Essen und trinken hält Leib und Seele zusammen. Leib und Seele, das heißt: Nahrung ist mehr als nur Über-Lebensmittel, sie ist auch Mittel, das gutes Leben stiftet. Nicht erst, seitdem die Preise für Grundnahrungsmittel global dramatisch steigen, nicht erst, seitdem der Raps den Weizen von den Feldern verdrängt, nicht erst, seitdem ein weltweiter Im- und Export-Krieg die Länder des Nordens mit denen des Südens entzweit und WTO-Verhandlungen blockiert, nicht erst, seitdem hierzulande Verbraucher darauf achten, möglichst nicht mit gen-kontaminierten Produkten in Berührung zu kommen und nicht erst, seitdem einige Ministerinnen gegen die neue magersüchtige "Miss Twiggy" zu Felde ziehen, wissen wir natürlich, dass Ernährung eine ethische Frage ist. Eine ganz grundsätzliche und althergebrachte übrigens, denn bei der Verteidigung der "moralischen Ökonomie" - dem Recht, auf den Allmenden sein Vieh weiden zu lassen, auf Gemeindeflächen Obst zu ernten oder Holz zu fällen und zu fairen Preisen sein Brot zu kaufen - haben sich im 19. Jahrhundert die so genannten Brotkrawalle und Hungerrevolten entwickelt.
Insofern ist es nur naheliegend, dass sich der neu konstituierte Deutsche Ethikrat, der Ende Juli zum zweiten Mal in der nun parlamentarisch abgesegneten Formation zusammengetreten ist, mit dem Thema Ernährung befasst. Schon einen Monat zuvor, als die neu berufenen Räte das Thema Babyklappen und anonyme Geburt auf die Tagesordnung setzten, kündigte sich an, dass sie aus dem bislang verfolgten engen bioethischen Horizont heraustreten und neue Fragen fokussieren könnten.
Über die Spannbreite seines Themas ließen Eckhard Nagel und seine aus Bayreuth hinzugezogene Korreferentin, Christine Eichhorn, keinen Zweifel. Von der globalen Ernährungssicherung durch grüne Gentechnik über die gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln bis hin zu alltäglichen Problemen wie Fehlernährung, Übergewicht und Prävention reichte das Impuls-Angebot. Während der Transplantationsmediziner Nagel, der schon dem alten Ethikrat angehörte, erkennbar die Debatte über künstliche Ernährung und Lebensverlängerung forcieren will - eher eine Sonderform der Nahrungsaufnahme, wie einige Räte kritisch anmerkten -, befasste sich die Ökotrophologin Eichhorn mit der normalen Ernährungssituation in unseren Breiten und mit dem "Mangel im Überfluss". Inmitten eines unüberschaubaren Nahrungsmittelangebots werden viele Menschen - vor allem Kinder - hierzulande falsch ernährt und leiden unter Bewegungsmangel. Mit den bekannten Folgen: Übergewicht, chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes.
Immerhin, auch das keine Neuigkeit, ist Fehlernährung nicht nur "hausgemacht", weil man in den Familien nicht mehr zu kochen verstünde, wie Neu-Rätin Ulrike Riedel glaubt, sondern auch staatlich gesteuert. Wenn nämlich der Tagessatz für Kinder über Hartz IV (je nach Alter 2,40 bis 4,00 Euro) nicht mehr ausreicht, alleine die Schulspeisung zu bezahlen (im Bayreuther Untersuchungsgebiet zwischen 3,50 und 5,00 Euro) und nach Berechnungen der Experten dieser Betrag auch für eine gesunde und reichhaltige Ernährung zuhause nicht ausreicht, sollte man sich nicht darüber wundern, dass schon die Kleinsten aus benachteiligten Schichten ungesunde Speckschichten ansammeln. Jedes fünfte deutsche Schulkind gilt als falsch ernährt und übergewichtig.
Die UN-Menschenrechtskonvention kennt das Recht auf eine "adäquate Ernährung" - aber auch auf eine "gesunde Ernährung"? In Großbritannien nimmt man den Präventionsgedanken möglicherweise ernster und verbietet Junk Food auf den Pausenhöfen; mit dem Ergebnis, dass Eltern ihren Sprösslingen fetttriefende Burger oder Fish´n´Chips durch den Schulzaun reichen. Die Reglementierung, finden viele, sei ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, denn essen könne schließlich jeder, was ihm beliebt (oder rauchen, bis ihm die Lunge qualmt). Wo endet Selbstbestimmung, wo beginnt die Sorge für das Gemeinwesen? Mit dem Wohlstand verändern sich auch die Ernährungsgewohnheiten - nicht unbedingt zum Wohle der Volksgesundheit. In den Schwellenländern ist der Fleischkonsum zum Zeichen des guten Lebens geworden und verschärft die Welternährungssituation zusätzlich.
Ziemlich schnell kristallisierte sich in der Aussprache heraus, dass - vor so globale Probleme wie die gerechte Umverteilung von Nahrungsgütern oder die Macht der Gen-Food-Lobby gestellt - die meisten Räte zurückweichen. Dafür fehle die nötige Sachkenntnis und - vor allem - der entscheidende Einfluss, wurde zu bedenken gegeben. Besser gerüstet sieht sich der Rat für sozial- und gesundheitspolitische Probleme; die hiesige Public-Health-Fraktion, die Kombattanten im Präventionskampf sucht, wird´s zu schätzen wissen. Den Einzelnen in Erziehungshaft zu nehmen, scheint den Räten wohl aussichtsreicher als die globale Lebensmittel- oder Agroindustrie herauszufordern.
Die klassischen mittelalterlichen Lehren der Dietätik übrigens, darauf machte dankenswerterweise der Heidelberger Medizinhistoriker Axel Bauer aufmerksam, meinten viel mehr als nur Essen und Trinken und bezogen sich auf die äußere Umwelt und das innere Gleichgewicht des Menschen. Es reicht eben nicht, Kalos zu zählen oder sich, den inneren Schweinehund überwindend, schrittweise in Bewegung zu setzen, wie so manche Gesundheitsinitiative suggeriert. Und auch wohlgemeinte Ratschläge, den Tisch zu teilen und gemeinsam zu essen, bleiben fromm in einer Zeitökonomie, die aufs Miteinandersein wenig Rücksicht nimmt. Ihr Mittagessen nahmen die Räte übrigens nebenher und nicht in beschaulicher Runde ein. Sie fürchteten, ihren Flieger zu verpassen.
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