Es ist viel von weiten Wegen die Rede. Vom schweren Aufstieg auf schmalen Pfaden mit altem Ballast im Gepäck. Ob sie am Ende über dem Gipfel wehen wird, die blau-gelbe Flagge der vor vier Jahren noch so stolzen, fast schon überheblichen FDP?
Blau und Gelb, das sind ihre Farben, und schon in diesen Farben scheint ein gewisser Missklang auf. Denn Blau steht für Harmonie und Freundschaft und ein fernes Ziel, während das Gelbe eben auch auf Neid verweist und Gier. Von Harmonie und liebevollem Umgang waren die Liberalen in den vergangenen Monaten weiter entfernt als von der problematischen Seite ihres Emblems: Zwist und Hader über einen verbockten Wahlkampf und den Rauswurf aus dem Bundestag, die Suche nach Sündenböcken bis hin zum offenen Mobbing. Anfang Dezember, am Vorabend des FDP-Parteitags, sah man den kommenden Shooting-Star Christian Lindner umringt von seinen Knappen; ausgemustert und einsam am Rande der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Parteichef Philipp Rösler, sichtlich darum bemüht, Contenance zu bewahren. Er hätte sich über etwas mehr Unterstützung durch das Team gefreut, wird er später bei seiner Abschiedsrede sagen und dafür sogar Beifall ernten. Zu spät für ihn.
Es braucht in Deutschland den Liberalismus, doch die FDP halten viele Bundesbürger für überflüssig. Hat die Partei, ohne die es die Ostverträge nicht gegeben hätte und die in den frühen siebziger Jahren auch viel für die gesellschaftliche Modernisierung getan hat, ausgedient? Nein, versichern sich die, die weitermachen wollen, gegenseitig: Es braucht uns, die Liberalen, gerade jetzt, wo Grüne, die SPD und sogar einige aus der Union bereitstehen, die Leiche zu fleddern und das Terrain zu besetzen. Dagegen gilt es, die sieben Aufrechten um das blau-gelbe Fähnlein zu sammeln.
Mit Milieus verzahnen
Einer davon ist Johannes Vogel, ein Netter aus dem Sauerland, hochgewachsen und lässig, eloquent: Einer, der weiß, dass er gut ankommt. Mit 28 Jahren gehörte er 2009 zu den jüngsten Bundestagsabgeordneten und musste nun – nach nur vier Jahren – mitsamt seiner Fraktion das Feld räumen: „Ich wusste immer, es ist ein Job auf Zeit. Aber trotz eines mulmigen Gefühls konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass meine Partei aus dem Bundestag fliegt“, erinnert er sich an den schwarzen Tag des Abgangs. Glücklicherweise, sagt er, hätten ihn seine Familie und seine Freunde aufgefangen am Tag nach der Wahl.
Vogel ist einer von den 200 aus dem Bundestag ausgeschiedenen Berufspolitikern, die im Auftrag der Wirtschaftswoche kürzlich von einer Personalvermittlungsfirma durchleuchtet worden sind. Viele darunter ohne nennenswerte Berufserfahrung und „Anschlussverwendung“, wie das im einstigen, kühlen FDP-Jargon hieß. Auch der Politikwissenschaftler ist 2005 direkt aus der Hochschule zum Chef der Jungliberalen gekürt worden, danach arbeitete er für den Parteigeneral Christian Lindner. Was er nun vorhabe? Offenes Grinsen: Noch nichts entschieden, damit lasse er sich Zeit.
Auch Vogel stellt sich die Frage, wofür es die Liberalen noch braucht: „Um die Große Koalition zu kritisieren, von der Mitte her.“ Er findet, dass die künftige Rentenpolitik „unverantwortlich“ sei und demnächst der mühsam von der FDP verhinderte Überwachungsstaat drohe: Vorratsdatenspeicherung, Netzzensur. „Unsere Aufgabe ist es nun, uns mit anderen freiheitsliebenden Milieus zu verzahnen, nicht nur mit den klassischen Selbstständigen und Mittelständlern, sondern auch mit engagierten Menschen mit ausländischen Wurzeln, Datenschützern oder urbanen Gründern.“ Das sei der FDP bisher schlechter gelungen als anderen Parteien. Vom Verdikt des sächsischen FDP-Chefs Holger Zastrow, der die Bundespartei als „elitären Club“ beschimpfte, distanziert er sich allerdings entschieden.
