Wissenschaft Neue Gentechnologie verspricht eine Generation von Superpflanzen. Die EU-Kommission plant eine Liberalisierung des Verfahrens. Doch welche Auswirkungen hat es auf Artenvielfalt und Umwelt?
Illustration: Natalja Alicja Dzwisch für der Freitag
Ist das nicht der Traum einer jeden Landwirtin, eines jeden Bauern? Winzige aromatische Wildtomaten so groß zu züchten, dass sie für die Vermarktung taugen? Kartoffeln, die länger frisch bleiben? Weizen mit weniger Gluten- oder Blattsalat mit höherem Vitamingehalt? Reispflanzen, die resistent gegen die Reispflanzenkrankheit wären, welche zu fatalen Ernteausfällen führt? Gar nicht zu reden von Getreide, das sich ans Klima anpasst und so ertragreich ist, dass es einen Weg aus der weltweiten Nahrungsmittelkrise weist. Das wäre dann nicht mehr nur bäuerliche Fantasie, sondern eine globale Perspektive.
So jedenfalls malen Befürworter der neuen Gentechnologie (NGT) die Zukunft aus. Durch punktgenaue Abschaltung zerstörerischer Gene soll
Gene soll nicht nur der Krebs besiegt, sondern mittels der Genschere auch die Ernährung des ausgehenden 21. Jahrhunderts gesichert werden. Nachdem die klassischen gentechnologischen Experimente in der Landwirtschaft eher ernüchternd waren und mit heftigen Kollateralschäden einhergingen, verspricht das CRISPR/Cas9-Verfahren, mittels dessen durch gezielte „Schnitte“ unerwünschte Gene ab- und andere angeschaltet werden, den Umbruch bei der Herstellung neuer Nutzpflanzen. Vorbei also die Zeiten, in denen umweltpolitisch engagierte „Feldbefreier“ gentechnisch veränderte Pflanzen aus der Erde rissen oder gar ganze Felder zerstören mussten, um auf die Gefahren der grünen Gentechnik aufmerksam zu machen? Denn wo keine artfremden Gene, da auch keine Risiken, so das Versprechen. Die NGT-Pflanzen seien Produkten aus den klassischen Züchtungsmethoden vergleichbar und deshalb „natürlich“.Wäre da nicht das verstaubte europäische Denken, das jeden gentechnischen Eingriff verteufelt. In der Freisetzungsrichtlinie von 2001 in Stein gemeißelt, wurde es mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2019 noch einmal verewigt. Demnach fallen unter gentechnisch veränderte Organismen (GVO) nicht nur solche, die durch Einschleusen von oder Rekombination mit artfremden Genen verändert wurden. Die Richtlinie gilt auch für den Einsatz der Genschere und unterliegt besonderen und eben teuren Sicherheitsrichtlinien und der Kennzeichnungspflicht. In Deutschland ist dies im Gentechnikgesetz verankert, für das gerade Grüne einmal mit Herzblut gestritten haben.Als Reaktion auf das Urteil der europäischen Richter hatte unter anderen die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina nachdrücklich dafür plädiert, die Freilandforschung für NGT-Pflanzen zu erleichtern. Die Stellungnahme reihte sich ein in eine Kampagne, die geneditierte Pflanzen als überlegen bewarb und sie aus den rechtlichen Bestimmungen für GV-Organismen zu befreien forderte. Das Verfahren verhelfe zu beschleunigter Domestikation erwünschter und ertragreicherer Sorten, hieß es.Ein Hintergrund ist, dass Großbritannien nach dem Brexit die Züchtungen „einfacher“ genomedierter Pflanzen gerade gelockert hat. Statt aufwendiger Meldung und Risikobewertung können die Produkte nun schneller auf dem Markt eingeführt werden. Auch in der Schweiz sollen die Präzisionszüchtungen künftig nicht mehr unter die GVO-Bestimmungen fallen, Norwegen hat Ähnliches angekündigt. In China, wo