und im reichen Hamburger Stadtteil Blankenese haben sich Einwohner in einer Interessengemeinschaft „Pro Björnsonweg“ zusammengetan, um das Flüchtlingskontingent in ihrem Viertel möglichst niedrig zu halten. Wohlhabende Leute ziehen eben nicht mit dem Benzinkanister durch die Straßen.

Dass es in Meißen und anderswo neben Hass und Abwehr auch Solidaritätsbekundungen gibt, beruhigt nur oberflächlich. Ja, es gibt Teile in der Zivilgesellschaft, die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft zeigen. Es gibt aber auch eine herrschende Politik, die den Unruheherd im anderen Teil der Bevölkerung forciert. Dieser Teil legt vielleicht keine Brände, ist aber beunruhigt über die Auswirkungen der „Flüchtlingsströme“ – schon die apokalyptischen Metaphern sprechen für sich – und er wird von einigen noch rhetorisch verstärkt.

Von Horst Seehofer etwa, der eine Rede des Bundespräsidenten zum Anlass nahm, wieder einmal vom „massenhaften Asylmissbrauch“ zu schwadronieren und zu fordern, weitere Balkanstaaten zu sicheren Drittstaaten zu erklären. Das würde es den Menschen von dort praktisch unmöglich machen Asyl zu bekommen. Joachim Gauck hatte, vielleicht in bester Absicht, den ersten Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung dazu genutzt, die Deutschen daran zu erinnern, dass die „Schicksale von damals“, also die der deutschen Vertriebenen nach 1945, und die „Schicksale von heute“ auf „ganz existenzielle Weise zusammengehören“.

Historische Vergleiche sind offenbar auch bei einem Bundespräsidenten Glückssache, denn welche Schuld hätten die vertriebenen Syrer oder andere Bürgerkriegsflüchtlinge denn gemeinsam mit der Schuld der Deutschen, mit deren Unterstützung immerhin ein Weltkrieg angezettelt wurde? Dass Seehofer die Rede zur unverblümten Ausländerhetze nutzte, ist beschämend.

Noch beschämender aber ist ein Flüchtlingsmanagement der Europäischen Union, das nicht einmal in der Lage ist, 40.000 Flüchtlinge gerecht auf 28 Länder zu verteilen, sei es, weil osteuropäische Staaten aufgrund befürchteter innenpolitischer Verwerfungen blockieren, sei es, weil das Dublin-Verfahren die rechtliche Grundlage gibt, sich einfach wegzuducken und Italien und Griechenland das Problem zu überlassen.

Dazu passt, dass im Bundestag in dieser Woche das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ beschlossen wird. Dieses erleichtert es, einen Flüchtling als „Kriminellen“ zu identifizieren und in Abschiebehaft zu stecken, etwa weil er Schleusern eine „große Geldmenge“ bezahlt hat. Das Bleiberecht für Minderjährige wird verschärft, ebenso die Abschieberegeln. Dies alles mit den Stimmen der SPD, die schon 1993 willfährig bei Fuß stand, um das Asylrecht auszuhebeln.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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