Zastrows Name war der einzige, den Christian Lindner erwähnte, als er sich um den Parteivorsitz bewarb. Er hält nichts von Zastrows schmissiger Formel „Machete statt Florett“, „Stammtisch statt Feuilleton“. „Wir brauchen beides“, so Lindner. Brachialer Populismus ist nicht sein Stil, und er weiß, er muss sammeln, damit es am rechten Eck der Partei nicht bröckelt. „Freiheit“, beschwört er, „verpflichtet zur Einheit“.
Als ob sich Gerald Kunzmann, Ortsvorsitzender in Ottobrunn bei München davon beeindrucken ließe. In rot kariertem Hemd und stämmig saß er beim Parteitag am Tisch der Jungliberalen. Gemessen an dem smarten Vogel wirkt er behäbig und volkstümlich. Zastrow, sagte Kunzmann, habe doch recht, die FDP sei ein Elite-Verein, der den Kontakt zur Basis verloren habe. „Nicht unter 70 Prozent“, gab er Lindner immerhin. Rösler hatte vor zwei Jahren über 95 Prozent der Partei hinter sich.
Die 79 Prozent, mit denen Lindner dann davonkam, sind Ausdruck einer tief verunsicherten, gespaltenen Partei. Der neue Chef der FDP ist erheblich jünger als es Rösler 2011 war. Im dunkelblauen Anzug, schmal, blond, nicht groß und ein bisschen gequält in die Kamera lächelnd, wirkt der 34-Jährige wie ein Konfirmand. Lindner, erzählt Vogel, der ihn lange kennt, sei keiner, dem das Reden in die Wiege gelegt worden sei, er habe hart daran arbeiten müssen. Als disziplinierten Arbeiter sieht sich auch Lindner selbst. Kürzlich von einem Cicero-Redakteur auf die Eigenschaften des Steinbock-Menschen befragt, lobt er sich: „Verlässlich, sympathisch, bescheiden“. Und, schenkt man der Astrologie Glauben, auch machtbewusst. Aber das sagt er nicht.
Neuerdings fällt Christian Lindner mit kapitalismuskritischen Verlautbarungen auf. Der Begriff „Konzernkapitalismus“ geht ihm routiniert von den Lippen, einmal zitiert er sogar den „militärisch-industriellen Komplex“. Ihm gehe es um den einzelnen Menschen, nicht um die einzelne Bank. Da ist einer sichtlich bemüht, sich vom Image der Kälte und der Herzlosigkeit zu befreien, selbst wenn er vom „mitfühlenden Liberalismus“ nichts mehr wissen will. Der neue Parteivorsitzende spricht nun lieber vom „gefühlvollen Verantwortungsethiker“. Dabei lässt er aber keinen Zweifel, dass die FDP „die Partei des Eigentums“ bleiben soll.
Um die Partei der Besserverdienenden wieder zu öffnen, hat Lindner nun weibliche Sympathieträger um sich geschart. Die Personaldecke der FDP ist nach dem Abgang der Führungsriege hauchdünn geworden und die mittlere Generation ohnehin unterrepräsentiert, da wirkt sich heute noch der Aderlass nach dem Koalitionswechsel zur CDU 1982 aus. Die neue Führungstruppe rekrutiert sich aus der Landes- oder Kommunalebene: Die neue Generalsekretärin Nicola Beer war bislang hessische Kultusministerin; Marie-Agnes Strack-Zimmermann Bürgermeisterin in Düsseldorf. Letztere vertritt die 5.000 kommunalen Mandatsträger der FDP und hat sich gegen ihren gefährlichen Gegenkandidaten, den Anti-Euro-Wühler Frank Schäffler, durchgesetzt.
Mancher fühlt sich noch wohl
Judith Skudelny dürfte damit zufrieden sein. Die Stuttgarterin war ebenfalls Bundestagsabgeordnete, sie ist ihrem Beruf als Insolvenzverwalterin aber treu geblieben, weil Jörg van Essen gleich zu Anfang gesagt hatte, dass höchstens 50 Prozent aller Abgeordneten mehr als eine Legislaturperiode im Bundestag blieben. Die 38-jährige Mutter zweier Kinder, die Beruf und Familie vereinen will, „nicht konservativ“ ist und sich mit ihrem Mann nicht als „Übereltern“ sieht, fühlt sich wohl in der FDP, in der sie als stellvertretende Landesvorsitzende auch eine Führungsrolle innehat. „Eine Frau, die qualifiziert ist und die Welt in die Hand nehmen will“, sagt sie überzeugt, „ist bei uns richtig aufgehoben.“
Es wird schwer, sehr schwer
Auch für Skudelny war der Abschied mit „viel Wehmut“ verbunden, und sie war froh, als alle ihre Mitarbeiter wieder untergekommen waren. Sie ist Schatzmeisterin bei den Liberalen Frauen. Insbesondere die eigenständige soziale Absicherung von Frauen ist ihr wichtig: „Jeder volljährige Erwachsene sollte für seine Versicherung selbst aufkommen“, fordert sie beispielsweise, „es sei denn, es sind Kinder oder hilfsbedürftige Menschen zu pflegen.“ Im Unterschied zu Parteifreundinnen ist sie aber gegen die Quote, sinnvoller findet sie es, „weibliche Netzwerke“ zu knüpfen, um in bessere Positionen zu kommen.
