„Es ist viel getan worden“

Generationengespräch Junge und ältere Feministinnen stehen sich oft misstrauisch gegenüber. Bei einer Tagung in Berlin ließ sich beobachten, wie der Erfahrungsaustausch gelingen kann

„Das hatten wir doch schon alles einmal!“ Der Stoßseufzer der Altfeministin, wenn eine jüngere Frau wieder einmal glaubt, ein Thema neu entdeckt, eine Haltung selbst erfunden zu haben. Die Augen verdreht, die Miene leicht blasiert, gibt die Ältere zu verstehen, dass dieser Acker längst bestellt sei und die eingebrachten Früchte von den Jüngeren wenig geschätzt, weil selbstverständlich konsumiert würden. Bei aller Herablassung schwingt da immer auch der Neid älterer Geschwister mit, die den Nachkömmlingen in der Familie den Weg geebnet haben. Nein, sagt Anna Berg, ehemals beim feministischen Blog Mädchenmannschaft beteiligt, diesen Satz wolle sie wirklich nicht mehr hören.

Es ist wahrlich nicht leicht, Feministinnen über die Generationen hinweg ins Gespräch zu bringen. Einen solchen Austausch gar über zwei Tage zu organisieren, wie es der „Arbeitskreis Frauengesundheit“ kürzlich auf seiner Jahrestagung in Berlin unternahm, ist schon fast ein bisschen vermessen. Doch, oh Wunder, es hat funktioniert. Selten sah man sie so einträchtig sitzen, die Älteren und die Jungen, nicht immer einig, aber durchaus gewillt, zu hören, was die Andere zu sagen hatte. Über ihre Erfahrung mit dem Körper und mit weiblicher Lebensrealität vor dreißig, vierzig Jahren und heute.

Gemeinsame Grundlage

Vielleicht ist Körper und Gesundheit auch einfach ein guter Ausgangspunkt für den Dialog. Denn mit dem Wunsch nach Autonomie über den eigenen Körper hat die neue Frauenbewegung – egal, ob sie sich mit Kinderkriegen, Gewalterfahrung oder Sexismus befasste – ja einmal angefangen. „Damals“, erinnerte sich die Filmemacherin Helke Sander, „haben wir die Pille auf Krankenschein gefordert, weil wir dachten, sie gewährleiste Autonomie“. Ein Irrtum, wie die Wissenschaftsautorin Eva Schindele rückblickend feststellte: „Die Pille hat uns Selbstbestimmung versprochen und die medizinische Kontrolle über die Frauen hoffähig gemacht.“

Ihre Erfahrungen mit der Pille – angstfreie Sexualität, aber auch sexuelle Verfügbarkeit, Selbstentfremdung und zahlreiche Nebenwirkungen – teilen viele der Älteren. Und lauschten ungläubig dem Dialog zwischen Mutter und Tochter. Denn Isolde Schindele erzählte eine neue Geschichte, die davon handelt, dass die Pille für die Jüngeren nicht in erster Linie als Verhütungsmittel wahrgenommen wird, sondern als Lifestyle-Medikament, das Aufhübschung garantiert und von der als „eklig“ empfundenen Menstruation entlastet.

„Mein Kopfweh gehört mir“

Und noch fassungsloser hörten die Älteren, dass damit heute ein Initiationsritual verbunden ist: Nicht die einsetzende Menstruation oder Sex, sondern die Verschreibung der Pille gilt unter Jüngeren als der entscheidende Schritt zur Frau. Aber wie schon ihre Mütter machen auch die jungen Frauen, von denen drei Viertel die Pille nehmen, die Erfahrung, dass damit eine Entfremdung vom eigenen Körpererleben verbunden ist. Oft dauert es zehn bis 15 Jahre, bis sie das Verhütungsmittel absetzen und ihre Menstruation erstmals authentisch erleben, mit allen Begleiterscheinungen: „Mein Kopfweh gehört mir.“

Die Gynäkologin Barbara Ehret berichtete, dass auch die Entfernung der Gebärmutter während der Wechseljahre wieder zunimmt. Ehret war eine Pionierin im Kampf gegen diese früher routinemäßig durchgeführte, aber meist unnötige Operation. Sie galt unter ihren Medizinkollegen lange Zeit als Nestbeschmutzerin. Tatsächlich war die Hysterektomie in den achtziger Jahren stark rückläufig, seit zwei, drei Jahrzehnten steigt die Zahl rapide: Die Frauen, erklärte Ehret dieses Phänomen, lebten heute vereinzelter und seien geneigt, ihren Körper in dem Maße kontrollieren zu lassen, wie sie sich selbst daran gewöhnt hätten, ihn zu manipulieren.

