Diskriminierte Männer

Paritätsgesetz In Thüringen verhindert ein Gericht, dass Wahllisten paritätisch besetzt werden müssen – ein Urteil mit Signalwirkung
Ausgabe 30/2020
Diskriminierte Männer

Illustration: der Freitag

Unlust am Debattenstil der Männer, männliches Machtgebaren, familienunfreundliche Sitzungszeiten – und manchmal schlicht Desinteresse: Die Gründe, warum sich Frauen weniger in der Politik engagieren, sind vielfältig. Und Politiker haben bislang auch nicht viel dazu beigetragen, ihre Männerwirtschaft zu öffnen, im Gegenteil, laut einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt die Zahl weiblicher Abgeordneter in Bund und Ländern seit Jahren ab. Auch der rot-rot-grüne Senat in Berlin macht da keine Ausnahme, dort liegt ihr Anteil mit 33 Prozent eher im mittleren Bereich der Bundesländer. Auf das lange angekündigte Paritätsgesetz warten die Berlinerinnen jedenfalls schon lange, es wird wohl noch über das Ende der Legislaturperiode hinausgezögert und dann beerdigt werden, weil den Frauen seitens der höchsten Gerichte gerade der Wind ins Gesicht bläst. 2019 hat bereits der Bayerische Verfassungsgerichtshof eine Klage des Aktionsbündnisses „Parité in den Parlamenten“, Wahllisten paritätisch zu besetzen, verworfen.

AfD drückt die Frauenquote

Dass ausgerechnet zwei ostdeutsche Bundesländer – erst Brandenburg, dann Thüringen – ein Gesetz, das die Repräsentation von Frauen fördern soll, auf den Weg gebracht haben, ist bemerkenswert und dürfte nicht zuletzt auf den männlichen AfD-Aufmarsch zurückgehen, durch den die Frauenquote in den Parlamenten gedrückt wurde. In Thüringen ist der Anteil von über 40 auf 31 Prozent zurückgegangen. So war auch abzusehen, dass die Phalanx derer, die mit reaktionären Frauen- und Familienbildern ins politische Rennen gehen und die wenigsten weiblichen Mitglieder in ihren Reihen haben, Schützenhilfe bei den Rechtshütern suchen würde, um das Paritätsgesetz zu kippen. In Brandenburg, wo die Klage gegen das seit 2019 gültige Gesetz von einem Bündnis aus AfD, NPD und pikanterweise der Piratenpartei angestrengt wurde, wird am 20. August verhandelt, in Thüringen darf sich die AfD alleine freuen: Dort haben die Verfassungsrichter mit sechs gegen drei Stimmen die Regelung vergangene Woche gekippt. Es freut sich auch die Union, weil die Konkurrentin das Drecksgeschäft für sie übernommen hat.

Zumindest zur kommenden Wahl werden die Listen also nicht abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt. Es bedeute einen Eingriff in die Grundrechte, führte der Vorsitzende Richter Stefan Kaufmann aus, wenn sich Bewerber und Bewerberinnen nicht mehr auf einen beliebigen Listenplatz bewerben könnten, und beeinträchtige auch die in § 21 GG garantierte Freiheit der Parteien, über ihr Personal zu bestimmen. Zudem könnten Parteien gezwungen sein, „weniger gut geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten“ aufzustellen, wenn ein Geschlecht in einer Partei unterrepräsentiert sei. Im Falle der klagenden AfD sind das gewiss die Frauen, wobei man hier über den Begriff „Eignung“ ohnehin streiten kann.

Im Kern ging es bei der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts – die erste dieser Art – um die Frage, ob dem Staat solche verfassungsrechtlichen Eingriffe erlaubt sind, um die Geschlechterverteilung in der Gesellschaft in den Parlamenten widerzuspiegeln. Die Richter konzedieren zwar den von der Landesregierung geltend gemachten Auftrag, die „tatsächliche“ Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu sichern, sahen das Gewicht der entsprechenden Formulierung in der Landesverfassung aber als „zu gering“ an, um die mit dem Paritätsgesetz verbundenen Eingriffe zu rechtfertigen.