Mit Christian Lindner verbindet sie die Überzeugung, dass nur Leistung honoriert werden sollte. Ein Idol sieht sie aber nicht in ihm: „Ich habe keinen Gott gewählt, sondern einen Vorsitzenden mit Stärken und Schwächen. Ich erwarte von meiner Partei, dass wir uns voll hinter ihn stellen. Wir haben viele schwere Wahlen vor uns.“
Einer, der schon 2014 drei solcher Wahlen überstehen muss, ist der Hochschullehrer und ehemalige Bundestagsabgeordnete Martin Neumann. Er vertritt den „schönsten Landesverband“, Brandenburg, wo nicht nur Europa-, sondern auch Kommunal- und Landtagswahlen anstehen. Martin Neumann dürfte sich insbesondere über die Wahl der Bildungspolitikerin Nicola Beer gefreut haben, denn er findet, dass sich seine Partei, der er schon vor der Wende angehörte, auf diesem Feld profilieren müsse.
Mit Opposition hat er, der nur einmal im ersten brandenburgischen Landtag saß, reichlich Erfahrung. Aber nun, wo die Bundespartei parlamentarisch keine Rolle mehr spielt, „wird es schwer, sehr schwer“. Diesen Satz wiederholt Neumann wie ein Mantra. Kein Wunder, denn die FDP liegt einer neuen Umfrage zufolge in Brandenburg gerade mal bei zwei Prozent. „Wir werden kämpfen“, verspricht er. „Aber wir haben nicht mehr so viele Schüsse.“
Das künftige liberale Farbspiel wird auch davon abhängen, welchen Schuss die Alternative für Deutschland (AfD) bei den Europawahlen macht. Keiner der Gesprächspartner sieht sich oder die FDP in der Nähe der „nationalliberalen Bauernfänger“, wie Lindner sie nennt. Aber der Euro-Kritiker Frank Schäffler hatte auf dem FDP-Parteitag immerhin ein Viertel der Delegiertenstimmen für sich holen können, und die Stimmung an der Basis dürfte sich seiner Seite noch stärker zuneigen. Beim Mitgliederentscheid vor zwei Jahren votierten nur 55 Prozent für den Euro.
Auch die Parteifinanzen dürften dem neuen Spitzenpersonal zu schaffen machen. Die Stellen in der Berliner Parteizentrale werden um fast die Hälfte auf 20 gekürzt, und wie es um das Vermögen der FDP steht, ist nicht ganz transparent. Den Gerüchten über die Finanzkrise der Partei steht die Behauptung Otto Frickes gegenüber, die FDP verfüge über ein Reinvermögen von elf Millionen Euro. Doch auch der scheidende Finanzchef warnt: „Keiner der Schatzmeister ist zu beneiden. Jetzt kommt die Zeit des Spenders.“
Und die Zeit des Übens. Die außerparlamentarische Opposition wurde bereits auf dem Parteitag geübt. Erstmals war es der Basis gestattet, eigene Anträge einzubringen, und die Delegierten sparten nicht mit Kritik an der Führung. Und noch nie in der neueren Geschichte der FDP dürfte der Begriff APO so oft bemüht worden sein wie in den vergangenen Wochen. „Wir werden berechtigte Empörung artikulieren, wenn eine übermächtige Regierung vom Parlament nicht ausreichend kontrolliert oder einseitig kritisiert wird, ähnlich wie das die APO gegen die Notstandsgesetze gemacht hat“, kündigte Johannes Vogel an. Gefragt, was die FDP von der historischen APO lernen könne, antwortet Skudelny lapidar: „Querdenken“.
Der erste richtige Radikale, das wäre dann Philipp Rösler. Der hatte sich in seiner verzweifelt wirkenden Abschiedsrede in einen Gag verirrt – und landete dabei zu aller Überraschung „nackt auf der (Berliner) Friedrichstraße“. In der vietnamesischen Tradition ist gelb die Farbe des Kaisers, sie signalisiert Fröhlichkeit und Treue. Nun ist der Kaiser nackt. Er sollte sich in Blau kleiden, dem Symbol für Frieden und Ruhe.
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