Unfassbar. Alle Grenzen sprengend: Die Sprachlosigkeit war Richter Bührmann zum Abschluss des Aufsehen erregenden Prozessses am Landgericht Oldenburg anzumerken. Mit dem Urteil „lebenslänglich“ und „besondere Schwere der Schuld“ ging vergangene Woche der größte Serienmordprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte zuende. In 85 Fällen wurde der 42-jährige ehemalige Krankenpfleger Niels Högel für schuldig befunden, zwischen 2000 und 2005 seinen Patienten in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst ein tödliches Medikament gespritzt zu haben. In 15 Fällen wurde er freigesprochen, aus Mangel an Beweisen. Über die Zahl der Opfer, die nicht mehr exhumiert werden können, lässt sich nur spekulieren.
Das Recht ist wiederhergestellt, der Schrecken aber sitzt tief. Patienten, die besten Glaubens die beiden Krankenhäuser aufsuchten, um zu gesunden, fielen in die Hände eines skrupellosen, selbstherrlichen Todesengels, der am Ende seiner Mordserie innerhalb von zwei bis drei Schichten einen Menschen tötete, junge und alte, da machte Högel keinen Unterschied. Ihm kam es – zumindest anfangs – darauf an, sich bei der Reanimation als „Retter“ zu profilieren. Oft genug überlebten seine Opfer das nicht.
Sicher ist Högel ein Einzelfall, was Ausmaß und Gewissenlosigkeit seiner Taten betrifft. Doch der Schrecken beschränkt sich nicht auf Högel, sondern hat eine institutionelle Dimension. Wie ist es möglich, dass ein einfacher Pfleger mordend durch die Stationen zieht, und dabei scheinbar unbemerkt bleibt? Fiel niemandem die rasant ansteigende Sterberate auf, wenn Högel Dienst tat? Der Verbrauch an Herzmitteln? Warum wurde er wie in Oldenburg, nachdem er „auffällig“ wurde, nur auf eine andere Station versetzt? Warum durfte er als Altenpfleger arbeiten, als bereits gegen ihn ermittelt wurde?
Dass es Anzeichen für sein kriminelles Tun gab, wurde im Prozess offensichtlich. Kollegen hatten versucht, Vorgesetzte zu alarmieren, scheiterten offenbar aber an den Klinikhierarchien und einer Abschottungsmentalität, die „Schmutz“ unter der Decke zu halten sucht. Einige Ärzte- und Pflegedienstleiter werden sich dafür noch verantworten müssen. Doch was im Fall Högel aufscheint, lässt gruseln, wenn man an zunehmenden Pflegekräftemangel und unterbesetzte Stationen denkt.
Kommentare 13
ein schatten auf der branche/institution kommerzieller
gesundheits-/pflege- dienstleistungen würde licht voraus-setzen...
Zitat:
"
Warum wurde er wie in Oldenburg, nachdem er „auffällig“ wurde, nur auf eine andere Station versetzt? Warum durfte er als Altenpfleger arbeiten, als bereits gegen ihn ermittelt wurde?
Dass es Anzeichen für sein kriminelles Tun gab, wurde im Prozess offensichtlich. Kollegen hatten versucht, Vorgesetzte zu alarmieren, scheiterten offenbar aber an den Klinikhierarchien und einer Abschottungsmentalität, die „Schmutz“ unter der Decke zu halten sucht."
Darauf gibt es eine wohl simple Erklärung: ANGST
- Angst um die berufliche Reputation und damit um die berufliche und wirtschaftliche Existenz.
- Angst um das Image der Krankenhäuser und der Städte, in denen die Krankenhäuser stehen.
- Angst davor, dass an den Vorwürfen nichts dran sei und man sich mit schwersten Vorwürfen und teuren Schadensersatzprozessen ("Rufmord") konfrontiert sieht.
Hinzu kommen die überhöhten Erwartungen an Mediziner und Pflegepersonal. Mediziner und Krankenpfleger DÜRFEN keinerlei Fehler machen. Von ihnen wird erwartet, dass sie fehlerlos arbeiten. Aber auch Ärzten und Krankenpflegern unterlaufen Fehler. Da sie aber in der Gesellschaft oft den Status von unfehlbaren Halbgöttern haben, können sie Fehler nicht öffentlich eingestehen. Ein Arzt, der einen Fehler eingesteht, ist beruflich verbrannt. Ihm würde niemand mehr vertrauen. Er hätte mit seiner EHRLICHKEIT Selbstzerstörung begangen.
