Bis zu 20.000 Granaten verschieße Russland pro Tag, erklärte Kaja Kallas auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Die Ukraine hingegen könne nur 6.000 bis 7.000 Geschosse abfeuern und in absehbarer Zeit nicht mehr mithalten. Diese Drohkulisse diente dazu, ihre Forderung zu bekräftigen, die Europäische Union möge künftig gebündelt Aufträge an die Rüstungsindustrie vergeben, entsprechend dem Verfahren beim Corona-Impfstoff-Einkauf.
Einmal davon abgesehen, dass es einem beim Vergleich von potenziell lebensrettendem Impfstoff und sicher todbringenden Granaten grausen kann und wir „Kaliber 155“, um das es hier geht, inzwischen so selbstverständlich in den Mund nehmen wie während der Pandemie Spikevax oder Novavax, sollte
ax, sollte man auch ernsthaft das Procedere unter die Lupe nehmen und die damaligen Erfahrungen. Denn offenbar scheint der Vorschlag seitens der EU auf offene Ohren zu stoßen: Sowohl der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell als auch Ursula von der Leyen signalisierten bereits Unterstützung.Dann würden nicht mehr einzelne Staaten auf Einkaufstour gehen, sondern die EU-Kommission stellte der Rüstungsindustrie – wie damals der Pharmaindustrie – vorab Mittel bereit, die sie in die Lage versetzt, ihre Produktion schnell auszuweiten. Die Kommission würde sich umgekehrt verpflichten, vereinbarte Mengen abzunehmen. Es ginge darum, schnell zu reagieren, sagte Borrell, „wir sind im Kriegsmodus“. Da ist die Kriegswirtschaft nicht weit. Vor allem Rheinmetall stellt in der EU 155mm-Kaliber her, er wäre der größte Profiteur. Es ist nicht bekannt, dass sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) bisher ablehnend geäußert hätte.Die Europäische Staatsanwaltschaft ermitteltDeshalb sei noch einmal an die Einkaufspolitik in Sachen Impfstoff erinnert. In der ersten Phase war die Kommission nur dafür kritisiert worden, zu langsam zu sein, sich nicht forsch genug auf dem Markt durchgesetzt zu haben und den Impfstoff ungerecht verteilt zu haben. Als sie EU-Parlamentarier:innen jedoch die Einsicht in die Exklusiv-Verträge verweigerte und, schließlich dazu gezwungen, bestimmte Stellen schwärzte, richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Deals. Es gab unter anderem die Vermutung, dass die Mitgliedsländer ein Vielfaches bezahlt hätten, weil die Pharmakonzerne damals ihre Marktmacht ausnutzten.Insbesondere der Megadeal von 1,8 Milliarden Impfdosen mit einem geschätzten Kaufpreis von 35 Milliarden Euro mit dem US-Konzern Pfizer geriet ins Visier. Es gab den Verdacht, der Kauf sei entscheidend durch Ursula von der Leyen zustande gekommen, die in SMS-Kontakt mit Pfizer-Chef Albert Bourla gestanden hatte. Die Kommission weigerte sich, die Nachrichten zu veröffentlichen, angeblich waren sie nicht mehr auffindbar. Selbst dem Europäischen Rechnungshof gegenüber wurden sie unter Verschluss gehalten. Im vergangenen Oktober trat dann die gerade neu installierte Europäische Staatsanwaltschaft mit der überraschenden Nachricht an die Öffentlichkeit, sie ermittle im Zusammenhang mit der Beschaffung der Covid-19-Impfungen. Näheres gab sie damals so wenig bekannt wie nun im Februar, da sie Klage erhoben hat. Es wird aber davon ausgegangen, dass es sich um den Pfizer-Deal handelt.Das ist nur das spektakulärste Beispiel bei der oft intransparenten Impfstoff-Beschaffungspolitik der vergangenen Jahre. Wenn es um Waffen und Munition geht, dürften die Beteiligten noch viel verschwiegener sein, was Kaufpreise und andere Abmachungen betrifft. Und es geht um ganz andere Summen. Eine Million Artillerie-Granaten, die der estische Außenminister Urma Reinsalu am Montag als Ziel ausgab, würden vier Milliarden Euro kosten. Nur für Munition, versteht sich. Die dafür in Aussicht gestellte Friedensfazilität – ein nicht sehr bekannter EU-Topf, aus dem die Sicherheits- und Verteidigungsbedürfnisse der Union sowie Maßnahmen zur Friedenserhaltung finanziert werden – würde dafür nicht ausreichen, weil die Gelder verplant sind. Schon im Dezember haben die EU-Staaten beschlossen, ihn um zwei und noch einmal 3,5 Milliarden Euro aufzustocken. Deutschland hatte angeregt, diesen Betrag noch einmal zu verdoppeln.Die EU ist reich und kann aus den sprudelnden Quellen ihrer Mitgliedsländer schöpfen. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis es dort zu Umverteilungen kommt, die die Bürger:innen trifft. Dass Krieg nur die Rüstungsindustrie fett macht, ist nun wahrlich eine Binse. Aber dieses mögliche Blanko-Angebot – in Noch-Friedenszeiten wohlgemerkt – verdiente mehr öffentliche Aufmerksamkeit.