Mit dem Urteil setzt das Gericht eine weitere Wegmarke in der langen Auseinandersetzung um die Quote. Dabei ging es immer um die Frage, ob es angesichts struktureller Diskriminierung von Frauen gerechtfertigt ist, sie als Gruppe zu bevorzugen und gegebenenfalls Männer als Individuen – etwa bei der Besetzung von Stellen – oder als Gruppe wie beim Paritätsgesetz zu „diskriminieren“. Ist es gerecht, gruppenspezifische Ungleichheiten dadurch zu mindern, indem man in die formalen Gleichheitsrechte eingreift? Und setzt das nicht ein ehernes Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft, das Leistungsprinzip, außer Kraft?

Erstmals in den USA wurden mit „Affirmative Action“ Gruppen- über Individualrechte gestellt. Der Begriff meint ein Bündel von Maßnahmen, bei denen durch zeitweise Ungleichbehandlung bestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten entgegengewirkt werden soll. Betroffen waren nicht nur Frauen, sondern etwa auch ethnische Minderheiten, die bis in die 1990er Jahre darauf vertrauen konnten, dass der Supreme Court in ihrem Sinne urteilte. Das änderte sich mit der konservativen Wende, als das höchste Gericht begann, sich um die Belange weißer Männer zu sorgen.

Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich im selben Dezennium auch in Deutschland ab, als sich mit den vermehrten Quotenregelungen der Länder immer mehr Männer gegenüber gleichwertig qualifizierten Frauen benachteiligt fühlten. In mehreren Urteilen meldeten die Oberverwaltungsgerichte verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Quote an und verhinderten im Einzelfall die Besetzung der entsprechenden Stellen mit Frauen. 1997 befand der Europäische Gerichtshof im berühmten „Fall Kalanke“ die starre Bremer Quote als unzulässig, weil sie „eine Diskriminierung der Männer aufgrund des Geschlechts“ bewirke. In einem anderen Fall erklärte das Gericht eine Quote, die aufgrund gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt, für rechtskonform.

In diese Ära fällt auch die Debatte über Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem das grundsätzliche Diskriminierungsverbot formuliert wird, aber, so die damaligen Rechtsexpertinnen, in der Auslegung auf Individuen verkürzt bleibe. Erst in Verbindung mit Absatz 2, der den Staat aktiv beauftragt, auf „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken, eröffne sich die gruppenbezogene Dimension des Gleichstellungsgebots und der damit verbundene Verfassungsauftrag.

Hier setzen die Verfechter des Paritätsgesetzes an. Die Vorsitzende der Linken im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, kündigte an, den Verfassungsausschuss anzurufen und eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Ihre Kollegin im Bund, Cornelia Möhring, verweist bei der Argumentation der Richter auf deren Thüringen-Bezug. Dass das Paritätsgesetz dort ein bisschen von „oben“ und ohne breite gesellschaftliche Debatte ins Leben gerufen wurde, dürfte dem Vorhaben aber geschadet haben. Ein neuer Anlauf in dieser Legislaturperiode ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament eher unwahrscheinlich.

Debatte wäre besser gewesen

Werden die Brandenburger Verfassungsrichter diesem Weg folgen? Die Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger vermutet, dass das Urteil über Thüringen hinaus Signalwirkung entfalten wird und auch für Brandenburg wegweisend sei. Die Linken-Abgeordnete Andrea Johlig im Brandenburger Landtag dagegen meint, dass das Gleichstellungsgebot in den Landesverfassungen und im Grundgesetz Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze durchaus rechtfertige. Ähnlich heißt es im Sondervotum der Thüringer Richter*innen, dass die Gleichverteilung der Listenplätze zwar die geschlechtsspezifische Chancengleichheit fördere, aber keineswegs ein paritätisch besetztes Parlament garantiere. Direktmandate sind vom Paritätsgesetz nicht betroffen, sodass es wohl ohnehin nicht zu einem 50:50 besetzten Landtag käme.

In Frankreich, wo schon Anfang der 1980er ein Parité-Gesetz eingeführt und später ergänzt wurde, ist das Reißverschlussprinzip inzwischen völlig normal. Parteien, die sich nicht daran halten, werden nicht zur Wahl zugelassen und erhalten weniger staatliche Förderung. Dort ist es auch möglich, einen Mann zusammen mit einer Frau direkt zu wählen, ähnlich wie zuletzt beim SPD-Vorsitz. Eine schöne Idee, auch wenn sie den Anspruch, dass „jeder Politiker und jede Politikerin“ das „ganze Volk vertritt“, wie einer der Weimarer Richter erklärte, kaum einlöst – jedenfalls nicht im Fall der AfD.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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