Wir haben es hier mit einem gesellschaftlichen, ja einem philosophischen Problem zu tun. Wenn ein Unfehlbarer einen Fehler begeht, kann er ihn niemals eingestehen, weil dann das Gebäude der eigenen Unfehlbarkeit wie ein Kartenhaus in sich zusammen bricht.
Für große Autoren, wie Shakespeare, Dürrenmatt oder Brecht wäre der Fall Högel Anlass genug, zeitlose Dramen für die Bühne zu schreiben. Literarisch gäbe es viel sagen über den Fall. Denn in jedem von uns steckt zumindest ein winziges Stückchen weit die Figur des Högel, des leitenden Oberarztes, des Chefarztes, des Verwaltungsdirektors der Klinik, des Staatsanwaltes etc..
....."hatten versucht, Vorgesetzte zu alarmieren, scheiterten offenbar aber an den Klinikhierarchien und einer Abschottungsmentalität, die „Schmutz“ unter der Decke zu halten sucht."
.....und: "WEHdem, DER.....!!!" (WIRKLICH Handeln sollte!)
.....sogar gesetzlich gezwungen um sich im Kernbereich seiner Aufgabe und Zuständigkeit nicht selbst strafbar zu machen!
....und es wird "offen-sichtlich" wo(rin) WIR längst WIRKLICH "leben"!
....und hier meine entsprechenden Erfahrungen als (deswegen Ex-) Polizeibeamter!
http://www.freitag.de/autoren/martin-franz/diktatur-der-angst-und-einschuechterung
„Wie ist es möglich, dass ein einfacher Pfleger mordend durch die Stationen zieht, und dabei scheinbar unbemerkt bleibt?“
Scheinbar, eben. Er stand ja wegen Mordes vor Gericht und ist verurteilt.
„Fiel niemandem die rasant ansteigende Sterberate auf, wenn Högel Dienst tat?“
Doch, das schreiben Sie ja selbst:
„Dass es Anzeichen für sein kriminelles Tun gab, wurde im Prozess offensichtlich. Kollegen hatten versucht, Vorgesetzte zu alarmieren, scheiterten offenbar aber an den Klinikhierarchien und einer Abschottungsmentalität, die „Schmutz“ unter der Decke zu halten sucht.“ Es fiel also durchaus einigen Menschen auf.
„Der Verbrauch an Herzmitteln?“
Auf Intensivstationen werden über Perfusoren alle möglichen Mittel, nicht selten ein Dutzend gleichzeitig, dem Patienten gegeben, solche, mit denen man den Blutdruck rauf und runter regelt, gehören routinemäßig mit dazu, bei so gut wie jedem Patienten, denn auf einer Intensivastation liegt man nicht zum Spaß und so gut wier jeder Patient ist dort kreislaufinstabil. Dazu hat man noch die Möglichkeit, wenn man es drauf anlegt, über diverse Zugänge, die man in sich hat, wenn man auf der Intensivstation liegt, bestimmte Mittel direkt mit einer Spritze in das System des zentralen Venenkatheters zu geben. Das ist kein Fehler, sondern gewollt und sinnvoll, um ggf. schnell reagieren zu können, oder weitere Mittel wie einen Magenschutz oder dergleichen zu geben.
„Warum wurde er wie in Oldenburg, nachdem er „auffällig“ wurde, nur auf eine andere Station versetzt? Warum durfte er als Altenpfleger arbeiten, als bereits gegen ihn ermittelt wurde?“
Ja, da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Aber wann wird aus einem Verdacht üble Nachrede? Und kann man aufgrund eines Verdachts, für den man noch nicht verurteilt ist, ein Berufsverbot aussprechen? Und sollte man das können? Wie „äuffällig“ war er denn genau, was wusste man zu der Zeit schon und wer wusste es? Wir leben ja in Zeiten, in denen Whistleblower eher Nachteile haben und zudem alles sofort Diskriminierung ist.
