Feigheit vor dem Dax

GENPATENT-GESETZENTWURF Statt in Sachen Biotechnologie international Einfluss zu nehmen, verschanzt sich die Bundesjustizministerin hinter europäischem Recht

Gelegentlich ist der Zeitpunkt, zu dem eine Meldung platziert wird, sprechender als die Nachricht selbst. Es ist noch keine zehn Tage her, dass die schottischen Inhaber des umstrittenen Patents EP 0 695 351 B1, das das Europäische Patentamt Anfang des Jahres ins Gerede gebracht hatte, einen öffentlichkeitswirksamen Rückzieher machten und ihren Antrag durch die kleine semantische Ergänzung "non-human animal" entschärften. Eine Woche davor hat der neue Biotechnologie-Report "European Life Science 2000" die Gewinnerwartungen der Biotech-Branche bestätigt: Der Sektor wuchs 1999 von 10,7 auf 17,8 Milliarden Euro, wobei die Bundesrepublik die größte Wachstumsrate verzeichnet - nicht zuletzt wegen der kräftigen Börsennachfrage und einem entsprechend hohen Einsatz von Risikokapital.

Ende Mai wird Gesundheitsministerin Fischer in Berlin ein Symposium eröffnen, auf dem ein deutsches Fortpflanzungsmedizingesetz diskutiert werden soll. Bereits Ende März kapitulierten die Veranstalter vor der riesigen Nachfrage und schlossen die Einladungslisten. Und dass die Nachricht schließlich genau an dem Tag auf den Aufschlagseiten der Tagespresse landete, an dem deutsche und japanische Forscher meldeten, das Chromosom 21 - bekanntlich verantwortlich für das Down-Syndrom (Trisomie 21), das vermutlich jedoch auch bei Alzheimer, Epilepsie und anderen Erkrankungen eine Rolle spielt - entschlüsselt zu haben, verdankt sich der zweifellos sensationssinnigen Pressepolitik von Greenpeace.

Die Umweltorganisation, die bereits den Patentskandal im Februar aufgedeckt hatte, veröffentlichte diese Woche einen Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums zur Genpatentierung, der im Herbst im Kabinett und im Bundestag diskutiert und beschlossen werden soll und von Greenpeace mit den Worten kommentiert wird, ein derartiges Gesetz organisiere den "Ausverkauf der Natur an die Genkonzerne" und damit "den größten organisierten Raubzug in der Geschichte der Menschheit".

Dass das Haus Däubler-Gmelin künftig Klon-Makern und Keimbahn-Jägern die Tore öffnet, ist sicher übertrieben. Der Entwurf sieht allerdings die rechtsverbindliche Patentierbarkeit von "biologischem Material" vor, wenn es mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus der natürlichen Umgebung isoliert wurde und zur Weiterentwicklung der medizinischen Diagnostik und Therapie verwendet wird. In diesem Sinne würde ein bislang nicht bekannter Naturstoff, der mittels technischer Operationen gewonnen und verarbeitet wird, nicht bloße "Entdeckung" sein, sondern eine Erfindung und damit patentierbar. Ausdrücklich ausgeschlossen ist das Klonen von Menschen und die Keimbahn-Intervention, das heißt die Veränderung von Spermien, Eiern und Embryonen. Alle übrigen Streitfälle, so Däubler-Gmelin, sollen den Gerichten überlassen bleiben, die "flexibel zu entscheiden haben, ob es sich um eine Entdeckung oder eine Erfindung handelt."

Nicht zuletzt an dieser "Rechtschaos" produzierenden Unentschlossenheit entzündet sich die Kritik von Greenpeace und anderen. Und tatsächlich verschanzt sich die Bundesjustizministerin hinter dem europäischen Patentrecht von 1998, das nach den Vorgaben Brüssels bis zum 30. Juli in den Mitgliedsländern umgesetzt werden soll. Doch gerade die grundsätzlich mögliche Patentierbarkeit der belebten Natur, die die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments festschreibt, stand im Mittelpunkt der Auseinandersetzung auch von deutschen Abgeordneten im Europaparlament. Mit etwas Mut hätte das Haus Däubler-Gmelin diese Einwände in die Gesetzesvorlage einarbeiten können, beispielsweise mit einer detaillierten Verbotsliste für Biotech-Patente. Stattdessen verschiebt die Justizministerin die politische Verantwortung feig an die deutschen Gerichte, wo sich in der biotechnologischen Materie unbewanderte Richter und Richterinnen mit den von der Industrie geschaffenen faits accomplis herumschlagen dürfen.

Blauäugige Ärztekammer, die sich von der deutschen Bundesregierung kürzlich noch versprach, europaweit und international eine verantwortungsvolle Vorreiterrolle zu spielen! In Sachen Biotechnologie und Fortpflanzungsmedizin, so der Eindruck, operiert die Regierung vielmehr mit verteilten Rollen: Frau Däubler-Gmelin arrondiert den deutschen Biotech-Konzernen einen rechtssicheren Raum, der genügend Schlupflöcher und Hintertüren offen lässt; Frau Fischer geriert sich in der Pose der nachdenklichen Skeptikerin, die auf der Einhaltung des Embryonenschutzgesetzes pocht.

Einen direkten Angriff auf das mittlerweile sakrosankt erklärte Gesetz wagt momentan kaum eine der Interessensfraktionen, vielmehr wird darauf gesetzt, es durch die Macht der Tatsachen auszuhöhlen. Dass das Embryonenschutzgesetz bei seiner Diskussion selbst höchst umstritten war und von vielen als nicht weitreichend genug erklärt wurde, ist heute dem politischen Vergessen anheim gegeben. Wenn es denn jemals ein neues Fortpflanzungsgesetz geben sollte, wäre das die Gelegenheit, auf neuer Basis über die Zukunft der Menschheit nachzudenken.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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