keine spezifischen Regelungen für das Genediting existieren, werden inzwischen zwei von drei CRISPR/Cas-Versuchen durchgeführt. Man ahnt schon: Die EU fürchtet Wettbewerbsnachteile.Ein Schnitt an falscher StelleInsofern kommt die Ankündigung der zypriotischen EU-Kommissarin Stella Kyriakides, den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft erleichtern zu wollen, nicht ganz überraschend. Mit dem Argument, die Nahrungsversorgung in der EU nachhaltiger zu gestalten und zum Nutzen der gesamten Gesellschaft einzusetzen, kündigte sie für Juni die Reform des Gentechnik-Rechts an. Die mittels Genschere hervorgebrachten Pflanzen sollen nach ihrem Willen künftig unter das Sortenrecht fallen, um für „kleine und mittlere Unternehmen Zulassungskosten“ zu mindern. Damit müssten die Endprodukte nicht mehr die Schleuse der Risikobewertung passieren. Beim Genediting von Pflanzen geht es – wie in der Gentechnologie überhaupt – um Geld, aber eben auch um Zeit. Es dauert unter Umständen fünf bis 50 Jahre, bis aus einer konventionellen Züchtung eine erfolgreich vermarktbare Nutzpflanze entsteht.Der Druck der Lobby auf die EU-Kommission, erklärt der EU-Abgeordnete Martin Häusling gegenüber dem Freitag, sei seit ein paar Jahren ziemlich groß. Es gehe ihr vor allem darum, aus neuer Gentechnik hervorgegangene Produkte nicht mehr als solche kennzeichnen zu müssen. Häusling befasst sich als agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament seit 30 Jahren mit Gentechnik in der Landwirtschaft und sieht die neue Technologie skeptisch: „Es wird argumentiert, das Verfahren sei zielgerichteter und weniger risikoreich, weil keine neuen Gene in die Pflanzen eingebracht werden. Aber die Off-Target-Effekte, die unbeabsichtigten Auswirkungen, können ebenso folgenreich sein, weil die Schnitte nicht so präzise durchgeführt werden können, wie angenommen.“Es kann also sein, dass falsche Stellen an einem Gen herausgeschnitten werden und sich das bei der Reparatur auf die gesamte DNA auswirkt. „Wir wissen auch nicht“, sagt Häusling, „welche Veränderungen eintreten, wenn man ein Gen abschaltet. Beim Weizen etwa müsste man 150 Veränderungen vornehmen, um ihn trockenresistent zu machen. Man kann ihn zwar dazu bringen, weniger Wasser zu verbrauchen, aber man weiß noch lange nicht, wie sich das auf den Ertrag oder andere Eigenschaften auswirkt.“Wandern fette Lachse?Das Spektrum unbeabsichtigter Ereignisse kann auch die Umwelt betreffen. Was passiert, wenn sich der Weizen im Freiland etwa spontan mit anderen Sorten kreuzt? Kann das Zustände hervorbringen wie in Kanada, wo Tausende von Hektar Land brachliegen, weil sie durch die von gentechnisch veränderten Pflanzen hervorgebrachten Superweeds (Superunkräuter) überwuchert und nicht mehr bestellt werden können? Häusling erinnert an die genetisch veränderten Lachse in Kanada. „Sie sind größer als ihre natürlichen Artgenossen. Was ist, wenn sie in Freiheit gelangen? Verändern sie die ganze Population? Kann der Lachs, wenn er zu groß wird, nicht mehr wandern?