„Doch was im Fall Högel aufscheint, lässt gruseln, wenn man an zunehmenden Pflegekräftemangel und unterbesetzte Stationen denkt.“
Hier hätte der Bericht m.E. anfangen und nicht enden sollen. Sie wollen vermutlich andeuten, dass man in einem System am Rand der Kapazitäten (und oft schon drüber hinaus) nicht noch sehr genau hinschauen und alle Angestellten unter Generalverdacht stellen kann, in der Tat. Durch das Kaputtsparen am Personal, das 60% der Kosten eines Hauses ausmacht, d.h. dünn besetzte Stationen, die Überbürokratisierung und lückenlose Dokumentation ist jetzt schon manchmal ein Albtraum, wenn nun noch die flächendeckende Überwachung und Einzelgenehmigung für jedes Herzmittel erfolgt (jedes BTM-pflichte Medikament liegt bereits im Safe, die Entnahme jeder Tablette, jedes Pflasters, jeder Ampulle und jedes Tropfens wird dokumentiert und alle BTM-pflichtigen Medikamente werden 1x pro Schicht von 2 MitarbeiterInnen nachgezählt), wird die Arbeit noch schlechter und die Bedingungen noch unattraktiver. Inzwischen haben zu viele gemerkt, dass es preis-/leistungsmäßig bessere Jobs gibt und ohne deutlich mehr Geld und kriegt man einfach nicht genügend Personal. Auf Intensivstationen ist der Stress oft besonders hoch, so dass hier noch weniger Personal zu finden ist, das länger bleibt. Die Verweildauer in der Pflege ist ohnehin kurz, nach 8 Jahren ist man im Schnitt wieder raus, besonders motivierte Menschen nach 5 Jahren, weil sie sich das so nicht vorgestellt haben.
Dass das nicht nur ein pflegeinternes Problem ist, sondern durchaus ein gesellschaftlich relevantes, kann man etwa in Probleme in der Pflege und ihre dramatischen Folgen für uns alle lesen und nicht oft genug darauf hinweisen. Leider und dummerweise wird daraus zu gerne ein Generationenproblem gebastelt, was es nicht ist.
Eine ausreichende Zahl an PflegerInnen wäre die einzig sinnvolle Lösung. Für einige Bereiche des Lebens könnte man sich neben einer fachlichen Eignung auch noch eine psychologische Eignungstestung vorstellen, allerdings haben gerade die schlimmsten Psychopathen oft eine gewinnende und charmante Fassade, sie kullern eben nicht wiehernd über den Boden und essen rohe Leber zum Frühstück, sondern wissen, was erwartet wird und bedienen diese Erwartungen. Dennoch, wer Verantwortung für Menschen hat, gerade in asymmetrischen Situationen (Arzt, Sozialarbeiter, Pychotherapeut, Lehrer, Gutachter, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Flug- und Schiffskapitäne) den könnte man testen und diesen Menschen ggf, helfen und/oder Patienten, Schutzbefohlene, Kinder und alte Menschen vor ihnen schützen. Das ist jedoch ein diffiziles Thema, bei dem allerdings schon die Aufklärung zu komplex erscheint.
M.E. ist es aber ein probates Mittel, die Art und Weise öffentlich zu machen, wie Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen denken, fühlen, kommunizieren und agieren, was sie für Ziele haben, um die Bevölkerung zu sensibilisieren. Oft genug wird das aber gerade von linken Kreisen in oft immer gleicher Weise abgelehnt, als Herrschaftsstabilierung, Herrenreiterei, Diskriminierung … man stelle sich vor der weiße Mann (ist man mit 42 schon alt?) sei ein Migrant, eine Frau, hätte ein Handicap oder dunklere Haut … dann ist man auch noch Faschist.
Der eine schiebt die Verantwortung dem anderen zu, eine Kultur der Wachsamkeit und des Nachfragens ist in einer Zeit fröhlicher Oberflächlichkeit unerwünscht, aber zwischen narzisstischer Fröhlichkeit und paranoidem Misstrauen, gibt es ein sehr breites Spektrum an normalem Verhalten, daran sollte man sich gelegentlich erinnern, wäre nicht Verantwortung schrecklich neoliberal und Normalität so diskrimierend.
