Feierabend

Gewinn und Verlust 50 Jahre Gleichberechtigung made West

Die als Folge der Währungsreform verhängte Blockade über Berlin hat sich wie kaum ein anderes Nachkriegsereignis in das kollektive Gedächtnis eingegraben. Nach ihrer Aufhebung am 12. Mai 1949 war die Stadt, wie Zeitzeuginnen erzählen, vom Duft von Räucherfisch überzogen, und es gab Waren, die die Berliner jahrelang nicht mehr gesehen hatten. Dabei war die Währungsreform alles andere als eine "Stunde Null", sondern verschärfte - zumindest im Westen - die sozialen Gegensätze noch. Insbesondere Frauen, die oft für Angehörige mit zu sorgen hatten, waren betroffen: In Westberlin verdiente ein Facharbeiter 1950 wöchentlich 64,28 Mark, eine Facharbeiterin 39,42 Mark. 1951 waren von den rund 278.000 arbeitslosen Westberlinern 57,6 Prozent Frauen; in der DDR waren 1950 ebenfalls nur 49 Prozent der Frauen berufstätig, der weibliche Erwerbsanteil stieg erst in den sechziger Jahren rasant. Wie immer, wenn Männer aus dem Krieg zurückkehren, hatte also auch diesmal das "Land der Frauen" seinen Dienst getan und verschwand von der Bildfläche.

Um die Gleichberechtigung, die die mutigen Mütter des Grundgesetzes mit viel Energie verfassungsrechtlich verankert hatten, war es aber nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht noch schlecht bestellt. Zwar hatte die Politik den Auftrag, das bürgerliche Gesetzbuch von patriarchalen Beständen zu entrümpeln, verschleppte diese Aufgabe aber bis 1957 (vgl. Freitag 22/23/2007). So konnte es in den fünfziger Jahren passieren, dass eine Frau, die unter Entbehrungen ihre Familie über Wasser gehalten hatte, nach Rückkehr des Ehemannes von diesem gezwungen wurde, ihre Arbeit aufzugeben - wenn sie, wie in bestimmten Berufszweigen noch üblich, als Verheiratete nicht ohnehin entlassen wurde. Dem Ehemann oblag auch die Entscheidung in allen Familienangelegenheiten (§1354 BGB), und er übte die väterliche Gewalt über die Kinder aus (§§1628, 1629 BGB; das "Alleinvertretungsrecht" des Vaters wurde sogar erst 1959 vom Verfassungsgericht gekippt). Künftig, witzelte ein Boulevardblatt am 1. 7. 1958, müsse der Mann sogar um Erlaubnis fragen, bevor er den Hausstand im Pfandhaus versetze.

Ein Meilenstein war die Gleichstellung von Mann und Frau in der bürgerlichen Rechtsgeschichte gewiss. Ob dabei die schon in der DDR-Verfassung verankerte formale Gleichberechtigung auf den Westen ausgestrahlt hatte, lässt sich nicht belegen; müßig aber ist die gerade wieder vorgelegte Aufrechnung, in der DDR hätten die Frauen ebenso wenig Einfluss in der Politik gehabt wie im Westen und seien durch den Arbeitszwang überdies "doppelbelastet" gewesen. Es ist ja die Krux jeder Rechtsgleichstellung, dass sie in den Köpfen zunächst wenig bewegt: Das haben die Schwarzen in den USA ebenso erleben müssen wie die Frauen, die sich plötzlich in "Leichtlohngruppen" fanden.

Bemerkenswert ist aber auch, dass zur Feier des 50. Jahrestages sich plötzlich Männer auf der Verliererseite sehen, wie das Cover des neuesten Spiegel-Titel vermuten lässt. Die Gewinn-und-Verlust-Rechnung der Geschlechter dort besagt, dass vor allem Frauen von der Gleichberechtigung profitiert hätten, während die Spezies Mann "bedroht", weil "ständig in Frage gestellt" sei. Die Folge: Identitätskrise, Verunsicherung, nicht nur bei den Älteren, sondern auch den Jungen, die von den wendigen Mädels abgehängt werden: "Um sie kümmert sich niemand", klagt ein Männerforscher.

Nein, das hätten sich Elisabeth Lüders, Elisabeth Selbert oder Friederike Nadig nicht träumen lassen, dass die den Frauen angediente "Hilfsbedürftigkeit", über die Nadig vor dem Hohen Haus gerne spottete, einmal im Zeichen des Mannes stehen würde. Und die Klugen hätten sicher genauer erkannt als die Spiegel-Garde: Es bleibt alles beim Alten, so lange stark und schwach auf der Bewertungsskala gegensätzlich gepolt sind. Ganz abgesehen davon, dass es noch immer Männer sind, die die Welt ins Pfandhaus tragen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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