“ Im Unterschied zu Experimenten im Labor seien Freilandversuche ein Wagnis, „das lässt sich nicht mehr zurückholen“. Häusling denkt dabei weniger an gesundheitliche Schäden für Menschen, sondern an die nicht absehbaren Folgen, sowohl für die ursprüngliche Spezies als auch für die Umwelt insgesamt.Auch die Produzenten – vor allem die den Markt kontrollierenden Saatgut-Giganten wie Bayer, Corteva oder Syngenta – argumentieren mit der Natürlichkeit der neuen Nutzpflanzen, um die Risikoabschätzung und Kennzeichnung zu umgehen. Wie allerdings verträgt sich das mit der Tatsache, dass sie auch für diese lizenzpflichtige Patente anmelden, obwohl es immer schwieriger wird nachzuweisen, was an einem Produkt „natürlich“ ist und was aus dem Labor stammt? Dadurch geraten auch Landwirte in eine rechtliche Grauzone, wenn sich Pflanzen zufällig kreuzen. Die Saatguthersteller überziehen sie dann mit Prozessen wegen Patentverletzung.Der Nachweis ist neben der Kennzeichnungspflicht also der zweite Punkt, den die EU-Kommission zu knacken hätte in Bezug auf NGT. „In der EU existieren drei landwirtschaftliche Methoden nebeneinander, die ökologische, die konventionelle und diejenige, die Gentechnik nutzt. Damit das so bleibt, ist die Nachvollziehbarkeit und Kennzeichnung der Pflanzen unabdingbar“, erklärt Häusling. Sonst ginge das zulasten vor allem der ökologischen Landwirtschaft, die in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde und mittlerweile 45 Milliarden Euro ausmacht. „Ohne Nachweis und Kennzeichnung machen wir einen Markt kaputt.“ Vor zwei Jahren haben sich deshalb die großen Lebensmittelhersteller, die ebenfalls auf Öko setzen, an die Kommission gewandt und angemahnt, nicht am Regelwerk zu rütteln, weil dies zur Verunsicherung der Verbraucher führe.Die eigentliche Krise heißt VerschwendungEine Krise der Nahrungsmittelversorgung in Europa kann Häusling nicht erkennen, auch bei bestehenden Richtlinien. Es gebe weniger ein Versorgungs- als ein Verteilungsproblem. „Solange wir 60 Prozent unseres Getreides in den Futtertrog werfen, haben wir es eher mit Verschwendung zu tun. Mit Fleisch macht man die Welt allerdings nicht satt. Wir exportieren Weizen nach Afrika, statt dort die regionale Landwirtschaft zu stärken mit Produkten, die dort heimisch sind.“ Auch der Pestizideinsatz wird mit NGT-Pflanzen nicht verringert, weil die Produkte auf Herbizidtoleranz getrimmt werden. Er glaube nicht an die Segnungen der neuen Technologie, die die ganze Welt ernährt ohne unerwartete und unerwünschte Nebenfolgen, dafür sei die Natur viel zu kompliziert. „Wir müssen keine neuen Pflanzen erfinden, sondern das Potenzial, das wir haben, gekonnt nutzen.“Während die FDP in Deutschland Druck macht, die Hürden für die grüne Gentechnik zu senken, bleibt abzuwarten, wie sich die grünen Minister:innen Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Agrar) dazu verhalten. Lemke hat vergangenen Juni in Brüssel erklärt, es gebe keinen Bedarf an einer Neuregulierung und sie wolle an der Risikobewertung und Kennzeichnung auch von NGT-Produkten festhalten. Özdemir hielt sich anlässlich eines Treffens der EU-Agrarminister:innen eher bedeckt. Er sieht – wie übrigens auch Häusling – noch wenig marktreifes Angebot an NGT-Pflanzen. Umwelt- und Bioverbände vermissten jedoch eine klare Absage des Ministers.Ursprünglich sollte die NGT-Neuvordnung am 7. Juni eingebracht werden. Inzwischen ist durchgesickert, dass dies bis mindestens Ende Juni oder Juli verschoben werden wird. Die EU-Beamten, heißt es, jonglieren an einer neuen, kompromissfähigen Vorlage für NGT-Pflanzen, die auch natürlich vorkommen, und genetisch veränderte Pflanzen. Ob diese noch verhandelt wird, ist fraglich. Viel deutet darauf hin, dass die Vorlage vor den Europawahlen nicht mehr zur Abstimmung kommen. Dazu gibt es im Europaparlament und im Europäischen Rat zu viele kritische Stimmen.