Endlich im Jahr 2020!

Gleichberechtigung Für CDU und Wirtschaft soll eine Frauenquote gelten. Ein später Fortschritt, der immer noch bitter nötig ist
Ausgabe 29/2020

Gibt es eine Maßeinheit für Kulturrevolutionen? Die taz hatte mal das Zeitintervall „Femm“ vorgeschlagen, um zu messen, wie lange es dauert, bis sich eine Idee – zum Beispiel die geschlechtergerechte Verteilung von Ämtern und Mandaten im parlamentarischen Leben – durchsetzt. Das war 1994, als die CDU, zuerst von den Grünen, dann von der SPD getrieben, die ersten Trippelschrittchen unternahm, Gleichstellung in den eigenen Reihen zu realisieren. 15 Jahre – ein Femm – hatte das gedauert, herausgekommen war 1995 ein Quorum, ein Drittelreservat, weil der Begriff Quote zu viele, nicht nur männliche Beißreflexe aktivierte. Damals betrug der Frauenanteil in der CDU-Fraktion im Bonner Bundestag 14,4 Prozent. Heute sind es genau drei Prozent mehr. Nach bald zwei Femm!

Dabei ist die Quote schon so ein alter Hut, dass er der nächsten und übernächsten Generation gar nicht mehr recht passen will, so selbstverständlich ist Emanzipation und sind toughe Frauen wie die Merkels, Lagardes und von der Leyens aufgestiegen in die höchsten Ämter. Hatte eine Bundesfrauenministerin Merkel noch gegen die Quote protestiert, weil sie „mit dem Menschenbild der CDU“ nicht zu vereinbaren sei, erklärt sie es über 25 Jahre später für „absolut unzureichend“, dass es immer noch börsennotierte Unternehmen gibt, in denen nicht eine einzige Frau im Vorstand sitzt.

Sie hat es hinter sich. Kein Mensch würde sie mehr eine Quotenfrau nennen und damit demütigen, wie die Gegnerinnen der Quote immer befürchten. Erst ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer heftete sich das Label selbstbewusst an die Brust. Inzwischen kann die Kanzlerin sogar ihrer Ministerin Franziska Giffey (SPD) den Rücken stärken, die plant, in den Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmungspflichtiger Unternehmen zumindest einen Platz für Frauen zu reservieren und die gesetzliche 30-Prozent-Quote in den Aufsichtsräten von 100 auf 600 Privatfirmen auszudehnen.

Denn der Frauenanteil in den Vorständen großer Unternehmen schrappt immer noch an der Zehn-Prozent-Marke, daran ändert auch eine Jennifer Morgan nichts, die 2019 in den Vorstand von SAP berufen wurde. Freiwillige Quoten haben kaum Wirkung entfaltet, in 66 Prozent der Vorstandsgremien herrscht reiner Männerklüngel. 75 der 115 wichtigsten börsennotierten Unternehmen haben 2020 angekündigt, auch zukünftig mit einer „Null“ zu planen. Wer aber die Zielgröße „Null“ meldet, so Giffey, und dies nicht plausibel mache, müsse nun mit Sanktionen rechnen. Dass sich eine gesetzliche Quote positiv auswirken kann, zeigt die Entwicklung in den 186 vom Verein Fidar im „Women-on-Board-Index“ aufgelisteten Aufsichtsräten: Dort beträgt der Frauenanteil inzwischen 31,8 Prozent. Das operative Geschäft werden die Männer zäher verteidigen, wenn das Gesetz zum 1. Mai 2021 in Kraft tritt.

Denn es gibt, darüber ist man sich doch einig, gar nicht so viele kompetente und durchsetzungsfähige Frauen, die gewillt und fähig wären, solche Posten auszufüllen. Nicht in der Wirtschaft und schon gar nicht in der Partei, die zwar beansprucht, „das Volk“ zu vertreten, aber gerade mal etwas mehr als ein Viertel weibliche Mitglieder an sich binden kann. Der bislang letzte Vorstoß der Frauen-Union, auf dem Leipziger Parteitag 2019 eine verbindliche Quote durchzusetzen, wurde vertagt, um die geschwächte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit einer Abstimmungsniederlage nicht noch mehr zu beschädigen.

Das Projekt wurde einer Struktur- und Satzungskommission übergeben, die, oh Wunder, nun eine Pflichtquote von 50 Prozent vorgeschlagen hat, die schrittweise ursprünglich bis 2023, nun aber doch erst bis 2025 umgesetzt werden soll. Betroffen sind Parteiämter (Vorstände bis zur Kreisebene, Delegiertenwahlen), für die Listenplätze bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen bleibt es eine Soll-Regelung. Das häufig genutzte Ticket in die Parlamente – das Direktmandat – bleibt unberührt. Zudem können die Regelungen ausgesetzt werden, wenn sich nicht genügend Kandidatinnen finden. Ach!

Wie sich die „Modernisierung“ der Volkspartei mit der Tatsache verträgt, dass im Dezember drei Männer um den CDU-Vorsitz fighten, bleibt ein Geheimnis. Böse Geister könnten vermuten, dass das „Quotending“ kosmetischer Art ist, bevor die Führungsfrauen in der Union ganz abgeräumt sind. Für Kramp-Karrenbauer ist es ein letztes Prestigeprojekt, von dem völlig unklar ist, ob und wie es den Parteitag übersteht, selbst Markus Söder ist bei seinen CSU-Mannen daran schon gescheitert. Carsten Linnemann vom Wirtschaftsflügel der Union findet die Quote „schwierig“ und Friedrich Merz äußert sich skeptisch zu dieser „zweitbesten Lösung“. Die beste ist, klar, ein Macher wie er selbst.

Und wir? Haben wir nichts Besseres zu tun, als eine überfällige, vielleicht gar überlebte Quote zu kommentieren? Nachdem uns vorgeführt wird, dass die von Frauen regierte Welt auch nicht besser ist? Nein, denn gerade in der Corona-Krise sind wir auf die ungleiche Lastenverteilung auch zwischen den Geschlechtern gestoßen worden, trotz oder gerade wegen Homeoffice und Homeschooling. Eine Frau an der SAP-Spitze ändert wenig am Geschäftsbetrieb, erinnert aber daran, dass sie „die Hälfte des Himmels“ sind, auch wenn noch viele Femm nötig sind, bis er besetzt ist.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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