Erleuchte, säkulares Licht!

Missbrauchsskandal Für die Institution Kirche genügt eine Reformation schon lange nicht mehr. Es braucht eine Revolution
Ausgabe 12/2021
Betroffen, aber noch nicht zur Verantwortung gezogen: Kardinal Rainer Maria Woelki
Betroffen, aber noch nicht zur Verantwortung gezogen: Kardinal Rainer Maria Woelki

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Wenn jetzt das von Rainer Maria Woelki als „rechtswidrig“ eingeschätzte Gutachten einer kleinen Öffentlichkeit von Betroffenen und Medienvertretern zugänglich gemacht wird, könnte es noch einmal spannend werden. Taucht er darin namentlich als Belasteter auf, der von den jahrzehntelangen sexuellen Übergriffen im Erzbistum Köln gewusst und sie heruntergespielt hat, sei es als amtierender Kardinal oder als Sekretär des ehemaligen Kardinals Meisner? Letzterer müsste sich nun im Grabe herumdrehen ob der Beschuldigungen, die ihn posthum wie ein Inferno überziehen. Die von Woelki selbst beauftragte, vergangene Woche veröffentlichte Studie forderte diesem jedenfalls (noch) keinen Beichtzettel ab.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich dies ändert. Wäre es so, müsste der Kardinal, wie zuvor der Hamburger Erzbischof Stefan Heße oder der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp Konsequenzen ziehen und den Papst um seine Entlassung bitten. Heße und Schwaderlapp waren wie 243 andere Würdenträger und Seelsorger im Erzbistum in dem von Woelki initiierten Gutachten schwer belastet worden.

Den offiziell vorerst 314 Betroffenen, die bei diesem unendlich verschleppten, mit viel Rauch verdunkelten Aufarbeitungsmarathon am wenigsten gehört wurden, ist eine solche Demission nicht zu wünschen. Woelki sollte – um im biblischen Bild zu bleiben – durch das Fegefeuer gehen und geradestehen für das, was sich Männer, die sich für unantastbar halten, geleistet haben. Er sollte sich nicht zurückziehen können, sondern den lebenslang Traumatisierten die Antworten geben, auf die sie warten: nicht nur entschuldigende, auch tätige. Die katholische Kirche kennt sich ja gut aus mit dem Ablass für Sündige, der eine ganze Reformation ausgelöst hat.

Für die Institution allerdings genügt eine Reform(ation) schon lange nicht mehr, hier bedarf es einer Revolution, die an die Grundfesten geht, angefangen bei der Unfehlbarkeit des Papstes über sexistische Dogmen bis hin zu einer Sexualmoral, die eben ins kriminelle Kraut schießen ließ, was nun zwischen grauen Pappdeckeln lagert. Alljährlich zu Pfingsten beleckt der Lehre nach ja der Heilige Geist die Gläubigen. Es ist Zeit, dass seinen Stellvertretern ein säkulares Licht aufgesteckt wird.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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