Herr Högel scheint ein Sonderfall zu sein, immerhin nicht weniger als der größte Massenmörder der letzten Jahrzehnte, bei uns, und die Systeme, in denen man alle Menschen lückenlos überwacht, sind vermutlich schrecklicher als jene, die es in Kauf nehmen, dass auch Menschen die Herr Högel in seltenen Ausnahmen vorkommen. Eine Sensibilisierung für die Hintergründe, persönlicher (psychopathologischer) und systemischer Art und ein Abwägen, wann man zum Äußern eines Verdachts moralisch verpflichtet ist, ist der andere Weg und es ist der bessere.
>>Die Verweildauer in der Pflege ist ohnehin kurz, nach 8 Jahren ist man im Schnitt wieder raus, besonders motivierte Menschen nach 5 Jahren, weil sie sich das so nicht vorgestellt haben.<<
Da fällt mir ein Gespräch im Arbeitsamt ein:
Ich: „Ich wäre auch zu einer Umschulung bereit, habe gehört, dass im Pflegebereich Personalmangel herrscht.“
Vermittler: „Das haben wir schon mal gemacht, aber nach höchstens 5 Jahren sind die Meisten wieder bei uns. Das ist uneffizient.“
Statistisch ist es so, dass unser Pflegeproblem gelöst wäre, wenn die PflegerInnen nur einen oder zwei Monate länger im Beruf bleiben würden, dass sie aber so schnell wechseln, spricht Bände.
“I' ve no time to tell you how I came to be a killer.
But you should know, as time will show,
That I'm society's pillar.
I' m not a butcher I'm not a Yid Nor yet a foreign skipper,
But I'm your own light-hearted friend Yours truly,
Jack the Ripper."
(Jack the Ripper)
Wovon Sie so träumen ... tz, tz, tz ...
Wovon Sie so träumen ... tz, tz, tz ...
Jack the Ripper erweist seiner Herrschaft tatsächlich einen Dienst, wenn er das längst gefällte Urteil der Herrschaft über die Unbrauchbarkeit größerer Teile der abhängigen Klasse lediglich vollstreckt, sich also als Henker um die Exekution der Überflüssigen verdient macht, um eine Hinrichtung, die in der Bestreitung jeglicher materiellen Lebensgrundlage durch den Staat bereits ausgesprochen ist.
Die Interpretation des Mordes, der dem Staat, dem nun leider die Hände gebunden sind, hilfreich zur Hand geht, geschieht nach dem Mechanismus des schwarzen Humors unter der üblichen Berufung darauf, dass der Staat und seine Exekutive selbstverständlich nicht mordet, wenn sie über eine Anzahl von Untertanen befinden, sie zähle zu den unnützen Fressern.
Die Wahrheit über den Ripper ist, dass er um der höchsten Instanz seiner nationalistischen Moral willen ausspricht (your own light-hearted friend), was der Nationalstaat beständig praktiziert, und Hilfestellung leistet beim Aufräumen, wo nicht gründlich genug verfahren werden konnte.
Das gleiche gilt hier, unter der Ägide eines gezielt und staatlich hergestellten sog. „Pflegenotstandes“, wo auch dieser Killer lediglich als Vollstrecker eines „längst gefällten Urteils seiner Herrschaft über die Unbrauchbarkeit größerer Teile der abhängigen Klasse“ in Erscheinung tritt.
Das Ekelhafte daran: der normale moderne Staatsbürger wird sein hier vorgeführtes eignes Denken keineswegs als das mechanische Produkt der Denkfigur eines Jack the Ripper erkennen wollen.
Dem bleibt ausschließlich „Fassungslosigkeit“ und moralisches Echauffieren.
"Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht." K.T.
.....je nach "Sicht-Weise" sogar nachvollziehbar-begründet!.....in "Kriminellen Kreisen" zum Beispiel!......be-wirkt "Erfolgs-Ertrags-Minderung"!
Ich habe diesen Fall etwas verfolgt.Ich habe viele Fragen, weil die Dauer seiner Morde so lange bestand und die Mordopfer immer mehr. Das Vertrauen ist zusätzlich beschädigt und Jede und Jeder im Gesundheitswesen tut gut daran Mißtrauen nicht mit Abwehrhaltung zu begegnen. Ich bin sehr betrübt.