Dieser Hang und Zwang zur Selbstoptimierung ist offenbar die entscheidende Differenz-Erfahrung zwischen den älteren und jüngeren Feministinnen. Ständig genötigt, zwischen vielen Möglichkeiten die optimale Wahl zu treffen, geraten junge Frauen oft an ihre Grenzen. Das anything goes ist eine ständige Überforderung: „Es gibt keinen Raum“, beklagte Isolde Aigner, „in den wir hineinsprechen könnten“. Alles sei zugestellt mit der Anforderung, möglichst alles und optimal unter einen Hut zu bekommen. Und weil sich mit den jüngeren Männern heute offenbar besser auskommen lässt, „fehlt die Wut, sich gegen die Strukturen zu wehren“, ergänzte ihre Altersgenossin Katharina Helming.

Diese Wut war es ja, die die neue Frauenbewegung Anfang der siebziger Jahre dazu getrieben hatte, sich kollektiv zur Wehr zu setzen. Den Sinn für gemeinschaftliches Handeln vermissen die Altfeministinnen an der neuen Selbstbestimmungsideologie, die nicht mehr „Mein Bauch gehört mir“, sondern nur noch den „Bauchladen“ meint, das überbordende Angebot von Lebensmöglichkeiten. Während die Aktivistinnen von früher sich den Raum für neue Lebensentwürfe erst einmal erobern mussten, erleben die heutigen Einzelkämpferinnen, dass nicht alle Lebensentwürfe von einer Frau auch gelebt werden können.

Unwilliger Unterton

Sie empfinde es heute als Privileg, dass sie keine Einzelkämpferin habe sein müssen, bekräftigte Cornelia Helfferich das Lebensgefühl der älteren Feministinnnen. Diese fungierten auffälligerweise auf dem Abschlusspodium als Expertinnen, während die Jüngeren Teilsegemente weiblicher Lebenswirklichkeit repräsentierten: die rappende Aussteigerin, die behinderte Doktorandin, die bloggende Migrantin. So redeten die Älteren meist über die Frauen, während die Jungen von sich sprachen – und manchmal schlich sich da auf beiden Seiten doch ein unwilliger Unterton ein. Sie habe keine Lust, als nachgefragtes „Humankapital“ betrachtet zu werden, verwahrte sich Rapperin Sookee etwa gegen die Feststellung einer Älteren, dass künftig „alle gebraucht“ würden. Ulrike Hauffe polemisierte indes gegen die Vorstellung der Jüngeren, ihr Leben als „Projekt“ zu betreiben und letztlich doch in der alten Frauenrolle zu landen.

„Die alte Frauenfrage ist tot. Gleichberechtigung mit den Männern ist zugestanden. Frauen leben, lieben, schaffen, schuften, kämpfen, sterben wie die Männer. Die Frauen sind entweiblicht, die Institutionen versachlicht. Aber die geschlechtliche Polarität ist dadurch nicht gemildert, sondern verschärft worden“, schrieb die sozialistische Frauenrechtlerin Alice Rühle-Gerstel 1929. Das liest sich irgendwie sehr aktuell. Schon damals gab es einen heftigen Generationenkonflikt zwischen älteren Frauenrechtlerinnen und „neuen Frauen“.

„Es ist viel getan worden“, erkannte dann auch Jungfeministin Katharina Helming die Leistung der einstigen Akteurinnen der neuen Frauenbewegung an. „Ihr habt viel getan!“, wurde sie vielstimmig aus dem Publikum korrigiert. Aber das kriegte die Junge nicht über die Lippen: „Es ist viel getan worden“, wiederholte sie, nur etwas lauter.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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